© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/22 / 16. Dezember 2022

Tragödie auf dem Schulweg
Illerkirchberg: Schon zum zweiten Mal wird das beschauliche Städtchen in Baden-Württemberg zum Schauplatz migrantischer Gewalt – der Mord an einer 14jährigen Schülerin läßt viele Menschen vor Ort verzweifelt zurück
Florian Werner / Vincent Steinkohl

Kemal Kizilöz ringt um Fassung. „Im Türkischen heißt es: Hier sind die Worte zu Ende. Es gibt keinen Satz dafür“, bringt er stockend hervor. Kizilöz ist der Onkel der 14jährigen Ece S. Das Mädchen wurde auf dem Schulweg erstochen. Zum zweiten Mal innerhalb von drei Jahren ist das kleine Örtchen Illerkirchberg somit zum Schauplatz brutaler Migrantengewalt geworden. Die JUNGE FREIHEIT rekonstruiert die Verbrechen, die das Dorf in Aufruhr versetzen.

Rückblick: Am 5. Dezember um 7.30 Uhr morgens spaziert Ece S. laut der Staatsanwaltschaft gemeinsam mit ihrer 13jährigen Freundin zur Schule, als auf einmal ein Mann auf sie zustürmt und die Mädchen mit einem Messer attackiert. Zeugen alarmieren die Polizei, woraufhin der Täter die Flucht ergreift. Die eintreffenden Notärzte kämpfen um die zwei jungen Leben. Ece kann vor Ort reanimiert werden, bevor sie in die Klinik transportiert wird. Doch es ist vergebens, sie stirbt. Ihre Freundin überlebt den Angriff schwer verletzt.

Der mutmaßliche Täter wird später in einer nahegelegenen Flüchtlingsunterkunft festgenommen: ein Mann aus Eritrea. Die Staatsanwaltschaft erwirkt einen Haftbefehl wegen Mordes und versuchten Mordes. Inzwischen ermittelt der „Sonderstab Gefährliche Ausländer“. Seitdem steht das Leben der Menschen in der 5.000-Seelen-Gemeinde in Baden-Württemberg kopf. „Natürlich ist das ein Versagen der Migrationspolitik in Deutschland“, regt sich der Dachdecker Kizilöz im Gespräch mit einem Reporter des Online-Formats „Achtung, Reichelt!“ auf. Auch eine Bekannte der Familie zeigte sich der JUNGEN FREIHEIT gegenüber kurz nach der Tat erschüttert. „Es ist alles so grauenvoll, die Eltern haben Beruhigungsmittel bekommen, sie sollen noch an ihrem Bett in der Klinik gewacht haben, aber wir alle wissen noch nichts Genaues.“

Der blutige Mord steht in krassem Kontrast zu dem Bild, das die kleine Gemeinde sonst abgibt. Das Städtchen Illerkirchberg liegt im Alb-Donau-Kreis nahe Ulm. Wer Illerkirchberg besucht, kann dort etwa das Fugger-Schloß mit der 1514 von Jakob Fugger erbauten Sebastiankirche im Ortsteil Oberkirchberg besuchen. Im Stadtrat ist die CDU die stärkste Partei. Der parteilose Bürgermeister Markus Häußler zeigte sich tief betroffen von der Messerattacke auf die Schülerin mitten im Ort. Gleichzeitig bat er seine Mitbürger in einem offenen Brief: „Nehmen Sie Geflüchtete aller Nationen nicht in Generalverdacht, sondern begegnen Sie ihnen offen und schreiten Sie ein, wenn Sie Zeuge von Grenzüberschreitungen werden.“ Bereits am Tag des Mordes rief auch die Polizei dazu auf, „keinen Generalverdacht gegen Fremde, Schutzsuchende oder Asylbewerber allgemein zu hegen oder solchem Verdacht Vorschub oder Unterstützung zu leisten“. Überall im Ort sind unterdessen bunte Schilder mit der Aufschrift „Wir in Illerkirchberg trauern und stehen für Frieden, Solidarität und Toleranz“ aufgetaucht. Im SWR äußert sich ein Anwohner über die Migranten in Illerkirchberg: „Wir haben diese Menschen so lange betreut und es ist so schlimm, daß wir von so etwas betroffen sind – aber noch schlimmer finden wir diese rechte Hetze, die jetzt unseren Ort trifft“.

