© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/22 / 16. Dezember 2022

Rasse, Rassismus, Antirassismus
Alles eine Soße
Björn Schumacher

Die Selbstkasteiung des Westens durchdringt Staat und Gesellschaft in atemberaubendem Tempo. Moralisierender Bekenntniseifer hat Hochkonjunktur. Die Deutsche Gesellschaft für Zoologie zeigte Haltung gegen „rechtsradikale und fremdenfeindliche Milieus“ und distanzierte sich von ihrem Pionier Ernst Haeckel (1834–1919), der als „deutscher Darwin“ pseudowissenschaftliche Thesen über Menschenrassen verbreitet habe: „Das Konzept der Rasse ist das Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Voraussetzung. […] Sorgen wir also dafür, daß nie wieder mit scheinbar biologischen Begründungen Menschen diskriminiert werden und erinnern wir uns und andere daran, daß es der Rassismus ist, der Rassen geschaffen hat und die Zoologie/Anthropologie sich unrühmlich an vermeintlich biologischen Begründungen beteiligt hat“ („Jenaer Erklärung“, 2019).

Moderne Naturwissenschaft ist das eine, geltendes Verfassungsrecht das andere. Der Begriff Rasse bleibt einstweilen integraler Bestandteil von Artikel drei Absatz drei des Grundgesetzes (GG): „Niemand darf wegen […] seiner Rasse […] benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Abgekoppelt von der anthropologischen Debatte, empfiehlt sich die Alltagsprache zur Auslegung dieser Norm. Die Zuordnung zu einer Menschenrasse beruht danach auf äußeren Körpermerkmalen wie Hautfarbe oder Gesichtsform. 

Rassismus kann folglich definiert werden als pauschale, meist leistungs- und intelligenzbezogene Herabwürdigung von Menschengruppen aufgrund äußerer Körpermerkmale. Seine Extremform ist die Verleugnung elementarer Menschenrechte. Positive Charakterbilder in der Art des Indianerhäuptlings „Winnetou“ haben daher von vornherein nichts mit Rassismus zu tun. Das gilt auch für romantypische Romantisierungen.

Pauschale Menschenfeindlichkeit läßt sich niemals rechtfertigen. Ebenso illegitim sind aber Kautschukbegriffe, mit denen „Grenzen des Sagbaren“ gezogen, also die Redefreiheit eingeschränkt werden soll. Widersinnig ist etwa das Oxymoron „kultureller Rassismus“; denn Kultur und Rasse gehören verschiedenen Begriffswelten an. Wer dennoch „kulturellen Rassismus“ beklagt, will zivilisatorische Unterschiede verwischen: Kritik am Islam, auch am politischen Islam, wird zum Tabu erklärt.

Mit einem solchen „Rassismus ohne Rassen“ (Stuart Hall, 1989) nimmt die Linke Steilvorlagen des neomarxistischen Ahnherrn Theodor W. Adorno auf. Dieser glaub-te, im Überbau kapitalistischer Gesellschaften ein Tarn- und Ablenkungsmanöver aufgespürt zu haben: „Das vornehme Wort Kultur tritt anstelle des verpönten Ausdrucks Rasse, bleibt aber ein bloßes Deckbild für den brutalen Herrschaftsanspruch.“

Aktuelle Rassismus-Vorwürfe richten sich auch gegen die „kulturelle Aneignung“ fremder Konventionen, Frisuren oder Trachten. „Fridays for Future“ (FFF) sagte ein Konzert mit der weißen Musikerin Ronja Maltzahn ab, die ihre Haare zu afrikanischen Dreadlocks geflochten hatte. Hellhäutige Menschen, so die Klimaschützer, könnten sich nicht in historische Leidenserfahrungen dunkelhäutiger hineinversetzen. Deren Gefühle würden durch „cultural appropriation“ (kulturelle Aneignung) verletzt; FFF werde nicht länger als „safe space“ (sicherer Hafen) empfunden.

