© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/22 / 16. Dezember 2022

Dekolonisierung Afrikas falsch verstanden
Manichäische Zerrbilder
(ob)

Wer alles verdammt, was vom Kolonialismus geblieben ist, schadet Afrika.“ Mit dieser Warnung tritt der aus Nigeria stammende, am Africana Studies and Research Center der Cornell University (Ithaca, USA) lehrende Philosoph Olúfémi Táíwò der nahezu geschlossenen Front der Befürworter einer radikalen „Dekolonisierung“ entgegen (Welt-Sichten, 11/2022). Deren erstes Stadium, das in den 1950ern begann, in den 1970ern abgeschlossen war, die Umwandlung von Kolonien in unabhängige Nationalstaaten, gehe heute Aktivisten und Wissenschaftlern der „Dekolonisierungsindustrie“ nicht weit genug, denn Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Afrikas würden immer noch von den einstigen Kolonialherren im globalen Norden nachteilig geprägt. Doch zu verlangen, daß Afrikaner auf alles verzichten, was den Stempel des Kolonialen trage, setze voraus, die Realität der Kolonialzeit „manichäisch“ als Welt wahrzunehmen, in der es nur Täter und Opfer gab. Tatsächlich war es so, daß im sozialen Leben alltäglich Interaktionen und kulturelle Aneignungen in beide Richtungen stattfanden. Mit dem Kolonialismus zog daher auch die Moderne in Afrika ein, zu der die Rechtsstaatlichkeit und die westlich-universalistische Vorstellung „von der unantastbaren Würde auch des geringsten Individuums unter uns“ gehören. 


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