© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/22 / 16. Dezember 2022

Die Spaßgesellschaft unterwegs zum reifen Faschismus
Vererbbar, ansteckend, epidemisch
(ob)

Das Geschäftsmodell von Georg Seeßlen, Urgestein linker Film- und Kulturkritik, Mitglied der Sektion Film- und Medienkunst der Berliner Akademie der Künste, beruht seit Jahrzehnten darauf, vor der „Faschisierung unserer Gesellschaft“ zu warnen. Im Unterschied zur verschwörungsgläubigen Bundesinnenministerin Nancy Faser und ihrer medialen Claque fürchtet der rührige Vielschreiber jedoch weniger ein äußeres Geschehen („Putsch“), sondern das Fortschreiten einer „inneren Krankheit“. Denn nichts anderes sei der „ansteckend vererbbare, toxische, epidemische Faschismus“. Verbreitet werde diese Krankheit über die „volkstümliche (Medien-) Kultur“. Von der Sportberichterstattung bis zu Melodramen, von Heimatserien bis zu Talkshow und Comedy: die bundesdeutsche Unterhaltungsindustrie stehe in nationalsozialistischer Tradition. Niemand habe besser gewußt als der NS-Propagandaminister Joseph Goebbels, daß „faschistisches Gedankengut“ sich am wirksamsten durch Unterhaltungskunst vermitteln lasse. Der Prozeß der „Faschisierung“ laufe jedoch im „post- und neofaschistischen Krisenkapitalismus“ weniger offensichtlich ab als die Bewußtseinsmanipulation im voll entfalteten „totalen Staat“. Auf dem Weg zum „reifen Faschismus“ genügten kleine, aber tragende Elemente, Puzzlesteinchen, um die bürgerliche Gesellschaft in ihrer Mitte Richtung „Proto- und Partialfaschismus“ umzubauen. Zu diesen Elementarteilchen zähle nicht mehr nur die Idealisierung der bürgerlichen Familie, sondern auch die mediale Verklärung eines woken, ökologisch-semantisch korrekten Kleinbürgertums, das sich um sich selbst drehe und unfähig zu gesamtgesellschaftlicher Analyse sei (Konkret, 11/2022). 


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