Ob diese Tatsachenbehauptungen zutreffen, erscheint fraglich. Letztlich spielt das aber keine Rolle, denn „kulturelle Aneignungen“ drücken keine Verachtung oder pauschale Herabwürdigung, sondern Sympathie und Solidarität mit der betreffenden Ethnie aus. Eine von solchen Motiven geleitete Übernahme fremder Moden oder Frisuren kann per definitionem nicht rassistisch sein. „Dreadlock-Verbote“ für hellhäutige Personen laufen auf pure Gängelei hinaus.

Zudem führen sie zu Abgrenzungsproblemen. Müßten sich Europäer dann nicht auch von Jazz, Blues oder Reggae abwenden – Musikstile, die sich ebenfalls mit Ko-lonialismus und der Versklavung von Afrikanern assoziieren lassen?

Und was ist mit der farbigen Kellnerin, die ihre weißen Gäste freundlich und zuvorkommend bedient? Mutiert sie mit ihren blondierten Haaren zur Rassistin, die das Leiden deutscher Frauen und Mädchen in den Luftschutzkellern oder Flüchtlingstrecks des Zweiten Weltkriegs kaum nachvollziehen kann? Oder profitiert sie von einer absurden Entschuldigungs-Doktrin, die uns vorgaukeln will, Weiße könnten nur Täter, niemals aber Opfer von Rassismus sein? Moral besteht aus allgemeinen, für jedermann geltenden Normen, nicht aus Privilegien für ausgewählte Gruppen. 

Dem gleichen Strickmuster folgt das „Verbot“, fremd aussehende Menschen nach ihren ethnischen Wurzeln zu fragen. Was an solchen, aus natürlicher Neugier gestellten Fragen herabwürdigend sein soll, bleibt schleierhaft. Ein Furor aus wirrem Antirassismus und Antidiskriminierung verformt den Westen. Er teilt Menschen manichäerhaft in böse Weiße und gute Farbige und begünstigt die Ausbreitung ebenjenes Rassismus, den zu bekämpfen er pathetisch beschwört.

Von den Fundamenten abendländischen Denkens ist dieser Antirassismus weit entfernt. In einer freiheitlichen Demokratie hat jeder das Recht zu sagen und zu fragen, was immer er will, solange er nicht gegen Grundrechte anderer, die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG).

Dazu gehören Vorschriften zum Schutz der persönlichen Ehre wie das Beleidigungs- und das Verleumdungsverbot, nicht aber Sensibilitäten und Animositäten einzelner Angehöriger ethnischer Minderheiten. Diese mögen einen Anspruch auf wohlwollende Interpretation ihrer Anliegen haben („Principle of Charity“, Neil L. Wilson, 1958). Keinesfalls aber dürfen sie der Mehrheit ihre Deutungsschemata aufzwingen.    

Linksidentitäre Manipulationen des Rassismusbegriffs haben aber noch weitere Konsequenzen. Dieser wird zur politischen Supernova und erfaßt in übersteigerter Geschwätzigkeit alle „Ideologien und Praxisformen auf der Basis der Konstruktion von Menschengruppen als Abstammungs- und Herkunftsgemeinschaften, denen kollektive Merkmale zugeschrieben werden, die implizit oder explizit bewertet und als nicht oder nur schwer veränderbar interpretiert werden“ (Johannes Zerger, 1997).

Die salbadernde Definition macht selbst lobende Aussagen („Farbige US-Boys sind tolle Sportler“) zu rassistischen Entgleisungen. Ins Blickfeld rückt das Diskriminie-rungsparadoxon des französischen Politikers und Philosophen Alexis de Tocqueville (1805–1859). Demzufolge wird Unterdrückung am heftigsten kritisiert, wenn ihr Höhepunkt längst überschritten ist und höchstens Restbestände das Bild einer guten und gerechten Gesellschaft trüben. Antirassisten in Politik, Medien, NGOs und Uni-versitäten geifern über einen „systemischen Rassismus alter, weißer Männer“, als hätten die Völker des Westens keine größeren Nöte.

