© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/22 / 16. Dezember 2022

„Es braucht eine Revolution“
Interview: Francesco Giubilei gilt als einer der einflußreichsten Intellektuellen Italiens. Wer ist der junge Publizist, Verleger und rechtskonservative Vordenker, der vor kurzem auch zum Berater des Kulturministers berufen worden ist?
Moritz Schwarz

Herr Professor Giubilei, wie schafft es ein Rechtskonservativer auf die „Forbes“-Liste der hundert einflußreichsten Menschen unter dreißig Jahren in Italien?

Francesco Giubilei: Diese Anerkennung erfuhr  ich für mein kulturelles und verlegerisches Wirken schon vor zwei, drei Jahren. Durch meinen Verlag Giubilei Regnani und meine Tätigkeit für politische Stiftungen und Denkfabriken ist es mir in gewisser Weise gelungen, Ideen einzubringen und Einfluß auf die Debatten zu nehmen.

In Deutschland wäre das undenkbar. Kein etabliertes Magazin würde es wagen, einen echten Rechtskonservativen auf diese Weise anzuerkennen. 

Giubilei: Deutschland ist diesbezüglich auch eine Anomalie unter den großen europäischen Ländern. 

Inwiefern?

Giubilei: Wir arbeiten mit einem Netzwerk konservativer Stiftungen und Denkfabriken zusammen. Da finden Sie spanische, französische, polnische oder ungarische Einrichtungen – aber es gibt keinen wirklich relevanten Beitrag aus Deutschland. Nun, ich muß vorausschicken, daß ich den deutschen kulturellen und politischen Kontext nicht so genau kenne, doch nach meinem Eindruck gibt es in Ihrem Land eine Art Cordon sanitaire gegenüber jenen, die sich als konservativ bezeichnen. Zudem neigt man bei Ihnen dazu, Konservatismus mit einer extremistischen Strömung gleichzusetzen.

Wer hierzulande rechts oder genuin konservativ ist hat in der Tat kaum oder keine Chance in den Medien und gesellschaftlichen Institutionen. Haben Sie diese Erfahrung denn nie gemacht? 

Giubilei: Auch bei uns in Italien ist es nicht gerade leicht, konservativ zu sein. Es gibt etliche Vorurteile gegenüber der politischen Rechten, vor allem im Kultursektor, wo die Linke im Laufe der Jahre die wichtigsten Bereiche allesamt besetzt hat. Aber wir sind auch die Nation Antonio Gramscis. 

Sie meinen den italienischen Marxisten und Theoretiker aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts?

Giubilei: Ja, die Kenntnis und die Lektüre seiner Ideen sind von grundlegender Bedeutung, dabei spielt es überhaupt keine Rolle, welche politische Überzeugung man selbst hat. Sein Konzept der „kulturellen Hegemonie“, also der Besetzung der kulturellen Rollen und Räume, um entscheidenden Einfluß auf die Gesellschaft auszuüben, ist von der Linken mit Erfolg verwirklicht worden. Heute würden wir das zwar Ämterpatronage nennen, doch wenn die politische Rechte nicht lernt, ebenfalls so zu denken und zu handeln, wird sie kaum je in der Lage sein, Dinge zu beeinflussen und die Verhältnisse zu verändern.

Haben Sie deshalb, um Einfluß zu nehmen, mit noch nicht einmal zwanzig Jahren zwei Verlage gegründet? 

Giubilei: Den Verlag Historica habe ich in der Tat bereits 2008 gegründet, um Belletristik, Sachbücher sowie Reisebücher zu veröffentlichen. 2013 folgte dann Giubilei Regnani, der spezialisiert ist auf Sachbücher mit dem Schwerpunkt konservative Geisteswelt. Bis heute haben wir fast 600 Bücher in unserem Katalog. Darunter nicht nur einige der führenden konservativen, katholischen und auch klassisch-liberalen Autoren Italiens sowie bis dahin nicht mehr erhältliche Klassiker der italienischen Literatur, sondern auch wichtige ausländische Autoren und Titel, wie etwa Russell Kirks „The Conservative Mind“, Edmund Burkes „Reflections on the French Revolution“ oder auch Rod Drehers „Live not by Lies“.

