© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/22 / 16. Dezember 2022

Die unliebsame Wahl
Immobilienmarkt: Die Ampel-Regierung muß sich zwischen Klima- und Wohnungspolitik entscheiden
Stefan Kofner

Politiker suggerieren ihren Wählern gerne eine ideale Welt mit unbegrenztem Ressourcenreichtum bei völliger Abwesenheit von Zielkonflikten. In der Wohnungspolitik wird in diesem Sinne ein „magisches Dreieck“ herbeibeschworen: Klimaneutralität bis 2045 und gleichzeitig große Neubauprogramme zur Markt­entspannung – und das alles bei erschwinglichen Wohnkosten für alle. Aber in der rauhen Wirklichkeit bedeutet jeder zusätzliche Fördereuro für die energetische Sanierung weniger Geld für den Neubau und umgekehrt. Die in der Bestandssanierung versenkten Ressourcen schmälern den Neubau und verschärfen damit die Wohnungsnot. Unerschwingliche Mieten und mehr obdachlose Menschen sind somit Opportunitätskosten der Klimarettung.

Die Klimajünger haben die Chuzpe, das elementare Sicherheitsbedürfnis Wohnen auf die gleiche Stufe in der „Bedürfnispyramide“ (Abraham Maslow; 1908–1970) zu stellen wie den Schutz vor dem Klimawandel, der von ihnen als unmittelbar existenzbedrohend empfunden wird. Das reine Wohnbedürfnis ist im Zweifel sogar nachrangig. Es könnte angesichts der Gefahren der Erderwärmung auf das „Dach über dem Kopf“ reduziert werden, das für das nackte Überleben notwendig ist.

Dicke Dämmschichten oder hypereffiziente Energiesparfenster

Aber auch bei der energetischen Sanierung gilt das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens: Die Wirksamkeit zusätzlich investierter Geldbeträge auf die Heizkosten nimmt ständig ab. Der Austausch der Heiztechnik und der hydraulische Abgleich haben per se einen sehr großen Effekt auf die Energiebilanz. Weitere Maßnahmen jedoch wie 20 Zentimeter dicke Dämmschichten oder hypereffiziente Energiesparfenster schneiden da immer schlechter ab. Die Klimarettungspolitik strebt aber dennoch stur ihre Maximalziele an, obwohl Zielerreichungsgrade von 100 Prozent niemals effizient sind, weil die letzten Prozentpunkte zu teuer erkauft sind.

Vollständige Klimaneutralität im Gebäudebestand ist ein kaum finanzierbares Ziel. Die Beratungsgesellschaft Ernst & Young schätzt die notwendigen Sanierungskosten für die Erreichung der Klimaschutzziele bei Wohngebäuden in Deutschland „konservativ“ auf drei Billionen Euro. Die gesamten Wohnungsbauinvestitionen des Jahres 2021 haben aber nur 258,5 Milliarden Euro betragen. Pro Kopf der Bevölkerung wären also 36.000 Euro zu investieren – 10.000 Euro mehr als der durchschnittliche Nettojahresarbeitslohn eines Ledigen. Das wäre dann Bauen nur fürs Klima.

Der Neubauanteil von derzeit nur einem Drittel des Bauvolumens müßte noch viel weiter sinken, und fast alle Kapazitäten der Bauwirtschaft wären in der energetischen Bestandssanierung gebunden. Und es gibt noch ein Problem: die nationale Perspektivenverengung. Die Allokationseffizienz des Mitteleinsatzes für die energetische Sanierung von Gebäuden ist weltweit und nicht im nationalen Maßstab zu beurteilen. Die Investitionen müssen dort stattfinden, wo ihr sozialer Grenznutzen am höchsten ist, und das ist im Zweifel nicht bei uns.

