© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/22 / 16. Dezember 2022

Thronbesteigung abgeblasen
Reichsbürger: Die größte Razzia der Bundesrepublik sorgt für viel Spekulation und bisher wenig Belastbares
Henning Hoffgaard / Christian Vollradt

Panzerketten rasseln durchs Regierungsviertel, an Straßensperren kontrollieren Soldaten mit vorgehaltenem Gewehr, wer passieren darf und wer nicht. Auf offenen Miliärlastern werden Abgeordnete abtransportiert und im Fernsehen präsentiert sich eine ordensbehängte Generalsjunta mit dunklen Sonnenbrillen, um ein Kommuniqué „zur Rettung des Vaterlands“ zu verlesen. 

Solche Assoziationen mögen auftauchen, wenn von einem geplanten Putsch oder Staatsstreich die Rede ist. Und so gesehen haben die deutschen Sicherheitsbehörden vergangene Woche gerade noch einmal das Schlimmste verhindert, als die mit 3.000 eingesetzten Beamten größte Razzia in der Geschichte der Bundesrepublik stattfand. Man habe in einen „Abgrund an Terrorismus“ geschaut, gab Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zu Protokoll.

Eine Woche nach der schlagzeilenträchtigen Aktion wird immer klarer: Von Szenen wie oben war das Land weit entfernt. Nun ist die bloße Anzahl der Verdächtigen oder die Tatsache, daß sie krude und unrealistische Pläne zur Machtübernahme hegten per se noch kein Beleg dafür, sie seien harmlos.  Auch wenige Leute können viel Unheil anrichten. Das bewiesen nicht nur die Amokläufer von Hanau oder von Halle, sondern auch Anis Amri, der islamistische Attentäter auf den Berliner Weihnachtsmarkt, um nur einige Beispiele zu nennen.

„Reichsregierung“ und „militärischer Arm“ zerstritten?

Doch bereits der Umstand, daß zahlreiche Journalisten vorab im Bilde waren und Kameraleute den Polizeieinheiten dicht auf den Fersen waren, zeigt, daß von einer konkreten Anschlagsgefahr nicht auszugehen war. Im Gegenteil. Es scheint, das Leck saß oben, die Informationen wurden mit Wissen oder zumindest Duldung der Verantwortlichen durchgestochen. Die Frage ob dem Verdacht eines Verrats von Dienstgeheimnissen nachgegangen werde, blockte ein Sprecher des Bundesjustizministeriums ab.

Daß die Behörden die Macht der Bilder in ihr Vorgehen bewußt einkalkulierten, ist offenkundig. „Show of Force“ nennt man das, wenn Militärs das „ganz große Besteck“ herausholen und schwere Waffen zeigen, um den Gegner einzuschüchtern und die eigenen Reihen zu beeindrucken – auch ohne daß ein Schuß fällt. So ähnlich wirkte manche Aktion am vergangenen Mittwoch. Sicherlich sind Spezialeinsatzkräfte vonnöten, wenn Waffen im Haus vermutet werden, das durchsucht werden soll. In der Vergangenheit eröffneten Reichsbürger oder militante Selbstverwalter das Feuer auf Beamte, in Bayern kam dabei ein Polizist ums Leben. 

Ob es allerdings verhältnismäßig ist, daß eine zweistellige Zahl schwerbewaffneter Beamter einer Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit anrückt, um einen halben Tag lang das Haus einer Person zu durchsuchen, die überhaupt nicht beschuldigt, sondern nur als Zeuge herangezogen wurde und bei der man am Ende lediglich ein Mobiltelefon zwecks Auswertung mitnahm?

