© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/22 / 16. Dezember 2022

Grün beargwöhnt Blau
Polizeibeauftragter: Wie in vielen Landesparlamenten gibt es eine solche Stelle bald auch im Bundestag / Wunsch der Grünen
Vincent Steinkohl

Weihnachten naht, und für die Grünen geht bald ein lange gehegter Wunsch in Erfüllung. Beim Bundestag wird ein sogenannter Polizeibeauftragter angesiedelt, wahlweise natürlich auch eine Polizeibeauftragte. Im Haushalt des kommenden Jahres sind die Mittel bereits veranschlagt. Auf über 81,5 Millionen Euro beläuft sich der entsprechende Etat. 

Zunächst ist ein sogenannter Aufbaustab vorgesehen, der aus mehreren Stellen besteht. Dazu gehören neben dem Beauftragten selbst, der eine B3-Besoldung und damit rund 9.000 Euro im Monat erhält, noch fünf Mitarbeiter im höheren Beamtendienst (drei Stellen A 15 und zwei A 13) sowie ein Mitarbeiter des gehobenen Dienstes (A 9).

Schon im Koalitionsvertrag hatten sich die Ampel-Parteien festgelegt: „Wir führen eine unabhängige Polizeibeauftragte bzw. einen unabhängigen Polizeibeauftragten für die Polizeien des Bundes als Anlaufstelle beim Deutschen Bundestag mit Akteneinsichts- und Zutrittsrechten ein.“ 

„Bürgernähe und  transparente Fehlerkultur“

Anders als beim Amt des Wehrbeauftragten, der in erster Linie Ansprechpartner und „Kümmerer“ der Soldaten ist, steht für die künftig zu besetzende Stelle die externe Kontrolle im Fokus. Denn es könne seitens der Polizeien des Bundes dazu kommen, „daß im Bürgerkontakt gesetzliche Grenzen überschritten, unverhältnismäßige Gewalt ausgeübt, Menschenrechte verletzt oder einzelne Bürgerinnen und Bürger – beispielsweise im öffentlichen Raum – diskriminiert oder unangemessen behandelt werden“, heißt es seitens der Grünen. Die hatten sich schon in der Vergangenheit – bisher stets vergeblich – im Bundestag für einen unabhängigen Polizeibeauftragten stark gemacht, zuletzt als Oppositionspartei im Jahr 2019. 

Gegenwind kam damals vor allem von Union und AfD. Nach Ansicht von Josef Oster (CDU) war der damalige Antrag Ausdruck eines generellen Mißtrauens gegenüber Polizei und Staat. Deutschland habe kein akutes Problem mit Polizeigewalt, wohl aber mit Gewalt gegen Polizisten, betonte der Abgeordnete aus Koblenz seinerzeit in der Debatte. Es sei daher wichtig, den Beamten den Rücken zu stärken, für den geforderten Beauftragten sah er keine Notwendigkeit. Noch schärfer drückte der damalige AfD-Abgeordnete Lars Herrmann seine Kritik an dem Vorhaben aus. Dieses sei ein „bösartiger Angriff“ auf die Institution Polizei, welche seit jeher ein „Feindbild“ der Grünen sei.

Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) kritisierte damals die Idee. „Juristisch sind die Begriffe ‘strukturelle Mängel’ und ‘Fehlentwicklungen’ nicht definierbar und auch Beispiele sind schwer zu konstruieren.“ Fehlerhaftes Verhalten von Beamten sei alleine auf Einzelpersonen zurückzuführen, vom Streifenpolizisten bis hin zu Entscheidungen eines zuständigen Ministers. Ein Polizeibeauftragter sei zudem nicht nötig, weil der Rechtsstaat, etwa durch Disziplinarverfahren, bereits ausreichende Kontrollmechanismen gegenüber der Polizei habe, schrieb die GdP damals.

Eine Ausnahme innerhalb der deutschen Polizeivertretungen war schon früh der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK). „Der Polizeibeauftragte soll es Kollegen und Opfern von Polizeigewalt leichter machen, Mißstände bei der Polizei anzuprangern. Es kann und darf nicht sein, daß Opfer aus Angst schweigen und daß die Kollegen der Täter aus Angst vor beruflichen Nachteilen und vor einer Isolation in ihrer Polizeidienststelle nicht eingreifen“, sagte der damalige BDK-Vorsitzende André Schulz der Bild. 

Nach mehreren Versuchen findet sich nun das Herzensprojekt der Grünen im Koalitionsvertrag der Ampelregierung. Ziel sei es, „Bürgernähe und eine transparente Fehlerkultur“ zu stärken, indem schon bei der Ausbildung angehender Polizisten „die Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, insbesondere der Grund- und Menschenrechte“ verstärkt vermittelt würden, heißt es dort.

In sieben Bundesländern gibt es eine solche Stelle bereits, die direkt beim jeweiligen Landtag angesiedelt ist: In Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein wird der Polizeibeauftragte vom Landtag gewählt und von den Landtagspräsidenten ernannt. Die Befugnisse des jeweiligen Beauftragten unterscheiden sich dabei kaum. Ein Beanstandungsrecht bei mutmaßlich rechtswidrigen Polizeimaßnahmen gehört ebenso zum Repertoire der Landespolizeibeauftragten wie die Dokumentierung und Weitergabe zur Einleitung eines Straf- oder Disziplinarverfahrens gegen Polizisten, die im Verdacht stehen, sich eines dienstlichen Vergehens schuldig gemacht haben. 