Trotz allem gewichtet die Ampelregierung die energetische Sanierungsförderung wesentlich höher als die klassische Wohnungsbaupolitik. Das wird absehbar schlimme Konsequenzen haben. Laut dem Analysehaus Empirica bewegt sich die Leerstandsquote in den deutschen Großstädten auf die Null zu. Damit geraten wir in eine tragische Entwicklung, denn die Netto-Zuwanderung erreicht mit etwa 1,5 Millionen Personen in diesem Jahr einen historischen Rekordwert. Kanzler Olaf Scholz hielt es beim Bürgerdialog am Wochenende in Potsdam sogar für „plausibel“, daß die Einwohnerzahl in Deutschland dank vermehrter Zuwanderung von 84 auf 90 Millionen steigen könnte. 

Doch die Bautätigkeit lahmt. Bei höheren Zinsen, Rekordinflation, uferlosen Baukostensteigerungen und reduzierter Förderung zeichnet sich keine Besserung ab: Die Grundtendenz des Auftragseingangs im Bauhauptgewerbe ist seit Jahresbeginn mit 15 Prozent im Minus. Die Zahl genehmigter Wohnungen lag von Januar bis September 2022 um 3,7 Prozent niedriger als im selben Vorjahreszeitraum. Der Verkauf der Projektentwickler liegt am Boden. Projekte werden überwiegend nur noch finalisiert, und eine Neuplanung findet kaum noch statt.

Die Fertigstellungzahlen können 2022 und 2023 womöglich noch bei 300.000 gehalten werden, weil sie noch das günstigere Förder- und Zinsumfeld der Vergangenheit reflektieren. Aber das wäre angesichts der aktuellen demographischen Entwicklung viel zu wenig. Und ein Einbruch der Wohnungsfertigstellungen ist für die Jahre 2024 und 2025 schon vorprogrammiert. Das Neubauziel des Koalitionsvertrages in Höhe von 400.000 Wohnungen wird also in jedem einzelnen Jahr dieser Legislaturperiode deutlich verfehlt werden.

Mietendeckel, Vergesellschaftung und andere Systemkorrekturen

In diesem sich im Jahresverlauf ständig verdüsternden wohnungswirtschaftlichen Umfeld hat Habecks Klimaministerium eine stufenweise Vollbremsung bei der Neubauförderung vorgenommen. Anfang des Jahres gab es noch Zuschüsse zwischen 15 und 25 Prozent. Seit Ende Juli beträgt der Tilgungszuschuß bei abgesenkter Kreditobergrenze nur noch fünf Prozent: Das ergibt eine maximale Förderung von nur noch 6.000 Euro pro Wohneinheit – wobei jetzt überhaupt nur noch der teure Energiefeffizienz-Höchststandard EH40 mit Nachhaltigkeitszertifikat gefördert wird.

Das Volumen der Neubauförderung wurde auf nur noch eine Milliarde Euro im Jahr gestutzt, während für die Sanierung jährlich zwölf bis 13 Milliarden Euro bereitstehen. Die Neubauanreize wurden also wesentlich verschlechtert. Das ist eine klare Priorisierung der Klimapolitik gegenüber der Wohnungspolitik. Daran ändern auch die neuen Sonderabschreibungen nicht viel, weil auch diese nur für den teuren Neubaustandard EH 40 gewährt werden.

Alle Signale sind in die falsche Richtung gestellt. Wohnungspolitik im eng verstandenen Sinne als Wohnungsbauförderung braucht es jetzt. Die Energiewende muß auf Sparflamme gedreht werden, bis wieder eine gewisse Marktentspannung eingetreten ist, um die Ressourcen für den Neubau freizusetzen. Bis dahin sollte in Deutschland nur noch der Heizungstausch gefördert werden. Außerdem braucht die Wohnungswirtschaft jetzt eine Deregulierung aller staatlich beeinflußbaren Baukostentreiber. Was sie nicht braucht, sind Mietendeckel, Vergesellschaftung und andere Systemkorrekturen.

Bericht zum „Tag der Wohnungswirtschaft“: www.iw2050.de