Was ansonsten gegen die Gruppe der verdächtigen Reichsbürger bisher ermittelt wurde, dazu hüllt sich die federführende Bundesanwaltschaft mit Hinweis auf das laufende Verfahren in Schweigen. Etwas mehr erfuhren die Mitglieder des Innenausschsses im Bundestag, als sie – in Abwesenheit der Innenministerin – durch Vertreter von Bundesanwaltschaft sowie die Präsidenten des Bundeskriminalamtes und des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Holger Münch und Thomas Haldenwang, unterrichtet wurden. Dabei kam auch heraus, daß die Zahl der gefundenen Waffen offenbar höher liegt als bisher bekannt. So wurden mindestens 25 scharfe Langwaffen (Gewehre) konfisziert. Bei den gefundenen Faustfeuerwaffen gibt es widersprüchliche Informationen. Während mal von neun Pistolen berichtet wird, schreiben andere von 19. Wie viele davon illegal beschafft wurden, ist noch Teil der Ermittlungen. Die rund 200 Schußwaffen eines beschuldigten Händlers sind nach Informationen der JUNGEN FREIHEIT ausdrücklich nicht Teil der Ermittlungen des Generalbundesanwalts.

Neben einem Sturm des Reichstags sollen die Verschwörer um den in Untersuchungshaft sitzenden Prinz Heinrich XIII. Reuß auch „Säuberungen“ auf kommunaler Ebene, beispielsweise unter Bürgermeistern, geplant haben. Zuletzt hätten sich der „militärische Arm“ und die vorgesehenen Mitglieder der neuen „Reichsregierung“ über das weitere Vorgehen zunehmend zerstritten. Bisweilen skurril sei es im Innenausschuß gewesen, daß die Behördenvertreter stets die Terminologie der Reichsbürger verwendet hätten.

Anlaß der Großrazzia war offenbar keine akute Gefahrenlage, sondern die Tatsache, daß die Bundesanwaltschaft zu diesem Zeitpunkt genug Nachweise gesammelt hatte, um die Betreffenden der Bildung einer terroristischen Vereinigung anzuklagen. Verbindungen zu anderen Organisationen, die bereits im Visier des Generalbundesanwalts standen, hatten sie offenbar nicht.

Eine Zahl ließ noch aufhorchen: Mehr als 280 „Heimatschutzkompanien“ wollten die in der vergangenen Woche festgenommenen Reichsbürger aufstellen, um nach dem Staatsstreich die Kontrolle zu übernehmen. Dazu sollen sie bereits in Baden-Württemberg, Thüringen und Sachsen entsprechende Kasernen der Bundeswehr ausgekundschaftet haben. Allerdings scheiterten die Rekrutierungsbemühungen der in der vergangenen Woche festgenommenen Reichsbürger ganz offenkundig auf ganzer Linie. Für die auf dem Papier geplanten Verbände fanden sie bis zur Razzia nach Informationen der jungen freiheit aus Kreisen des Innenausschusses des Bundestags nur eine niedrige einstellige Zahl von Personen. Insgesamt soll der vom Generalbundesanwalt so bezeichnete „militärische Arm“ alles in allem acht Personen umfaßt haben.

Und dann sind da noch die „Elitesoldaten“, von denen in vielen Berichten die Rede ist. Doch so elitär wie behauptet, sind die bisher bekanntgewordenen Akteure nicht. Der festgenommene Survivaltrainer und „Wolfszeit-Naturkraft“-Blogger Peter W. war Fallschirmjäger-Offizier. Genauso der ebenfalls in Untersuchungshaft befindliche Rüdiger von P., der einst das Fallschirmjägerbataillon 251 kommandierte, bevor er wegen Waffenverschiebereien aus der Bundeswehr flog. 

Und Oberst a.D. Maximilian E., der in Uniform bei Querdenken-Demonstrationen auftrat, war zwar im Stab des Kommandos Spezialkräfte (KSK), als das aufgebaut wurde, führte aber zuvor Panzergrenadiere. Ebensowenig Kommandosoldat ist auch der verhaftete Feldwebel-Dienstgrad, der als Logistiker in der Einheit diente – und den die Einheit dem Venehmen nach schon längere Zeit loswerden wollte. 

„Verfassungsfeinde  schneller entfernen“

Besonders herausgefordert ist unterdessen die AfD. Nicht zuletzt wegen der personellen Überschneidungen. Prominent die verhaftete ehemalige Berliner Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann. Sie habe einen Teil der Gruppe zum Auskundschaften als Besucher in den Bundestag schleusen wollen, hieß es. Auf dieses angeblich abgeblasene Unterfangen ging man im Innenausschuß jedoch nicht weiter ein. Aus Kreisen von Grünen und FDP wurde unterdessen eine weitere Verschärfung der Zutrittsregelungen im Bundestag ins Spiel gebracht.

