© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/22 / 16. Dezember 2022

Von Anfang an ein Desaster
Vor dreißig Jahren wurden die Weichen für den ersten Auslandseinsatz der Bundeswehr gestellt
MIchael Dienstbier

Daß die Macht der Bilder politische Entscheidungen beeinflussen kann, ist keine Erkenntnis des 21. Jahrhunderts. Als Anfang 1992 die ersten Aufnahmen verhungernder Menschen aus dem ostafrikanischen Bürgerkriegsland Somalia über die Fernsehschirme westlicher Wohlstandsgesellschaften flimmerten, war das Entsetzen groß und der Druck auf die politischen Entscheidungsträger stieg. Im April 1992 begann die rein humanitär angelegte UN-Mission Unosom I (United Nations Operation in Somalia), die die Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung sicherstellen sollte. Schnell wurde klar, daß es ein robusteres Mandat brauchte, um dieses Ziel zu erreichen. Diese Situation nutzte die schwarz-gelbe Regierungskoalition unter Bundeskanzler Helmut Kohl für eine außenpolitische Grundsatzentscheidung, um das wiedervereinigte Deutschland für die sich nach dem Ende des Kalten Krieges etablierende neue Weltordnung zu positionieren.

Seit 1970 wurde Somalia vom Militärdiktator Siad Barre mit harter Hand regiert. Obwohl Sozialist, unterstützten ihn die USA seit Ende der siebziger Jahre finanziell und militärisch, da sich Barre mit der Sowjetunion überworfen hatte, weil diese wiederum den somalischen Konkurrenten Äthiopien unterstützten. Mit dem Ende des Kalten Krieges fielen die US-Hilfen weg und im von Clanstrukturen geprägten Land griffen gleich mehrere Stammesführer nach der Macht. Im Januar 1991 mußte Barre aus der Hauptstadt Mogadischu fliehen, und im ganzen Land wurde der Bürgerkrieg mit brutaler Härte geführt, der die Hungersnot, der bis zu 500.000 Menschen zum Opfer fallen sollten, auslöste.

Für die logistische Unterstützung eines indischen Kontingentes

Im Dezember 1992 wurde die wirkungslose Unosom I vom Eingreifverband Unitaf abgelöst, der unter Führung der US-Amerikaner stand und auch dazu befugt war, Gewalt anzuwenden. Dieser wiederum sollte ab 1993 von der neuen Mission Unosom II ersetzt werden. Am 17. Dezember 1992 bot die Bundesregierung der UN an, sich an dieser Mission mit Unterstützungstruppen zu beteiligen und löste damit eine heftige innenpolitische Debatte aus. Die Sozialdemokraten standen dem Vorhaben zwar nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber, gaben aber zu bedenken, daß UN-Beteiligungen der Bundeswehr in nicht ausschließlich humanitärer Mission nicht mit dem Grundgesetz vereinbar seien.

Zuerst einmal schuf der tatsächliche Verlauf der Ereignisse unwiderrufliche Fakten. Am 12. April 1993 erfolgte die offizielle Anfrage der UN an die Bundesregierung, Unosom II zu unterstützen. Neun Tage später stimmten Kabinett und Bundestag diesem Hilfegesuch zu, und am 2. Juli billigte der Bundestag die generelle Entsendung von Truppen nach Somalia. Zu diesem Zeitpunkt war aber ein Vorauskommando von 150 Mann bereits in Belet Uen, gut 300 Kilometer nördlich von Mogadischu, im Land anwesend, um den Einsatz vor Ort zu planen.

