© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/22 / 16. Dezember 2022

Das Angebot war unrealistisch
Gedankenspiel über den deutsch-sowjetischen Sonderfrieden 1942
Stefan Scheil

Zu den Blüten der Nachkriegsliteratur gehörten nach 1945 die Gerüchte über einen möglichen sowjetisch-deutschen Sonderfrieden. Im Dezember 1942 soll es diese Chance angeblich gegeben haben, auf Anfrage der russischen Seite hin. Hätte Berlin nur angenommen, raunte es in manchen Publikationen später aus nachvollziehbaren Gründen, aber Ribbentrop und Hitler seien zu stur gewesen.

Die Geschichte geht so: Als das Jahr 1942 zu Ende ging, kontaktierten die Sowjets den deutschen Diplomaten und Mitarbeiter der Dienststelle Ribbentrop, Peter Kleist. Kleist erhielt bei einem Gespräch in Stockholm das Angebot von einem Herrn Edgar Clauß: „Ich garantiere Ihnen, wenn Deutschland auf die Grenzen von 1939 eingeht, so können Sie in acht Tagen Frieden haben.“ Als Begründung für dieses Angebot gab Clauß die fehlende zweite Front der Alliierten an und zudem die Optionen der UdSSR in Asien, denen man sich von Moskau aus nach Abwicklung des deutsch-sowjetischen Kriegs angeblich widmen wollte. Dies war ein Angebot, das dem aus der Rückschau der Nachkriegszeit schreibenden Kleist später als große verpaßte Chance erschien. Zeitlich lag es noch vor der deutschen Niederlage in Stalingrad, die sich zwar abzeichnete, aber noch keine klar erkennbare Entwicklung darstellte. 

Es war eine erste provokative Verhandlungsforderung

Die deutschen Streitkräfte hatten jedoch noch keine entscheidende Niederlage erlitten und sollten nach diesen Vorstellungen dennoch das gesamte bisher in der UdSSR eroberte Gebiet räumen, als sei seit dem 22. Juni 1941 nichts gewesen. Das konnte dem Inhalt nach nur eine erste provokative Verhandlungsforderung sein. Sie deutete als Signal immerhin die prinzipielle Möglichkeit einer Art Waffenstillstand zwischen beiden Staaten an. Der Überbringer Clauß zeigte sich auf Nachfrage auch ganz gut informiert über Kreml-Interna und die von Ribbentrop 1939 geleiteten deutsch-sowjetischen Verhandlungen. Insofern konnte sich eine weitere Prüfung lohnen.

Grundsätzlich hatte Stalin mit England allerdings vereinbart, keinen Sonderfrieden oder Waffenstillstand abzuschließen. Ein Waffenstillstand mit Deutschland war für ihn trotzdem eine Frage der politischen Opportunität. Vielleicht erinnerte er sich auch daran, daß er ursprünglich eigentlich nicht die Kastanien für die Westmächte aus dem Feuer holen wollte. In diesem Zusammenhang bildete die Drohung mit einem deutsch-russischen Sonderfrieden eine mögliche Antwort auf die alliierte Unwilligkeit, die versprochene „zweite Front“ in Europa zu errichten. Allerdings waren diese im Spätjahr 1942 bereits in Afrika gelandet.

Es blieb bei solchen vagen Kontakten gegen Ende 1942 und im Lauf des Jahres 1943. Ein realistisches Angebot wurde von russischer Seite nie vorgelegt. Die Idee vom gangbaren Weg, die Rote Armee kampflos bis zur Vorkriegsgrenze marschieren zu lassen, wo sie dann wieder angriffsbereit wie 1941 den Rest des Kriegs abwarten könnte, gehört zu den Phantasieprodukten einer ausweglosen Kriegslage.