Während Malsack-Winkemann von der Bundespartei nicht mehr als Beisitzerin des Schiedsgerichts geführt wird, kündigte die AfD an, vor weiteren Strafmaßnahmen gegen ihr Mitglied Akteneinsicht beim Generalbundesanwalt zu beantragen. Unterdessen suspendierte der hessische Landesverband die Mitgliedschaft einer Frau, die im Zuge der Razzia festgenommen wurde. Sie soll als „Ministerin für Transkommunikation und Spirituelles“ vorgesehen worden sein. „Die Reichsbürger stehen auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD, daher wurde ihre Mitgliedschaft, als uns der Vorgang bekannt wurde, annulliert“, sagte AfD-Landeschef Robert Lambrou.

Inwieweit die aufsehenerregenden Maßnahmen  angemessen waren oder nicht, können nur die weiteren Ermittlungen und vor allem ein darauf folgender Prozeß ergeben. Denn dann müssen die Beweise auf den Tisch. Es gab in der Vergangenheit durchaus Fälle, in denen mit der Zeit immer weniger übrigblieb von dem, was zu Beginn als Terrorgefahr bezeichnet wurde. So wurden fast alle Verfahren gegen Mitglieder der Prepper-Gruppe „Nordkreuz“ eingestellt, ins Gefängnis mußte keiner der Männer, von denen es anfangs hieß, sie hätten Todeslisten geführt. Und wieviel Interesse erfährt das derzeit noch größte Terrorismusverfahren in Deutschland, das seit über hundert Prozeßtagen am Stuttgarter Oberlandesgericht verhandelt wird? Dort geht es um die sogenannte Gruppe S., deren Mitglieder laut Anklage geplant haben sollen, bewaffnet Moscheen anzugreifen, Politiker zu ermorden und einen Bürgerkrieg anzuzetteln. Bei der Beweiserhebung kamen allerhand abstoßende Chatnachrichten zur Sprache, doch viele Tatvorwürfe scheinen in erster Linie auf den Aussagen eines Polizeispitzels aus dem Kriminellenmilieu zu basieren.

Für Innenministerin Faeser genauso wie für ihre Kabinettskollegin Christine Lambrecht im Verteidigungsressort bietet sich die Gelegenheit, längst ins Auge gefaßte Vorhaben nun als besonders dringlich zu beschleunigen: Das gilt für die Verschärfung des Waffenrechts, die schon Teil des im Frühjahr vorgestellten „Aktionsprogramms gegen Rechtsextremismus“ ist. Und es gilt für das, was Faeser im Mai bereits angekündigt hatte: einen Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesdisziplinargesetzes, um „Verfassungsfeinde schneller als bisher aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen.“ Diesem Ziel dient auch Lambrechts Ankündigung, die sie knapp eine Woche nach der bundesweiten Razzia öffentlich machte: Künftig soll, so ihr Plan, auch bei Berufs- genauso wie jetzt schon bei Zeitsoldaten eine Entlassung durch einen schlichten Verwaltungsakt ohne zeitintensive gerichtliche Disziplinarverfahren möglich sein. 

Im Frühjahr hatte Faeser gemeinsam mit Verfassungsschutzchef Haldenwang auch aktuelle Zahlen zu Verdachtsfällen von Reichsbürgern in den Sicherheitsbehörden vorgestellt. Für den Bund belief sich die Gesamtzahl auf 30, in den Behörden aller Bundesländer auf 27 Prüf- sowie 18 Verdachts- oder erwiesene Fälle.

Foto: Eine Verdächtige (2.v.r.) wird von Polizisten aus dem Hubschrauber zur Vernehmung bei der Bundesanwaltschaft gebracht: Inwieweit das Vorgehen der Behörden verhältnismäßig war, kann sich erst aus einem Prozeß ergeben