Eines Ihrer eigenen Bücher heißt übersetzt „Die Natur bewahren. Warum die Umwelt ein Herzensanliegen der Rechten und Konservativen ist“. In Deutschland ist die Rechte allerdings kaum am Umweltschutz interessiert. Halten Sie das für einen strategischer Fehler?  

Giubilei: O ja, zweifellos ist das ein strategischer Fehler! Wenn wir über die Beziehung des Themas Umwelt – oder besser Natur, wir verwenden lieber diesen Begriff – und der Rechten sprechen, dann müssen wir zwei Ebenen trennen, nämlich die politische und die kulturelle: Auf der politischen Ebene schenken die deutschen Rechtsparteien nach meiner Ansicht dem Naturschutz nicht die nötige Aufmerksamkeit. Und das, obwohl auf der kulturellen Ebene wichtige Autoren und Denker aus dem deutschsprachigen Raum gerade über dieses Thema geschrieben haben. 

Zum Beispiel? 

Giubolei: Ich denke vor allem an den Schriftsteller Ernst Jünger und den Zoologen Konrad Lorenz. Zwei Persönlichkeiten, die wirklich zu einer anderen Sichtweise auf die Umweltproblematik beitragen können.

Inwiefern? Wie sollte die denn aussehen? 

Giubilei: In Deutschland sollte man erkennen, daß beide kulturelle und intellektuelle Bezugspunkte darstellen, von denen aus Ideen entwickelt und in die Debatte gebracht werden können, deren ökologischer Ansatz von lokalen Gemeinschaften ausgeht – nicht von einer globalen Vision, die Identität und Traditionen außer acht läßt. Ebenfalls sehr wichtig ist ein Menschenbild, das diesen nicht als Gegenspieler, sondern als integralen Bestandteil der Natur versteht.

Hierzulande gilt Umweltschutz als „links“, während die Rechte sich oft gar als Gegenpol dazu definiert. Wie sollte es einer rechten Partei gelingen, ein Thema, das so fest in der Hand der Linken ist und von dieser fast schon religiös inszeniert wird, an sich zu reißen?

Giubilei: Zu Ihrem Trost darf ich Ihnen sagen: Genau so verhält es sich auch in Italien – und, wie ich meine, in allen großen westlichen Ländern. Mit dem Thema Natur passiert, was bereits mit dem Thema Kultur geschehen ist: Beide sind der Übernahme durch die Linke zum Opfer gefallen – obwohl sie doch eigentlich gar keine politische Farbe haben. Was also tun, fragen Sie? Nötig ist, wie gesagt, eine alternative Vision, eine, die die Lösung der Umweltproblematik mit den sozioökonomischen Bedürfnissen der Menschen verbindet – also ein Naturbewußtsein, das vom Prinzip des Lokalen vor dem Globalen ausgeht sowie die sozialen Bedürfnisse der schwächeren Volksschichten berücksichtigt. Und das sich einem Umweltbewußtsein entgegenstellt, das zur Religion ausgeartet ist und dogmatischen Charakter angenommen hat, den zu hinterfragen man nicht duldet.

Ja, verstanden. Doch wie soll das praktisch gemacht werden? Denn wer das dogmatisch-religiöse Umweltbewußtsein der Linken angreift, steht in der öffentlichen Wahrnehmung als Feind des Naturschutzes da.

Giubilei: Nun, zum Beispiel die Ablehnung jeder neuen Umweltsteuer, ja des Konzepts einer „ethischen Steuer“ überhaupt. Überhaupt gilt es, nicht die Steuern zu erhöhen, sondern stattdessen Anreize für tugendhaftes Verhalten zu schaffen. Sehr wichtig ist es auch, künftig öffentlich zu entschleiern, wenn der Umweltschutz als Instrument für eine Veränderung unserer Gesellschaft dient. Denn sieht man genau hin, wird dieser immer wieder als ein Vorwand mißbraucht, um unsere Lebensweise, ja selbst jahrhundertealte Bräuche und Traditionen in Frage zu stellen.

