© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/22 / 16. Dezember 2022

Nicht immer makellos und unbescholten
EU-Parlament: Die Korruptionsvorwürfe der EU-Vizepräsidentin Evdoxia „Eva“ Kaili erschüttern Brüssel
Albrecht Rothacher

Am vergangenen Freitag platzte die Bombe. Die griechische EU-Abgeordnete und eine der vierzehn Vizepräsidenten des EU-Parlaments Evdoxia „Eva“ Kaili (Pasok) wurde mit fünf anderen Personen von der Brüsseler Bundesstaatsanwaltschaft festgenommen und wegen Geldwäsche, Korruption – bei der es um eine angebliche illegale Einflußnahme Katars geht – und Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung angeklagt. Zwei der sechs festgenommenen Personen wurden wieder freigelassen – darunter Kailis Vater, der mit einem Koffer voller Bargeld erwischt wurde. 

Entsetzt sprach die Präsidentin des EU-Parlaments, Roberta Metsola, am Montag von „Feinden der Demokratie“. „Diese bösartigen Akteure, die mit autokratischen Drittländern in Verbindung stehen, haben angeblich Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften, Einzelpersonen, Assistenten und Mitglieder des Europäischen Parlaments als Waffe eingesetzt, um unsere Prozesse zu unterdrücken“, betonte die Maltekin und fuhr fort: „Deren bösartige Pläne sind gescheitert.“ Zum Schutz der „Integretät“ des EU-Parlaments und als Vorsichtsmaßnahme habe sie, „wiederum unter voller Wahrung der Unschuldsvermutung“, Kaili von allen Aufgaben und Verantwortlichkeiten, die mit ihrer Rolle als Vizepräsidentin zusammenhängen, entbunden. Außerdem sei die geplante Eröffnung des Verhandlungsmandats für den Bericht über die Befreiung von der Visumpflicht mit Katar und Kuwait in Anbetracht der Ermittlungen an den Ausschuß zurückverwiesen worden. Während Kailis Anwalt alle Vorwürfe gegen seine Mandantin zurückwies, beschloß das EU-Parlament am Dienstag mit 625 Ja-Stimmen, einer Nein-Stimme und zwei Enthaltungen, die Amtszeit von Vizepräsidentin Eva Kaili zu beenden.

Das Problem sind die Diplomaten und staatlichen Repräsentanten 

Integrität? Makellosigkeit, Unbescholtenheit, Unbestechlichkeit? Im Gegensatz zu den langweiligen Eurokraten der EU-Kommission und den grauen Diplomaten des Ministerrats ist das Europäische Parlament mit seinen 705 Männern und Frauen die unterhaltsamste, gleichzeitig aber auch die am meisten moralisierende und verschwenderische EU-Institution. So bauten sich ihre ehemaligen Präsidenten Hans-Gert Pöttering (CDU) und Martin Schulz (SPD) in Gestalt eines „Europäischen Hauses der Geschichte“ und des Besucherzentrums „Parlamentarium“ in Brüssel inhaltsleere überteuerte Denkmäler mit doppelstelligen Millionenbeträgen. 

Die bereits erwähnte Roberta Metsola (EVP) ernannte ihren Kabinettschef Alessandro Chiocchetti in einer Nacht-und-Nebel-Aktion im September ohne Ausschreibung zum wohlbestallten Generalsekretär des Parlaments, seinem obersten Beamten. 

Müssen sich Lobbyisten in Brüssel mittlerweile registrieren lassen und alle ihre Kontakte mit Kommissionsdienststellen – sehr theoretisch – gemeldet und protokolliert werden, so gilt dies nicht für Diplomaten und andere Repräsentanten von Drittstaaten. Am schamlosesten funktioniert dies im Ministerrat, und dort in der Außen- und Sicherheitspolitik, wo das Einstimmigkeitsprinzip herrscht. China hat dort die freie Wahl, ob es seine Anliegen über Budapest oder über Athen spielt, die abwechselnd jederzeit auf Wunsch ein Veto einlegen. Die Amerikaner taten dies früher verläßlich und offen über London, deshalb „Washingtons Pudel“ genannt. Nach dem Brexit stehen jetzt etwas diskreter Warschau und Den Haag zur Verfügung.

Kleinere Diktaturen wie Aserbaidschan haben es etwas schwieriger. So mußten anno 2013 Wahlbeobachter aus dem EP, der Parlamentarischen Versammlung des Europarates und dem Bundestag umständlich über einen sogenannten „Laundromat“ der Danske Bank im Baltikum über Scheinrechnungen und Briefkastenfirmen für eine positive Einschätzung des Alijew-Regimes und seiner „getürkten“ Wahlen geschmiert werden. Dazu gab es die beliebten Luxuseinladungen nach Baku. Für Rußland lud Putins Vertrauter Wladimir Jakunin für spezielle EU-Gäste, darunter auch Eva Kaili,  zum „Dialog der Zivilisationen“ nach Rhodos und danach nach St. Peterburg ein. 

China sucht noch systematischer und erfolgreicher mit seinem Instrument der „Einheitsfront“, die von Handelskammern bis zu ihren Konfuzius- Instituten reicht, vor allem in den USA, Kanada und Australien, aber auch in der EU systematisch mit Geld und Einladungsdiplomatie wichtige Think Tanks und einflußreiche Politiker, Journalisten und Hochschullehrer zu gewinnen und Kritiker zu isolieren und zu diskreditieren.

Und was tut die EU-Kommission? Ursula von der Leyen kündigte am Montag an, die seit drei Jahren brachliegenden Pläne für eine zahnlose Ethik-Kommission, die eigenständig weder irgend etwas untersuchen noch anordnen kann, wieder zu neu beleben.