Der Unmut über die Politisierung der Ereignisse wächst immer mehr

Dabei nahmen an einer Mahnwache der AfD im Ortskern lediglich 120 Menschen teil, gedachten der erstochenen Ece S. und legten Blumen am Tatort nieder. Rings um die Szenerie hielten Menschen Schilder mit der Aufschrift „Wir haben keinen Platz für rechten Haß“ in die Höhe. Kemal Kizilöz hat für diesen Protest nur wenig Verständnis. Alles gleich als „rechts“ zu diffamieren, was einem nicht gefalle, sei inzwischen zu einer „Mode“ geworden. Unterm Strich sei den Leuten doch egal, was draußen auf der Straße passiere. Allerdings hatte auch die rechtsextreme Partei „Der Dritte Weg“ zu einer Kundgebung vor Ort aufgerufen. 200 Menschen aus Illerkirchberg und Umgebung versammelten sich darafhin zum Protest gegen die 20 Radikalen. Allgemein scheint sich Unmut über die zunehmende Politisierung des Tötungsverbrechens zu regen.

Mehr als tausend Kerzen stehen unterdessen schon an dem Ort in Illerkirchberg, wo das Leben der jungen Deutschen ein jähes Ende fand. Dort treffen Journalisten des Magazins Focus auch auf Kemal Kizilöz. Seine Nichte wurde inzwischen nach alevitischem Ritus beerdigt. Kizilöz habe sie persönlich ins Grab gebettet. „Das hat mir das Herz gebrochen.“ Da Ece S. türkische Wurzeln hatte, kam auch der Botschafter der Türkei in Berlin, Ahmet Başar Şen, für einen Kondolenzbesuch in den Südwesten.

Auch in der Bundespolitik ist der Fall derweil angekommen. AfD-Chefin Alice Weidel forderte bereits, die Sicherheit der Bürger im öffentlichen Raum müsse endlich wiederhergestellt werden –, was der Bundestagsabgeordnete der Linken Bernd Riexinger seinerseits mit den Worten konterte, die AfD solle „den Mund halten“ und nicht mehr gegen Flüchtlinge „hetzen“. Rhetorische Breitseiten wie diese wirken allerdings sehr weit weg im kleinen Illerkirchberg, wo gerade ein junges Mädchen ermordet worden ist.





Es kracht gewaltig zwischen Baden-Württemberg und dem Bund. Der Mord von Illerkirchberg verschaffte dem kleinen Ort zuletzt traurige Berühmtheit, doch bereits 2019 wurde das rund zehn Kilometer südlich von Ulm gelegene Städtchen Schauplatz einer Gewalttat durch Zuwanderer. Damals setzten fünf Männer zwischen 15 und 26 Jahren aus Afghanistan und dem Irak eine 14jährige unter Drogen und vergewaltigten sie anschließend mehrfach in einer Flüchtlingsunterkunft. Vier der fünf Täter wurden im März 2021 vom Landgericht Ulm zu Haftstrafen von jeweils zwei Jahren und zwei Monaten sowie zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Gegen einen ebenfalls an dem Verbrechen beteiligten Iraker, der zum Tatzeitpunkt 15 Jahre alt war, wurde die Anklage fallengelassen, weil dieser sich auf einen Täter-Opfer-Ausgleich eingelassen hatte. 

Einer der Verurteilten, der mittlerweile 29jährige Afghane Mukhtar N., hat inzwischen seine Haftstrafe verbüßt und ist wieder auf freiem Fuß. Am 25. Januar dieses Jahres landete er in Abschiebehaft. Doch weil im August 2021 die Taliban die Macht am Hindukusch wiedererlangen konnten, setzte die damalige Bundesregierung Abschiebungen nach Afghanistan aus. „Die Sicherheitslage vor Ort ändert sich derzeit so rasant, daß wir dieser Verantwortung weder für die Rückzuführenden noch für die Begleitkräfte und die Flugzeugbesatzung gerecht werden können“, sagte der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU).

Für Mukhtar N. hatte das zur Folge, daß er in Deutschland bleiben durfte. Schon damals hatte der Fall für Streit zwischen Baden-Württemberg und Berlin gesorgt. In einem Schreiben an das Bundesinnenministerium von Dezember 2021 wies der damalige Justizstaatssekretär von Baden-Württemberg, Siegfried Lorek (CDU), darauf hin, daß die Polizei Mukhtar N. eine „Rückfallgefahr für Sexualstraftaten zum Nachteil unbekannter junger Frauen“ attestiert hatte und forderte deshalb seine Rückführung nach Afghanistan. Der Bund ignorierte den Appell.

