© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/22 / 16. Dezember 2022

Dorn im Auge
Christian Dorn

Sparschwein gehabt! Im Boulevardblatt B.Z. wird das „Spar-Menü“ des österreichischen Starkochs Johann Lafer beworben: „Leckere Weihnachten für 5,26 Euro“ pro Person, mit der Hauptspeise Schweine-Medaillons. Bleibt noch immer die Frage, wer das kocht. Das demonstriert das Gespräch in der Senefelderstraße, wo der Vater dem Sohn im entrüsteten Tonfall erklärt, nachdem sie gerade einen Einkauf erledigt haben: „Das ist wirklich kein Witz, die hat gedacht, ’n Kochlöffel, das ist für Frauen.“ Es ist derselbe Mann, ein Mediziner, der mich vor Jahren im Café der Sowjetzone im kurzen Disput über den Willkommenswahn mit erhobenem Zeigefinger gemahnt hatte, seine „Freunde“ seien gerade im Mittelmeer unterwegs, „die sammeln dort alle Flüchtlinge ein!“ Tage später werben an der Straßenecke drei Mediziner der Organisation „Ärzte ohne Grenzen“, die mit genau so einem Schiff, der „Geo Barents“, im Mittelmeer als selbsternannte „Menschenfischer“ unterwegs sind. Als mich ein junger Arzt mit französischem Akzent anspricht, erwidere ich geistesgegenwärtig: „Médecins sans frontières / Ça c’est quelque chose d’hier!“


Noch weiter zurück reicht der Erklärungsversuch im Café des Westsektors, wo der Sohnemann seinen Vater wegen Menschenfleisch löchert: „Papa, warum gibt’s eigentlich Kannibalen? Warum nicht die Kuh? Aber doch nicht die eigene Art!“ Doch der Vater schweigt, am Burger, den er mit Besteck ißt, hat er augenscheinlich „sehr zu kauen“. Nach über einer Minute setzt er endlich an zu antworten, wobei er auch immer wieder ansetzt, doch noch einen Bissen hinunterzuschlingen: „Erstens, weil die nicht so viel zu essen hatten, zweitens, weil die ihre Feinde gegessen haben, um dadurch deren Stärke auf sich zu übertragen.“

Namhafte Oppositionelle aus der DDR erkenne ich zumeist kaum wieder, so sehr sind sie gealtert.

Am Freitag abend stehen vor der Gethsemanekirche im Prenzlauer Berg zwei große Mannschaftswagen der Polizei, und ich frage mich automatisch, ob hier eine Demonstration für oder gegen den Corona-Maßnahmenstaat stattfindet. Tatsächlich ist es die – gerade beendete – Trauerfeier für den einstigen DDR-Bürgerrechtler Werner Schulz. Wer zu spät kommt, so wie ich, den bestraft – das Angesicht der Grünen-Chefin Ricarda Lang, in die ich vor dem Altar fast hineinlaufe. Namhafte DDR-Oppositionelle, die mir noch von früheren Begegnungen bekannt sind, erkenne ich zumeist kaum wieder, so sehr sind sie gealtert. Bei Joachim Gauck muß ein kurzer Blick genügen – und ich frage mich: Weiß er in diesem Augenblick, daß er gerade einem „Bekloppten“ gegenübersteht? So nämlich hatte der Alt-Bundespräsident im September 2021 die Impf-Skeptiker und Kritiker des Corona-Staates bezeichnet. Der prominente Schlagermoderator N. aus der Nachbarschaft, den ich frühmorgens an der Kasse eines Discounters treffe, erkenne ich ebenfalls nicht sofort. Als wir uns kurz über die persönliche Situation austauschen, erzählt er mir, indem er auf sein eines Auge zeigt, daß er auf diesem erblindet sei. Als ich ihn ungläubig frage, kommt nur die lakonische Antwort: „Impfung“. Hilflos rufe ich hinterher: „Alles Gute!“ Dabei könnte ich schreien!