Die deutsche Rechte hat nicht nur ein Problem mit dem Thema Naturschutz – hierzulande werden die meisten ihrer Werte als historisch überholt berachtet. Und tatsächlich verlieren traditionelle Kultur, Nation und Nationalstaat durch Konsumismus, Individualismus und Hedonismus, das Internet, die Globalisierung und die Masseneinwanderung zwangsläufig immer mehr an Bedeutung. Sie dagegen sehen für den Nationalkonservatismus eine Zukunft. Wieso? 

Giubilei: Weil, anders als der Eindruck, den Ihre Frage erweckt, die letzten Jahre gezeigt haben, daß gerade der konservative Ansatz in der Lage ist, die großen Herausforderungen unserer Zeit zu meistern! So haben Corona und der Ukraine-Krieg deutlich gemacht, wie wichtig nationale Unabhängigkeit im Bereich strategischer Ressourcen sowie nationale Souveränität sind. Gerade Ihr Land erlebt doch nun, zu was zu große Abhängigkeit vom Ausland führt und welche Frage das für die nationale Sicherheit darstellt. Und die Globalisierung hat gezeigt, daß sie auch negative Seiten hat. Was wiederum die Notwendigkeit der Nationen zeigt, die sozial schwächeren Volksschichten und das unternehmerische Gefüge zu schützen. Und schließlich müssen wir in dieser historischen Zeit unsere Identität verteidigen, die, wie Sie schon festgestellt haben, in vielerlei Hinsicht angegriffen wird. Dazu kommt die Frage der Grenzen und der irregulären Einwanderung. Kurzum, die Argumente für einen konservativen Ansatz sind äußerst vielfältig!

Aber selbst wenn die europäischen Nationen Dekadenz und Migration widerstehen, sind sie nicht einfach zu klein für das 21. Jahrhundert? Schon im 20. Jahrhundert wurden sie von zwei Supermächten verdrängt – nun kommen China und wohl einmal auch das geburtenstarke Indien hinzu, und in Afrika steht das Bevölkerungswachstum vor einer Explosion. Müssen wir also nicht wohl oder übel Nation und Nationalstaat zugunsten eines vereinten Europas aufgeben, wenn wir von diesen Gewalten nicht plattgewalzt werden wollen?

Giubilei: Die Vorstellung des Modells der Vereinigten Staaten von Europa ist nicht der richtige Weg. Vielmehr müssen wir uns Europa als ein Europa der Nationen vorstellen, das Besonderheiten und nationale Identitäten respektiert, indem wir es konföderal ordnen. Eine noch stärkere Zentralisierung in Brüssel bringt keine Lösung. Nehmen Sie die Idee einer europäischen Armee. Was machen wir mit ihr, wenn wir nicht zuerst eine gemeinsame Außenpolitik haben? Nein, wir müssen Europa neu denken, um unter den großen Mächten wettbewerbsfähig zu sein. 

Ja, aber wie soll das aussehen?

Giubilei: Die EU ist heute nicht in der Lage, sich Gehör gegenüber China oder den USA zu verschaffen. Ich sehe ein erhöhtes Risiko des Scheiterns, wenn wir die Verfaßtheit Europas nicht ändern. Dann droht uns Bedeutungslosigkeit, oder, was noch schlimmer wäre, dem Willen anderer unterworfen zu sein. Das Konzept der Souveränität ist und bleibt jedoch national, doch es gibt Felder, wie die Energieversorgung, in denen gemeinsame europäische Lösungen sinnvoll sind – oder die Einwanderung, wenn man versteht, daß das Problem irregulärer Migration nicht nur einzelne Staaten betrifft. 

Auch mit Blick auf Europa haben Sie kurz nach dem Wahlsieg Giorgia Melonis geschrieben, daß „Italien endlich ein neues Kapitel aufgeschlagen hat“. 

Giubilei: Ja, der Sieg der Mitte-Rechts-Parteien bei der Parlamentswahl vor wenigen Wochen und die Wahl Melonis, die sich ja selbst sehr klar als konservativ bezeichnet, zur Ministerpräsidentin sind zweifellos ein positives Zeichen. Und zwar nicht nur für die italienische, sondern auch für die europäische Rechte. Denn ich meine, es besteht die Hoffnung, daß Italien mit dieser Regierung mit der Europawahl 2024 den Beginn eines Wandels in der europäischen Politik verkörpern kann.