Thomas Sowell, ein kluger afroamerikanischer Ökonom, entlarvt die Pseudologik dieses Antirassismus mit seinen Zirkelschlüssen und Doppelbotschaften: „Das Wort Rassismus ist wie Ketchup. Man kann es auf alles draufschmieren − und wenn man nach Beweisen fragt, macht einen ebendies zum ‘Rassisten’“ (1994). 

Egal, was ein Weißer über farbige Menschen sagt, ob er sie lobt, tadelt oder sich um neutrale Aussagen bemüht; stets tappt er in die von Identitätsjakobinern aufgestellte Rassismusfalle. Antirassismus entlarvt sich als totalitäres Regime, das weiße Bürger zu Parias mit eingeschränkter Meinungs- und Redefreiheit degradiert.

Taktgeber dieses Totalitarismus ist die US-Organisation „Black Lives Matter“ (BLM). Ihre Legitimation bezieht sie aus einem revanchistischen Verständnis von Gerechtigkeit, das westliche Identitätskrisen durch die Halluzination einer ewigen „Weißen Schuld“ verstärkt. Es geht nicht um Vernunft oder Versöhnung, sondern um Privilegien und Umverteilung. BLM fordert ein lebenslanges Einkommen für Schwarze wegen „fortgesetzter Entrechtung, Diskriminierung und Ausbeutung unserer Gemeinschaften“ sowie die Abschaffung von Polizei und Gefängnissen („Abolish the Police!“).

Die grobschlächtigen, teils sozialistischen Erzählungen von BLM spiegeln die Interessen vieler farbiger Ghetto-Bewohner. Warum sich weiße Mehrheitsgesellschaften jenen Narrativen kritiklos unterwerfen, bedarf einer umfassenden Analyse. Beruht ihre Reaktion auf dem schillernden Befund einer ideologiegeleiteten „Bescheuertheit“ (Rainer Paris)?

Hierbei handelt es sich um „ein Syndrom, das […] mittlerweile ‘wissenschaftlich’ ausgearbeitet wird, beispielsweise als Gendertheorie“ (R. Paris, 2008). „Bescheuertheit“ als politische Strategie hat nichts mit minderer Intelligenz oder Psychosen zu tun. Sie speist sich aus dekadenter Lust am kulturellen Untergang, Abwehrreflexen gegen die moderne Naturwissenschaft sowie einer Gesinnungsethik, die keine Folgenabwägung und keine moralischen Dilemmata kennt. 

Trotzig versuchen deutsche Meinungskrieger, die Realität in das Prokrustesbett ihrer Ideologie zu pressen. Haßobjekt ist die eigene Geschichte, deren Glanztaten ver-schwiegen und deren Schattenseiten pathetisch überhöht werden. Rührt diese Dekadenz aus dem schlechten Gewissen einer Überflußgesellschaft, die für ihren Wohlstand und das Privileg, in einer freiheitlichen Demokratie zu leben, „büßen“ will?

Die Folgen sind dramatisch. Rasant verbreiten sich Scham und Unterlegenheitsgefühle gegenüber „Persons of Color“ (kurz: PoCs – also Nicht-Weißen): Sportler knien nieder; weiße Jugendliche blicken ehrfürchtig auf die in woker TV-Werbung allgegenwärtigen Schwarzen. Keine Bundesregierung stemmt sich gegen die Masseneinwanderung in soziale Sicherungssysteme oder läßt abgelehnte Asylbewerber konsequent abschieben.  

Heftiger Streit unter egalitaristischen und identitären Linken bahnt sich an. Während die Egalitaristen soziale Schranken zwischen Weißen und Schwarzen einreißen oder sich „den Traum einer universellen, aus Mischlingen bestehenden Polis“ (Achille Mbembe) erfüllen wollen, fordern Identitäre das Gegenteil: Weiß bleibt Weiß, und Schwarz bleibt Schwarz. Werden neue ideologische Fronten auch unser Volk spalten?






Dr. Björn Schumacher, Jahrgang 1952, ist Jurist. Bekannt wurde er durch die Studie „Die Zerstörung deutscher Städte im Luftkrieg“ (Graz 2008). Auf dem Forum schrieb er zuletzt über den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz  („Der Weg in die Öko-Diktatur“, JF 32/21)