© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/22 / 16. Dezember 2022

Korruption im Parlament
Katar-Affäre: Verhaftungen und Durchsuchungen bei sozialistischen Europapolitikern in Brüssel
Albrecht Rothacher

Ein Ergebnis der WM in Doha steht bereits fest: Katarische Bestechungsgelder deckten ein unglaubliches Netzwerk sozialistischer Korruption in Brüssel auf, dessen Ausmaße wie bei einer archäologischen Entdeckung noch unüberschaubar sind und vom EU-Parlament (EP) ausgehend bis in die Spitzen von Kommission und Rat reichen könnten. Aktuell hat es die S&D-Fraktion – dazu gehören unter anderem SPD, SPÖ oder die italienische Linkspartei PD – voll erwischt, die sich als ebenso käuflich wie die Fifa-Funktionäre im Jahr 2010 herausstellten.

Bei einer Razzia wegen des Verdachts bandenmäßiger Korruption und Geldwäsche fand die belgische Polizei bei 16 Haussuchungen eine Million Euro aus Katar in Säcken – hätte die vorige Woche beschlossene EU-Bargeldobergrenze von 10.000 Euro das verhindert? Bei Eva Kaili, einer 44jährigen ehemaligen Fernsehsprecherin und seit Januar eine der EP-Vizepräsidenten, fand man 150.000 Euro. Hielt die Sozialistin (Pasok) dafür am 22. November vor den fast leeren Rängen des Plenums lediglich eine Rede zur Vorbildrolle Katars bei den Arbeitsrechten und wie seine „Sportdiplomatie einen historischen Wandel bewirkte, dessen Reformen die arabische Welt inspiriert haben“?

Immerhin wurde sie aus der Pasok ausgeschlossen, mit der sie sich schon verkracht hatte, weil ihr Parteichef und EP-Kollege Nikos Androulakis sie aus ihrem Wahlkreis verdrängt hatte. Der behauptet nun, sie sei ein „Trojanisches Pferd“ der bürgerlichen Nea Dimokratia (ND). Mit ihrer Schwester Mantalena, die in Brüssel ein „European Law Observatory on New Technologies“ mit EU-Geldern der „digitalen Agenda“ führt, pflegte sie im heimatlichen Saloniki einen glamourösen Lebensstil. Allerdings sind alle Konten und Besitzungen der Familie mittlerweile eingefroren. Der griechische Wahlkampf von 2023 hat jetzt sein Thema.

Auch im Visier und in Haft ist ihr Lebenspartner Francesco Giorgi, Menschenrechtsberater der S&D-Fraktion und Assistent der belgischen Sozialistin Maria Arena, Vorsitzende des Menschenrechts-Unterausschusses des EP. Auch der Italiener Luca Visentini, ab 2015 Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes EGB und am 21. November zum Generalsekretär des Weltgewerkschaftsbundes IGB befördert, kam in Haft.

Besonders pikant: Die Italiener Pier Antonio Panzeri, bis 2019 S&D-Mitglied und dann Gründer der NGO „Fight Impunity“ (Bekämpft Straflosigkeit), sowie Niccolò Figà-Talamanca, Generalsekretär der Menschenrechts-NGO „No Peace without Justice“ zählen ebenfalls zu den Beschuldigten – und beide NGOs sind in der Brüsseler Rue Ducale 41 registriert. Panzeri, früher Chef des EP-Menschenrechtsausschusses des EP, gilt als Organisator beider NGOs und als Zentrum der katarischen Geldverteilung. Auch marokkanisches Geld soll geflossen sein. Im Beratergremium von „Fight Impunity“ fand sich linke Prominenz: die Ex-EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini, die Ex-Kommissare Dimitris Avramopoulos und Emma Bonino. Die meisten jener linken Euro-Schickeria, aber nicht alle, legten nach dem Bekanntwerden des Skandals fluchtartig ihre Posten nieder.

