© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/22 / 16. Dezember 2022

Ohne Strategie
Bernkastel-Kues: Ein neues Flüchtlingsheim in Rheinland-Pfalz sorgt für Unbehagen
Martina Meckelein/ Kenneth Wishöth

Abends leuchtet ein riesiger Stern von den Zinnen der Burg Landshut hinab auf die Stadt. Auf dem Fluß schimmern noch seine sich widerspiegelnden Lichter. Die engen Gassen mit ihrem Kopfsteinpflaster sind gesäumt von entzückenden Fachwerkhäusern. Deutsche Weihnachtslieder erklingen an jeder Ecke. Walt Disneys zu Stein gewordener Traum einer mittelalterlichen Stadt – das ist Bernkastel-Kues. Doch die Advents-Romantik trügt. Denn hinter den Mauern des Rathauses droht Ungemach. Ein ehemaliges Hotel der Stadt füllt sich zur Zeit zunehmend mit Flüchtlingen. Und die geplante Anzahl sprengt jegliche Phantasie. Kritiker werfen der Landesregierung Strategielosigkeit vor.

„Sie müssen hier weg“, sagt ein Sicherheitsmann in Warnweste und mit Migrationshintergrund im Befehlston. Nein, das muß ich nicht, ich stehe auf öffentlichem Grund und zeige den Presseausweis. „Keine Fotos“, behauptet er. Es ist immer wieder dieselbe Leier mit diesem Sicherheitspersonal vor Asylbewerberheimen. Sie benehmen sich wie DDR-Grenzer – zum Glück haben sie keine Schußwaffen dabei. Wo sollte das Problem liegen? Ist denn das ehemalige Hotel Moselpark, das jetzt ein Flüchtlingsheim auf dem Kueser Plateau ist, eine geheime Kommandosache?

Das neue Flüchtlingsheim ist seit Wochen das große Thema im Ort

„Nun, die Politik und die Verwaltung sind doch von den Plänen der Landesregierung total überrascht worden“, sagt Brigitte Hoffmann (68), Verwaltungsfachwirtin und AfD-Fraktionsvorsitzende im Kreistag Bernkastel-Wittlich. „Wir Abgeordnete erfuhren es aus der Presse, dann informierte uns Kreistagsmitglieder unser Landrat.“ 

Seit Wochen gibt es in Bernkastel-Kues nur ein Thema: Das neue Flüchtlingsheim. Was viele der rund 7.100 Bürger skeptisch sehen, ist nicht die Ansiedlung an sich, sondern die Plazierung und die Größenordnung. Aus Bernkastel-Kues, vom Ufer der Mosel, führt eine teils kurvige und steile Straße aufs Kueser Plateau. Knapp drei Kilometer, rund 45 Minuten Fußmarsch. Hier sind Kurkliniken, Hotels, eine Behindertenwerkstadt und ein wunderschöner Park. Die vier Rehakliniken haben Platz für 800 Patienten, die von 400 Mitarbeitern betreut werden. 500 Einwohner leben hier in schmucken Einfamilienhäusern und Villen. Doch sonst ist hier nichts, nicht einmal ein Supermarkt. Außer natürlich das seit 2019 leerstehende Hotel mit seinen 143 Zimmern und eine Tennishalle. 

„1.100 Menschen sollen in einem alten Hotel und einer Tennishalle untergebracht werden“, sagt Hoffmann. „Die Relation zwischen Flüchtlingen und Einwohnern ist kein gesundes Verhältnis mehr.“ Der Abgeordneten fehlt darüber hinaus ein Sicherheits- und Hygienekonzept. „Für die Flüchtlinge in der Tennishalle stehen draußen Dixi-Klos. Die sollen dann im Winter in die Kälte raus. Das geht doch nicht.“

Zur Aufnahme von Geflüchteten sind die einzelnen Bundesländer verpflichtet. Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) haben von Januar bis November 2022 insgesamt 214.253 Personen einen Asylantrag in Deutschland gestellt, 189.998 Erst- und 24.255 Folgeanträge. „Gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres (132.666 Erstanträge) bedeutet dies einen Anstieg um 43,2 Prozent.“ Rheinland-Pfalz betreibt die sogenannten Aufnahmeeinrichtungen für Asylbegehrende (AfA) unter anderem in Trier, Speyer, Kusel und Hermeskeil sowie die Außenstellen in Bitburg und jetzt eben Bernkastel-Kues. Da Hermeskeil heillos überfüllt ist, mietete das Ministerium zu Beginn des Ukrainekriegs in der Touristenhochburg Bernkastel das leerstehende Hotel an.