Politiker warnen: „Unsere Kapazitätsgrenze ist erreicht“

Baden-Württembergs Justizministerin Marion Gentges (CDU) bekräftigte die Forderung ihres Amtsvorgängers im Oktober. „Ich halte es für unabdingbar, daß Abschiebungen nach Afghanistan von Gefährdern und Personen, die schwere Straftaten begangen haben, zügig wieder aufgenommen werden“, forderte sie in einem Brief an das Bundesinnenministerium, welcher der Welt vorliegt. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) ging bisher nicht darauf ein.

Die Situation in Illerkirchberg paßt zu der schwierigen Lage, die Baden-Württemberg dieser Tage erlebt. Insgesamt hat das Bundesland vom Beginn des Ukraine-Kriegs an bis Ende November bereits über 140.000 Menschen aus der Ukraine aufgenommen. 22.000 Asylbewerber aus anderen Weltregionen kamen dazu. Deren Hauptherkunftsländer sind laut Justizministerium Syrien, die Türkei und Afghanistan. „Bei einem durchschnittlichen Zugang Geflüchteter aus der Ukraine von rund 240 Personen pro Tag ist in der Erstaufnahme des Landes, Wochen vor der erfahrungsgemäß zugangsstarken Herbstsaison, die Kapazitätsgrenze erreicht“, hieß es bereits im August in einer Stellungnahme von Justizministerin Gentges. Im März dieses Jahres kehrte N. nach seiner verhinderten Abschiebung nach Illerkirchberg zurück.  „Niemand hat uns darüber informiert, niemand schützt uns“, sagte eine Anwohnerin gegenüber der Bild. Inzwischen ist ihm das Medieninteresse an seiner Person wohl zu viel geworden und er hat den Ort verlassen. Einem Reporter der Bild sagte er am Telefon: „Keiner darf wissen, wo ich bin.“





Abschiebestopp für afghanische Flüchtlinge

Seit August 2021 werden keine Flüchtlinge mehr aus Deutschland nach Afghanistan abgeschoben. Hintergrund der Entscheidung war der Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan. „Wer kein Aufenthaltsrecht hat, muß Deutschland wieder verlassen. Aber ein Rechtsstaat trägt auch Verantwortung dafür, daß Abschiebungen nicht zur Gefahr für die Beteiligten werden“, erläuterte der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) den Schritt. Asyllobbyisten hatten zuvor immer wieder argumentiert, daß die Rückführung von afghanischen Flüchtlingen in ihre Heimat zu Gewalt führen könne. „Die quantitative Analyse belegt, daß von denjenigen, die länger als zwei Monate im Land waren und zu denen Informationen vorliegen, über 50 Prozent wegen ihres Aufenthalts in Europa von Gewalt gegen sie oder ihre Familien betroffen waren“, betonte beispielsweise die katholische Diakonie in einer Studie vom Juni vergangenen Jahres. Bis zum November dieses Jahres sind knapp 31.000 Afghanen hierzulande angekommen. Zahlen des Statistischen Bundesamts zufolge leben damit derzeit an die 310.000 Ausländer mit afghanischem Paß in Deutschland. Einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zufolge liegt die Erwerbstätigenquote von afghanischen Migranten, die seit fünf oder mehr Jahren in Deutschland leben, bei etwa 44 Prozent. Mehr als die Hälfte der Flüchtlinge aus Afghanistan gehen also auch nach fünf Jahren Aufenthalt hierzulande keiner Arbeit nach. 89 Prozent der afghanischen Flüchtlinge verfügen bei ihrer Ankunft in Deutschland weder über eine abgeschlossene Berufsausbildung noch über ein Studium. 57 Prozent der Afghanen haben nicht einmal die Schullaufbahn bis zum Ende durchlaufen, wie die IAB-Studie vom vergangenen Jahr nahelegt. Gleichzeitig sind afghanische Migranten neben syrischen Flüchtlingen überproportional häufig in Vergewaltigungsdelikte und schwere Gewaltverbrechen verwickelt. (fw)