Die Verdächtigen waren nach ersten Ermittlungsergebnissen wohl von der katarischen Botschaft in Brüssel bezahlt worden, um positive öffentliche Stellungnahmen zum Golf-Emirat zu verbreiten, was sie, einschließlich des IGB, auch prompt taten. Dazu hatten die 146 Sozialisten im EP – also auch jene, die sich jetzt lautstark von Kaili distanzieren – im November gegen eine Katar-kritische Menschenrechtsresolution im EP gestimmt, nachdem sie zuvor nach Kräften versucht hatten sie zu verwässern. Auch gab es starken Druck im EP, die Visum-Pflicht für Kataris aufzuheben, die nun aber schamvoll in einen Ausschuß zurückverwiesen wird.

Interessant ist auch, daß sich EU-Kommissionsvizepräsident Margaritis Schinas (ND), zuständig für Asyl, Migration, Gleichheit und Antisemitismus, nach zwei Besuchen in Doha zur WM-Eröffnung, damals zusammen mit Eva Kaili, wiederholt positiv zu den katarischen „Reformen“ äußerte und die Visafreiheit nachdrücklich befürwortete. Ursula von der Leyen, sonst mit moralisierenden Wortspenden freigiebig, weigerte sich bei ihrer Pressekonferenz am Montag, etwas zur Rolle ihres Vize zu sagen. Ebenso besuchte EU-Ratspräsident Charles Michel im September Doha und die katarische Herrscherfamilie, um dort die neue EU-Delegation zu empfangen.

Nun gibt es im Golf die Tradition reicher Gastgeschenke für VIPs, die zum Beispiel Tony Blair als Ex-Premierminister bei zahllosen Visiten reichlich ausnutzte. Es sind dies nicht die bei Staatsbesuchen üblichen Bildbände und Porzellan-Sets, sondern Statuetten aus massivem Gold oder Schmucksäbel, die richtiges Geld wert sind. Markus Buchheit, AfD-Abgeordneter im EP, will nun in einer dringlichen Anfrage den Wert dieser Geschenke und anderer Zuwendungen wissen, oder jener Gaben, die der neue katarische Botschafter Kommissionspräsidentin von der Leyen bei seinem Antrittsbesuch im Vorjahr überbracht haben mag. Auf die Antworten kann man gespannt sein. Denn die Höchstgrenze für zulässige Geschenkannahmen für Kommissare und ihre Beamten liegt bei bescheidenen 150 Euro.

Für die Kataris, die für den WM-Kauf 220 Millionen Euro investierten, sind die bisher bekanntgewordenen Schmiergelder nur „peanuts“. Der Einflußkauf der Kataris ist aber um so bedenklicher, als der herrschende Al-Thani-Clan seine Milliarden nicht nur für Luxusimmobilien, Sportstadien und Fußballklubs verschwendet, sondern über seine „Qatar Charity“ auch die Muslim-Bruderschaften finanziert, die die fundamentalistische Re-Islamisierung der muslimischen Gemeinden in Europa und seine Eroberung durch Missionierung und Einwanderung aktiv betreiben.

Auch Terrororganisationen wie die Hamas und die Al-Nusra-Front, der syrische Ableger von Al-Quaida, soll ebenso finanziell unterstützt worden sein wie vordem die Taliban-Führung. Denen bieten sie als Wahhabiten in Doha Unterschlupf und mit ihrem Propagandasender al-Jazeera ein weltweites Forum bietet. Das macht jenen Einflußkauf, von dem mutmaßlich lediglich nur ein Bruchteil enthüllt wurde und der die sonst mit moralfriefenden Mahnungen so großzügigen europäischen Sozialisten in eine jähe Schock- und Schweigesperre stürzte, viel gefährlicher als der übliche Gefälligkeits- und Einladungslobbyismus der Azeris, Russen, Kasachen, Chinesen, Israelis und amerikanischen Politikstiftungen.