Der konkrete Einsatzauftrag der Bundeswehr war eng begrenzt. Aufgabe der Truppe sollte es lediglich sein, ein indisches Kontingent mit Nachschub- und Transportbataillonen zu unterstützen. In der historischen Rückschau ergibt sich der Eindruck, daß der Einsatz von Anfang an chaotisch geplant und zum Scheitern verurteilt war. So traf das besagte indische Kontingent nie vor Ort ein. Medienvertreter berichteten, daß die deutschen Truppen allabendlich das Lied „Ihr Inderlein kommet“ sangen, um der gefühlten Sinnlosigkeit ihrer Anwesenheit einen passenden Ausdruck zu geben. Helmut Harff, der Kommandeur des deutschen Kontingents, gab nach Ende des Einsatzes zu Protokoll, daß sich die Prioritäten der europäischen Partner schon bei Ankunft der Deutschen verschoben hatten. Für die Franzosen stand der Bosnienkrieg im allgemeinen und das belagerte Sarajevo im besonderen mittlerweile im Mittelpunkt. Und die Belgier waren darauf bedacht, ihr UN-Kontingent in Ruanda zu verstärken, wo sich die Spannungen zwischen Hutu und Tutsi bereits dramatisch zuspitzten, bevor ab April 1994 innerhalb von nur einhundert Tagen 800.000 Tutsi ermordet wurden.

Dramatische Bilder standen auch am Ende des Einsatzes. Am 3. Oktober 1993 schossen Einheiten des Warlords Mohammad Aidid, den die Amerikaner zum Hauptfeind erklärt hatten, zwei US-Hubschrauber über Mogadischu ab. Bei der „Schlacht um Mogadischu“ an diesem Tag starben 18 US-Soldaten. Einige der Leichen wurden vor den Augen der Weltöffentlichkeit von einer aufgeputschten Menge durch die Straßen gezogen, an Brücken aufgehängt und anderweitig mißhandelt. Nur drei Tage später zog der erst seit Beginn des Jahres amtierende Präsident Bill Clinton angesichts dieser für die amerikanische Bevölkerung traumatischen Bilder die Notbremse und kündigte den Abzug aller US-Truppen aus Somalia bis Ende März 1994 an und beendete damit de facto im Alleingang den UN-Einsatz im Land. Der Abzug des deutschen Kontigents erfolgte zuvor im Februar.

Gemessen an den ursprünglichen Zielen, war der Einsatz ein Desaster. Bis heute ist Somalia das Paradebeispiel eines failed state ohne Zentralgewalt, in dem sich zahlreiche Warlords bekriegen. Die 4.500 deutschen Soldaten saßen größtenteils beschäftigungslos ihre Zeit ab, bevor der Einsatz nach nicht einmal einem Jahr abgebrochen wurde. Die Kosten für den Steuerzahler beliefen sich auf etwa 300 Millionen Mark. Aus rein deutscher Perspektive fällt das Urteil differenzierter aus, wenn man der Bundesregierung ein gewisses strategisches Kalkül unterstellt. Die damals beteiligten Protagonisten, allen voran Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) und Außenminister Klaus Kinkel (FDP), betonten stets, daß es ihnen ausschließlich um die Verbesserung der humanitären Situation der Somalis gegangen sei. Das erscheint wenig glaubwürdig, erklärt es doch nicht die aktive Rolle der Regierung, die sich der Uno, salopp formuliert, geradezu aufgedrängt hat. 

Naheliegender erscheint es, daß man das wiedervereinigte Deutschland als zuverlässigen Bündnispartner präsentieren wollte, ohne dabei ein allzu großes Risiko einzugehen, in Kampfhandlungen verwickelt zu werden. Den naheliegenden Konflikt auf dem Balkan hingegen mied man weitestgehend, da hier das konkrete Risiko und der historische Ballast zu groß schienen. Am 12. Juli 1994 urteilte das Bundesverfassungsgericht, daß der Einsatz deutscher Streitkräfte zur Umsetzung von Beschlüssen des UN-Sicherheitsrates und im Rahmen von UN-Friedenstruppen verfassungsgemäß sei. Jedoch sei vorher immer die Zustimmung des Bundestages einzuholen. Dieses „Out-of-Area-Urteil“ bildet bis heute die Grundlage für den Einsatz deutscher Soldaten im Rahmen von UN- und Nato-Einsätzen.