© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/22 / 16. Dezember 2022

Hauptsache „schnell“
Früher „bad taste“, heute „en vogue“: Boomer-Sportbrillen erfreuen sich großer Beliebtheit in der Generation Z
Eric Steinberg

Über Jahre hinweg gehörte sie fest zum Kleidungsrepertoire der männlichen Boomer-Generation: die Sportbrille. Windschnittig, eng sitzend und teils verspiegelt, hat man sie bisher sowohl bei der Tour de France als auch am grillenden Nachbarn in Dreiviertelhose und Kurzarmhemd beobachten können. Seit diesem Jahr haben die sportlichen, oftmals verspotteten Accessoires jedoch einen neuen Träger. Die Generation Z suhlt sich in der Nostalgie der „Dad“-Brillen und hat ihnen sogar einen neuen Namen verliehen: die „schnelle Brille“. 

Dabei gilt das Prinzip: Um so ausgefallener und vermeintlich peinlicher, desto „schneller“. Getragen werden die Modelle vor allem im Zusammenhang mit elektronischer Musik. Egal ob Festivalbesuch, Untergrundrave oder doch nur im Club – die Brille darf nicht fehlen, auch oder erst recht im Winter. 

Befeuert durch die Technoszene, Rap und TikTok

Dabei dient sie nicht mehr in ihrem ursprünglichen Sinn als Schutz vor Witterung oder Sonne, sondern als reines Modegadget. Der schlichte bassige Technobeat wird mit Klängen aufgemischt, die häufig eintönig schwarze Raverklamotte mit prägnanten Kostümierungsdetails aufgepimpt. So wie Acid-Sounds jedem elektronischen Beat neue Farbe verleihen können, sind auch die Brillen der neue Hingucker im Club. 

Ging es früher noch darum, zu tanzen und dabei die Umwelt zu vergessen, steigt durch den neuen Trend jedoch auch der modische Druck auf die Feierwütigen. Dazu gehört nur, wer sich auch entsprechend kleidet: Der Rave wird zur Modenschau. Hieß es damals, jeder könne mitfeiern, wird heute an strengen Türen wie im Berliner Kultclub Berghain aussortiert.  Was angemessen ist, erfährt die Generation Z selbstverständlich über TikTok. Das Medium hat nicht nur den Techno-Trend der vergangenen Jahre zusätzlich befeuert, sondern auch dazu beigetragen, daß sich die junge Generation an der Brillenschublade der Elterngeneration bedient.

Nicht unwahrscheinlich, daß die Modelle bei so manchem Elternteil bereits in ähnlicher Weise genutzt wurden – neu ist der Style nämlich nicht. Der Hype orientiert sich an der Kleidung der 1990er-Jahre-Ravekultur. Neben den Brillen sind auch Lederbekleidung, Mesh-Shirts und Trainingskleidung wieder en vogue. Hinzu kommt das erneute Aufblühen der frühen 2000er Jahre. Auf selbstironischem „YTK“-Kurs („YouTube-Kacke“) holt Generation Z alle modischen Ausfälle ans Tageslicht, die vor Jahren bereits in Vergessenheit gerieten. Was bei Glitzer und knalligen Farben anfängt, endet schließlich bei der Rückkehr der Hüftjeans – und bindet auch die „schnellen Brillen“ mit ein. Alles, was aussieht, als hätte es nach der Jahrtausendwende von Britney Spears oder Paris Hilton getragen werden können, ist erlaubt. Zu den Altstars gesellen sich zudem neue Internet-Stars wie die Sängerin Domiziana. 

Denn: Der Verbreitungsweg der auffälligen Outfits beschränkt sich erneut auf die sozialen Medien, wo auch Popkünstler und Influencer ihre Accessoires in die Öffentlichkeit tragen. Die Dresdner Rapgruppe „01099“ widmete den Nasenfahrrädern sogar einen Song. „Schnelle Brill’n und wir sind im Modus, Leute tanzen und ich gebe Turbo“, heißt es im Song „Schnelle Brille“, der die hippe Generation diesjährig durch den Sommer begleitete. 

Daß sich Rapmusik und Brillentrend vereinen, liegt auch an der stärker werdenden Verknüpfung von Elektro und Rap. Lieder wie „Airwaves“ oder „Ferragamo“ vom Berliner HipHop-Künstler Pasha­nim dienen als Vorzeigebeispiel der Entwicklung. Die Entstehung solcher Subgenres könnte nicht nur die Entwicklung weiter anheizen, sondern auch dem Techno selbst einen variantenreicheren Anstrich geben. Damit wird es noch schwerer, den Strömungen zu entgehen.

Aber keine Sorge: Wer noch kein „schnelles“ Modell besitzt, muß nicht verzweifeln. Günstige Varianten gibt es bereits für wenige Euro im Internet zu ergattern. Auch für prallere Portemonnaies finden sich Abnehmer. So sind mittlerweile auch die Luxusmarken auf den Trend aufgesprungen. Liegen bekanntere Modelle von Marken wie Oakley preislich bereits im dreistelligen Bereich, legen Anbieter wie Balenciaga oder Prada noch einmal deutlich nach. Für Brillen wie die „Bat Rectangle“ müssen Modejünger bis zu 500 Dollar bezahlen. Ob diese dadurch „schneller“ sind als die übrigen Modelle, darf allerdings bezweifelt werden.