© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/22 / 16. Dezember 2022

Der Verhunzung widersetzen
Ausstellung: Die Bonner Kunsthalle präsentiert sehr anschaulich Geschichte und Höhepunkte der Opernkultur
Ludwig Witzani

Im Herbst dieses Jahres  schockierte die Meldung die Opernwelt, Philippe Jordan, der Musikdirektor der Wiener Staatsoper, wolle seinen Vertrag nicht verlängern. Als Grund für seine Entscheidung benannte der Maestro die Malaise des Regietheaters, dessen Dilettantismus die Qualität der Aufführungspraxis gefährde. Eine Oper, die sich der Aktualisierung verweigere, drohe als Kunstform der Exitus, schallte es sofort aus den Redaktionen der meinungsbildenden Zeitungen zurück.

Man sieht, obgleich die Besucherzahlen rückläufig sind, ist die Oper als ein kontroverses Element der kulturellen Identität im öffentlichen Gespräch lebendig. Insofern kann sich die Bonner Ausstellung „Die Oper ist tot. Es lebe die Oper!“ über ein glückliches Timing freuen – auch wenn sich die Kuratoren der Bonner Kunsthalle allzu aktueller Stellungnahmen enthalten. Indem sie sich darauf konzentrieren, die  Geschichte der Oper und den Zauber ihrer Glanzzeit multimedial in Szene zu setzen, markieren sie gleichwohl eine deutliche Positionierung. 

Der Anspruch der Ausstellung ist ohnehin ambitioniert genug. Der Versuch, die Geschichte der Oper anschaulich darzustellen, ist eine didaktische Herausforderung, die die Kuratoren durch entschlossene Reduktion meistern. Sie präsentieren eine übersichtlich gestaltete und gut nachvollziehbare „Hauptstraße“ der Operngeschichte, deren Verlauf auf das Wesentliche reduziert ist, ohne deswegen oberflächlich zu sein. Sie beginnt mit der „Camerate Fiorentina“ am Hof der florentinischen Medici des späten 16. Jahrhunderts, als sich Jacopo Peri und Giulio Caccini dazu entschlossen, die Texte zeitgenössischer Dichter um des stärkeren Gefühls-ausdrucks willen nicht sprechen, sondern singen zu lassen. Zugleich fügten sie zwei weitere Urelemente der Oper hinzu: das Rezitativ, das heißt das mimische und szenische Agieren des Sängers und die Tanzeinlage, aus der sich im weiteren Verlauf der Musikgeschichte die weltberühmten Opernballetts entwickeln sollten. Eine angepaßte Instrumentalbegleitung, speziell choreographierte Tanzeinlagen und ein aufwendiges Bühnenbild samt Kostümen kombinierten sich 1607 in Monteverdis Werk „L’Orfeo“ zur „ersten Oper der Musikgeschichte“.

Aufgeführt und finanziert wurde das neuartige Musiktheater von Fürsten und Kardinälen als Glanzpunkt ihrer höfischen Repräsentation. Kein Wunder, daß es sich als „italienische Oper“ schnell über ganz Europa verbreitete. Über Eleonore von Mantua, zweite Gattin Kaiser Ferdinands II., kam sie nach Wien, Georg Friedrich Händel variierte sie als Leiter der Londoner Royal Academy of Music mit eigenen Werken und Inszenierungen.

Liebevoller Film über die vielfältige Opernlandschaft in Deutschland 

Mit der Französischen Revolution änderte sich das gesellschaftliche Gesamtparadigma. Aus der Oper als Mittel der höfischen Repräsentation wurde ein großbürgerliches Projekt, um dessen ästhetische  Verfeinerung die großen Bühnen der Welt konkurrierten. Die Wiener Hofoper, an der Gustav Mahler wirkte, die Mailänder Scala, in deren Aufführungs-praxis Verdi, Bellini, und Donizetti dominierten, die Metropolitan Opera in New York, die von den großen Industriekapitänen der USA finanziert wurde und die zum Ursprung eines weltweiten Starkults wurde, das mystische Bayreuth, in dem die Wagner-Opern als eine Art musikalischer Gottesdienst aufgeführt  wurden, und die Pariser Oper, in der Louis-Désiré Véron die technische Perfektion der „Grand Opera“ auf ihren Gipfel führte, hatten bei aller Unterschiedlichkeit eines gemeinsam: das Bemühen um die Erschaffung immer grandioserer Inszenierungen, in denen sich Gesang und Dichtung, Theater und Tanz, Bühnenbild, Mode und Technik zu einem Gesamtkunstwerk verbanden, in dem sich die Menschen dieser Epoche in ihrem Repräsentationsbedürfnis, aber auch in ihren Träumen und Sehnsüchten wiederfanden. Soweit das historische Narrativ der Kuratoren. Wie aber wird es dem Besucher präsentiert?