Im Beitrag „Lage der Flüchtlinge in Rheinland-Pfalz“ des Regionalmagazins SAT.1 LIVE vom 9. Dezember 2022 sagte David Profit (Grüne), Staatssekretär des Integrationsministeriums Rheinland-Pfalz: „Wir haben aktuell in Rheinland-Pfalz sieben Einrichtungen für die Fluchtaufnahme auf Landesebene, das meiste sind ehemalige Kasernen, es sind zwei Hotels dabei, und wir schauen, daß wir möglichst die Geflüchteten in Zimmern unterbringen mit bis zu vier Personen, aber bei dem starken Zustrom ist es auch nicht zu vermeiden, daß wir Hallen, Container oder auch Zelte nutzen müssen.“ Dieses Jahr nahm das Land rund 56.000 Flüchtlinge auf, davon rund 44.000 aus der Ukraine. Das Land baute seine Kapazitäten von etwa 3.500 auf 7.500 Plätze aus.

Einwohner fordern Begrenzung der Flüchtlingszahlen in Bernkastel

„Das ist doch völlig ohne Konzept und Strategie“, sagt Chantal Faust. Die Luxemburgerin hat in Bernkastel eine Galerie, direkt an der Mosel. Sie hat selbst Flüchtlinge aus Syrien in ihren Wohnungen in Barnkastel untergebracht. „Aber hier geht es doch nicht nur darum, den Menschen ein Dach über dem Kopf zu bieten, hier müssen sie auch unterstützt werden. Was sollen denn die ganzen jungen Männer da oben auf dem Berg den ganzen Tag über machen? Da gehen abends Frauen alleine spazieren, die werden sich dann nicht mehr trauen.“

Auf der Internetplattform change.org ist eine Petition zu finden: „Maximal 400 Flüchtlinge auf dem Kueser Plateau Bernkastel-Kues“ lautet die holperige Überschrift. Sie ist ein Appell an die Stadt, den Kreis und das Land, die Belegung des Plateaus mit Flüchtlingen zu begrenzen. „Allein die Zahl der Flüchtlinge im Hotel würde die Zahl der Bewohner des Plateaus übersteigen“, steht unter Punkt 4 der Petition. „Nimmt man die Menschen in der Tennishalle hinzu, kommt man auf das Vierfache der Einwohnerzahl auf dem Plateau und auf circa 20 Prozent der Gesamtbevölkerung von Bernkastel-Kues. Diese Relationen sind aus unserer Sicht in keiner Kommune in Deutschland vorzufinden und würden überall abgelehnt werden.“ 

Die Bittsteller schlagen vor, die weiteren 600 Flüchtlinge dezentral auf viele Kommunen in ganz Rheinland-Pfalz zu verteilen. „Wir fordern die zuständigen staatlichen Stellen auf, umgehend alle bekannten Informationen, Planungen etc. öffentlich bekannt zu machen. Dazu gehört auch, die geplanten Vorkehrungen für die soziale, medizinische, interne und äußere Sicherheit offenzulegen. Außerdem muß die Bevölkerung einen Ansprechpartner vor Ort haben, der sich kurzfristig um Probleme kümmern kann, bevor daraus Konflikte entstehen.“

Vergangene Woche ruderte nun die Landesregierung zurück. Das Flüchtlingsheim in Bernkastel-Kues soll am 30. April 2023 aufgelöst werden. Jetzt plant die Regierung, am Regionalflugplatz Hahn eine Außenstelle mit 600 Plätzen zu eröffnen. 400 weniger als in Bernkastel-Kues. Aber dafür wird es einen Bus-Shuttle-Verkehr zum Supermarkt geben. Überhaupt scheinen die Politiker aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt zu haben. Sie wollen die Bürger frühzeitig in die Planung einbeziehen. 

Fotos: Touristenmagnet: Der romantische Weihnachtsmarkt in Bernkastel-Kues; Das leerstehende Hotel in Bernkastel-Kues hat über 400 Plätze (l.); Kreistagsmitglied Brigitte Hoffmann (r.): Kritisiert zu späte Informationspolitik der Landesregierung