© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/22 / 16. Dezember 2022

Der Flaneur
Ein Lächeln für 22,79 €
Tobias Dahlbrügge

Andrang an der Supermarktkasse. Adventszeit. „Zweiundzwanzig­neunundsiebzig“, sagt der Kassierer zu der jungen Frau vor mir. Sie zückt ihre Bankkarte und hält sie vor das Lesegerät. Nichts tut sich. Die Kundin schiebt die Karte in den Schlitz. Wieder nichts. Noch ein Versuch; vergebens. 

Sie zieht eine andere Karte aus dem Portemonnaie und probiert es damit. Keine Reaktion. Sie wird nervös. Nun versucht sie es mit der Bezahl-App auf ihrem Handy. Ohne Erfolg. 

Dem Kassierer ist die Situation ebenso unangenehm wie ihr – und mir. Auch die Tochter im Grundschulalter wird bereits hibbelig. Ich tippe darauf, daß ihr Gehalt noch nicht auf dem Konto ist. Peinlich. Und das vor dem Kind. 

Die wachsende Kassenschlange hinter uns wird auch langsam unruhig. Sie wird die Einkäufe zurücklassen und den Supermarkt mit leeren Händen verlassen müssen. Fällt dann das Abendessen für die Kleine aus? Ich ergreife die Initiative und reiche dem Kassierer zwei Zwanziger. „Ich bezahle das, wir einigen uns dann schon irgendwie.“ 

Am nächsten Tag klappt es dann doch spontan und wir treffen uns an einer Bushaltestelle.

Der Kassierer ist erleichtert, die Dame sieht mich ungläubig an. Das Kind schaut verwirrt. Eilig rafft die Kundin die Einkäufe zusammen und wir tauschen unsere Mobilfunknummern aus. Schon verschwindet sie im Parkplatzgewimmel. 

Ich bin sehr gespannt, ob sie wohl anruft oder ich das Geld unter „Du naiver Depp“ als Verlust verbuchen kann. Am nächsten Tag meldet sie sich tatsächlich. Sie hat einen osteuropäischen Akzent. Aber ein Treffen kommt nicht zustande, weil sie in der mobilen Altenpflege arbeitet und von Einsatz zu Einsatz muß. 

Am nächsten Tag klappt es spontan, sie hat eine „Kundin“ in der Nähe, und ich kann kurz von der Arbeit verschwinden. Wir treffen uns an einer Bushaltestelle. Sie gibt mir einen kleinen und einen großen blauen Schein, also 25 Euro, und sagt „Danke nochmal“. Dabei schenkt sie mir ein bezauberndes Lächeln. 

Dafür war das Geld sehr gut investiert. Es tut mir direkt ein bißchen leid, als ich abends ihre Nummer aus dem Handy­speicher lösche.