Schon der Eintritt in die Ausstellungsräume vermittelt jene Plüschatmosphäre, die der Oper oft vorgeworfen wird, die aber unverkennbar zu ihren Anmutungsqualitäten zählt. An roten Wänden hängen große und kleine Gemälde von Komponisten und Opernszenen. Ein wahrer Leckerbissen der Ausstellung besteht in der Sammlung pompöser Kostüme, die das weltberühmte Archivio Storico Ricordi aus Mailand der Bonner Bundeskunsthalle als Leihgabe überließ. Zusammen mit zauberhaft miniaturisierten Bühnenbildern hinter Glas erlauben sie einen Einblick in die Inszenierungspraxis der altvorderen Tage, als Tannhäusers „Venusberg“ noch keine Gasfabrik war und die Sänger nicht in Säcken über die Bühne rutschen mußten.

Aber diese optische Einstimmung ist nur Beiwerk. Im Zentrum der Ausstellung dominieren mehrere Darstellungsstränge, die sich gleichzeitig überschneiden und ergänzen. Große Wandtexte und Mitschnitte aus bekannten Opernfilmen verdeutlichen zunächst die verschiedenen Etappen der Geschichte der Oper. In fünf separaten Nischen begegnet der Besucher der Wiener Hofoper, der Mailänder Scala, der Metropolitan Opera in New York, dem Festspielhaus von Bayreuth und der Pariser Oper.

Von dieser Vorstellung ist es nur ein kleiner Schritt zur Nachzeichnung berühmter Inszenierungen und Uraufführungen, wie etwa der mißlungenen Premiere von Puccinis „Madame Butterfly“ oder Meyerbeers Triumph mit seiner Oper „Les Huguenots“. Der Blick der Ausstellungsmacher ist aber nicht nur auf die „Big Five“ der Weltopern beschränkt, denn die Vorstellung der großen Opernhäuser wird durch einen liebevoll aufgemachten Spielfilm über die vielfältige Opernlandschaft in Deutschland ergänzt. Der Museumsbesucher erfährt also nicht nur Neues über Met und Scala, sondern auch über das traditionsreiche Musiktheater von Meiningen oder die Oper von Detmold als dem reisefreudigsten Opernensemble ganz Europas.

Es gehört zu den Vorzügen dieser Ausstellung, daß all dies nicht nur in Form von Tex-ten und Bildern gezeigt, sondern auch musikalisch vergegenwärtigt wird. Mit Hilfe eines Audio-Guides kann sich der Besucher in aller Ruhe Caruso und Callas, Jessye Norman und Montserrat Caballé anhören. Wer sich vor dem Bild des toten Tristan „Isoldes Verklärung“ anhört, kann tatsächlich für einen Moment meinen, er werde jener träumerischen Erhebung teilhaftig, die Friedrich Nietzsche in seiner vierten Unzeitgemäßen Betrachtung der Oper zuschreibt. 

Am Ende bleibt die Frage nach der „Zukunft der Oper“. Explizit beantwortet wird sie nicht, auch wenn auf den Monitoren am Museumseingang Dutzende unterschiedliche Positionen dazu zu Wort kommen. Nach Meinung der Kuratoren scheint sie jedenfalls nicht im modernen Regietheater zu liegen, das in der Ausstellung praktisch nicht vorkommt. Gott sei Dank, möchte man sagen, denn die zwanghafte Aktualisierung, man könnte fast sagen, Verhunzung klassischer Opern durch Anhänger des Regietheaters, die noch nicht einmal Noten lesen können, hat maßgeblich dazu beigetragen, die Opernhäuser zu leeren. 

Zweifellos muß die Oper in einer gänzlich veränderten medialen Umwelt ihre Position neu finden, aber tot ist sie so lange noch nicht, wie sie sich ihrer szenischen und inhaltlichen Überwältigung durch den linksgebürsteten Zeitgeist widersetzt. Auch wenn es nirgendwo ausdrücklich formuliert wird, die Bonner Opernausstellung, die das Grandiose der Oper so effektvoll in Szene setzt, kann durchaus als ein Plädoyer in diese Richtung verstanden werden. 

Die Ausstellung „Die Oper ist tot. Es lebe die Oper!“ ist bis zum 5. Februar 2023 in der Bundeskunsthalle Bonn, Museumsmeile, Helmut-Kohl-Allee 4, täglich außer montags von 10 bis 19 Uhr, mittwochs bis 21 Uhr, zu sehen. Der Katalog

(Hatje Cantz) mit 272 Seiten und etwa 380 Abbildungen kostet im Museum 39 Euro.

 www.bundeskunsthalle.de