Wie kommen Sie darauf? 

Giubilei: Natürlich kann bis dahin noch alles mögliche passieren. Aber wenn es der konservativen italienischen Regierung in den kommenden Jahren gelingt, die wichtigsten Punkte ihres Programms umzusetzen, und zu beweisen, daß sie eine verläßliche Exekutive ist, dann durchbricht sie das Narrativ, daß mit Rechten in der Regierung wer weiß was alles passiert. Und das könnte auch die anderen europäischen Länder beeinflussen.

Allerdings hat Italien seit dem Zusammenbruch seines Nachkriegs-Parteiensytems 1993 etliche rechte Parteien und Listen kommen und gehen sehen – Lega Nord, Forza Italia, MSI/Alleanza Nazionale. Was macht Sie so sicher, daß die Fratelli d’Italia in ein paar Jahren nicht auch nur noch eine Spartenpartei sind?

Giubilei: Eben deshalb – um langfristigen politischen Erfolg zu sichern – ist es so wichtig, die politische Arbeit einer Partei mit einer kulturellen und metapolitischen Strategie zu flankieren. Die aber wird nur Bestand haben, wenn sie auf einer soliden Wertebasis ruht, die unabhängig vom Moment ist. Zudem muß das erwähnte linke Patronagesystem genutzt werden, um Einflußpositionen zu besetzen und eine leitende Schicht aufzubauen. Dies erachte ich sogar als die eigentliche Herausforderung der neuen italienischen Mitte-Rechts-Regierung, Maßnahmen und Personal zu hinterlassen, die Bestand haben.

Wie soll diese „kulturelle und metapolitische Strategie“ funktionieren?

Giubilei: Wir müssen dafür sorgen, daß konservative Themen und Werte, nicht nur in der italienischen, sondern in der Politik überall in Europa einen gebührenden Platz einnehmen. Beispiel EU: sie läßt nicht nur unsere Identität und Traditionen, angefangen bei unseren christlichen Wurzeln, fallen, sondern versucht auch, die Geschichte umzuschreiben und unsere Gesellschaften zu verändern. Und zwar indem sie Themen, die nicht ideologisch angegangen werden sollten, als Beispiel habe ich bereits die Umweltpolitik genannt, als Instrumente zur Revolutionierung der Verhältnisse einsetzt. Darauf müssen wir reagieren, indem wir an Stelle dessen auch eine Revolution setzen, aber eine im umgekehrten Sinne, nämlich eine konservative – also keine jakobinische, sondern eine kulturelle.

Ende November sind Sie zum Berater des Kulturministers ernannt worden. Das klingt nach großem Einfluß. Aber ist es überhaupt möglich, eine solche „Revolution“ aus der Politik heraus zu machen? Ist es nicht vielmehr die Kultur, die die Politik prägt? So gab es etwa nach 1945 in Westeuropa überwiegend starke konservative politische Mehrheiten, gesiegt hat dennoch überall die linke Kulturrevolution. 

Giubilei: Darum ist es nötig, Autoren und Denker von großem kulturellem Wert, die in konservativer Tradition stehen und oft zu Unrecht vergessen sind, wieder einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Sowohl in Italien als auch in Deutschland gab es in den vergangenen Jahrhunderten große Denker, die, nur weil sie nicht links waren, nicht die Anerkennung erhalten haben, die sie verdienen. Es ist unsere Aufgabe, diesen Trend umzukehren.






Professor Francesco Giubilei, ist Präsident der konservativen „Tatarella“-Stiftung und der Denkfabrik „Nazione Futura“.Der außerordentliche Professor der Giustino-Fortunato-Universität Benevento wurde 1992 geboren, hat mehrere Bücher publiziert und ist Autor der Tageszeitung Il Giornale sowie gelegentlicher Kommentator dieses Blattes. Er saß im wissenschaftlichen Beirat zur Zukunft Europas der italienischen Regierung und ist Berater des Kulturministeriums.

 www.giubileiregnani.com

Foto: Giubilei: „Die letzten Krisen haben gezeigt, daß gerade ein konservativer Ansatz in der Lage ist, die großen Herausforderungen unserer Zeit zu meistern“