© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/22 / 16. Dezember 2022

Ländersache: Nordrhein-Westfalen
Unsanftes Ende für sanfte Riesen
Paul Leonhard

Noch wirbt das Wittgensteiner Land mit dem Slogan: „Sei zu Gast bei den sanften Riesen.“ Wo sonst in Deutschland kann man Wisenten in freier Wildbahn begegnen? Zwei Herden sind das Ergebnis eines vor knapp 20 Jahren von Richard zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg angestoßenen Projektes, das die Wiederansiedlung von Auerochsen vorsieht. Nachdem mit deutscher Gründlichkeit ein Verein gegründet, Verträge ausgehandelt und Versicherungen abgeschlossen waren, wurden im März 2010 die ersten Tiere ausgewildert. 

Und denen gefällt es in der Region. Die Herde wuchs, allerdings wilderten die 25 Tiere bald aus den ihnen zugedachten 130 Quadratkilometern Wald im Kreis Siegen-Wittgenstein aus, streiften durch das benachbarte Sauerland, was über die Jahre zu Baumschäden von mindestens 70.000 Euro führte, den Waldbauern aus dem Schmallenberger Raum gegenüber dem Trägerverein geltend machten. Der daraufhin eingerichtete Wildschadensfonds läßt eine jährliche Auszahlung von 50.000 Euro zu.

Gleichzeitig beschäftigte acht Jahre lang die Justiz, ob von Auerochsen angerichtete Schäden geduldet werden müssen. Das Oberlandesgericht Hamm kam im September 2016 zu der Einschätzung, „daß die Tiere seit einiger Zeit wahrscheinlich wild und herrenlos sind“. Ein Jahr später verkündeten die Richter, der Verein müsse die Wisente einfangen. Da dies aber nach dem Bundesnaturschutzgesetz „grundsätzlich verboten“ ist, müsse der „auswildernde Verein als Störer“ bei der zuständigen Behörde eine Ausnahmegenehmigung beantragen. 

Die Richter am Bundesgerichtshof erkannten dann, daß einerseits die Freisetzungphase nicht endlos in die Länge gezogen werden könne, danach aber die Duldungspflicht der Waldbauern ende. Damit wurde das Verfahren an das OLG zurücküberwiesen, und kürzlich ging das Verfahren so aus, daß der Verein sich veranlaßt sieht, „seinen Besitzwillen“ aufzugeben. Denn dafür zu sorgen, daß freilebende Wisente keine Bäume privater Waldbauern mehr schädigen, sei unmöglich.

„Zur Abwehr von möglichen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen von Klägern gegen das Artenschutzprojekt“ sowie als letzte Möglichkeit, „den Wisenten im Rothaargebirge eine Zukunft in Freiheit zu geben“, kündigte der Trägerverein Wisent-Welt-Wittgenstein den Vertrag und bezeichnete das Wiederansiedlungsprojekt kurzerhand als abgeschlossen. Im Kreis Siegen-Wittgenstein mokierte man sich über diesen „rechtlichen Kniff“ und teilte mit, die „Voraussetzungen für ein auf Dauer angelegtes Ansiedeln der Wisente“ seien „nicht gegeben“. Das Projekt müsse beendet werden, weil es nicht möglich sei, „einen Konsens für eine Weiterführung in der Region herzustellen“.

Die „herrenlosen Tiere“ fallen damit in die Zuständigkeit des Landes Nordrhein-Westfalen. Im dortigen Naturschutzministerium ist man alles andere als begeistert – auch angesichts der drohenden Entschädigungsforderungen. Und mit Blick auf die strengen europäischen Artenschutzregelungen ist vor allem eines klar: Wisentfilet Sous Vide, gegart mit Kartoffeln, Buttermöhren und Wildjus darf auf jeden Fall nicht die Lösung sein.