Grundsätzlich sollen alle Beteiligten angehört werden, bevor weitere Schritte geprüft werden. Auch können die jeweiligen Polizeibeauftragten jederzeit sämtliche Polizeidienststellen ihres Landes betreten, um sich ein Bild von der Arbeit der Beamten zu machen. So ist es auch beim neu zu schaffenden Amt auf Bundesebene geplant. Eine Ausnahme bildet hierbei Baden-Württemberg. Die dortige Bürger- und Polizeibeauftragte Beate Böhlen sagte der JUNGEN FREIHEIT, sie habe derzeit keine Befugnis, Polizeidienststellen zu betreten, jedoch sei geplant, ein Betretungsrecht einzuführen.

In Brandenburg wird die Einrichtung eines Polizeibeauftragten noch diskutiert. Sechs Bundesländer haben vergleichbare Beschwerdestellen, die auch für die Polizei zuständig sind, aber nicht als unabhängiges Organ im Landtag, sondern in die jeweiligen Landesbehörden integriert sind. Dies ist der Fall in Hamburg, Niedersachsen, Nord-rhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Nur das Saarland und Bayern gehen einen Sonderweg, dort gibt es keine Einrichtungen dieser Art.

Amt ist „überflüssig, aber wenig schädlich“

Im Freistaat Bayern wurde 2010 ein Antrag der Freien Wähler abgelehnt, der einen Polizeibeauftragten forderte. Zudem legte die Grünen-Fraktion im Oktober 2020 einen Gesetzentwurf vor, der die Einführung eines Polizeibeauftragten anstrebte, jedoch scheiterte. Auch zwei Abgeordnete der AfD im Maximilianeum beantragten im Oktober 2020 die Schaffung einer solchen Stelle. „Die Aufgaben der Landespolizei werden immer zahlreicher und komplexer. Sie soll die bestehenden Gesetze und Verordnungen durchsetzen und im Rahmen der Verbrechensaufklärung zeitnah Erfolge erzielen.“ Hierbei komme es nicht zu selten „zu Konflikten mit Bürgern“. Die Polizeibeamten gerieten zunehmend ins „Kreuzfeuer der Kritik und werden Ziel von tätlichen Angriffen oder medialer Stigmatisierung“. Der Polizeibeauftragte solle daher „gleichermaßen Ansprechpartner für Bürger sowie für Polizeibeamte“ sein und das „partnerschaftliche Verhältnis zwischen Bürgern einerseits sowie der Polizei andererseits“ stärken, hieß es in dem Antrag.

Gegenüber der jungen freiheit betonte die bayerische AfD jedoch, die Fraktion lehne die Einführung eines Polizeibeauftragten ab. Warum einzelne Abgeordnete eine andere Auffassung hätten, erschließe sich ihnen nicht. Einer der beiden damaligen Antragsteller, Christian Klingen, hat die Partei inzwischen verlassen und ist seitdem fraktionslos.

Während sich Befürworter von einer solchen Stelle mehr Transparenz versprechen und glauben, dadurch das Verhältnis zwischen Bürgern und Sicherheitskräften zu stärken, üben vor allem deren Standesvertreter Kritik an dem Vorhaben. „Die Polizei verfügt über eine Fülle von Institutionen, an die sich Einsatzkräfte wenden können, wenn es Anlaß zu Beschwerden oder anderen Gesprächen gibt“, meint etwa der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, gegenüber der jungen freiheit. Der Polizeibeauftragte sei ein politischer Kampfbegriff der parlamentarischen Linken, „der die Polizei diskreditieren und unter Generalverdacht stellen soll“. Ziel sei es, den Beamten permanent rechtswidrige Polizeigewalt zu unterstellen, ist Wendt überzeugt. Dies sei eine Behauptung, die angesichts sorgfältiger Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaften in Deutschland immer wieder als „absurd“ bezeichnet werden müsse.

Mit Blick auf die bisherigen Erfahrungen in den Ländern äußert sich der langgediente Ordnungshüter und erfahrene Interessenvertreter. „Die Polizeibeauftragten in den meisten Ländern sind darum bemüht, für Polizeibeschäftigte Ansprechpartner zu sein und haben sich in ihrer Arbeit durchaus Anerkennung in der Belegschaft erworben“, so Wendt. Das liege vor allem daran, daß diese „dem ursprünglichen Ziel der Politik, gegen die Einsatzkräfte zu ermitteln und als ‘Nebenstaatsanwaltschaft’ bei ihren ‘Ermittlungen’ zu politisch gewünschten Ergebnissen zu kommen, nicht gefolgt“ seien. 

Und was wird sich seiner Meinung nach auf Bundesebene ändern, wenn kommendes Jahr der Wunsch der Grünen endlich auf Steuerzahlerkosten in Erfüllung geht? „Die Ampelregierung wird den Polizeibeauftragten einführen, weil es ideologisch gewollt ist, nicht weil es irgendeinen Anlaß dazu gibt“, ist Polizeigewerkschafter Wendt überzeugt.  „Überflüssig, aber wenig schädlich, die Polizei wird damit umgehen“, lautet sein Fazit.