© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/22 - 01/23 / 23. Dezember 2022

Nach Hause kommen
Weihnachten: Statt grün-woker Ideologie sollten sich die Kirchen auf die Frohe Botschaft besinnen
Birgit Kelle

Jetzt auch noch die Katholiken. Als gäbe es nicht an allen Ecken und Enden der Republik genug neue Definitionen zum gemeinsamen Tanz um das regenbogenfarbene Familienkalb. Pünktlich zum Fest der Heiligen Familie überraschte der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck das adventlich eingestimmte Kirchenvolk mit der freudigen Botschaft, daß man jetzt auch innerhalb der katholischen Kirche die Normalfamilie aus Vater, Mutter, Kind ad acta legen solle, schließlich sei die Realität heute bekanntlich anders. 

„Familie ist da, wo mit Kindern gelebt wird“, stimmte nun der katholische Bischof unter viel synodalem Geklatsche das Weihnachtslied an, nahezu wortgleich wie einst 2006 der damalige Bundespräsident Horst Köhler, der damit allerdings auch nur einen klassischen Gassenhauer der Sozialdemokraten wiederholte. Frei nach dem Motto „Alles ist gesagt, nur noch nicht von mir“.

Je mehr Institutionen allerdings diese Platitüde wiederkäuen, desto deutlicher sinkt die Relevanz jener, die es behaupten. Wer braucht noch eine Kirche, die nur noch das nachschiebt, was längst alle sagen? Man gebe so einer katholischen Kirche noch ein paar Jahre und Synodalversammlungen mehr und Maria, Josef und das Jesuskind würden ganz zur modernen, Ampelregierungskompatiblen Patchwork-Familie mutieren. Maria empfing schließlich ein uneheliches Kind, das aber ganz bewußt zwei diverse Väter hatte: Josef als „sozialen Vater“ auf Erden und natürlich Gott im Himmel, dessen „Mit-Vaterschaft“ nur in der Bibel, nicht aber in der Geburtsurkunde vermerkt wurde, weil die Zweidrittelmehrheit in der Provinzverwaltung von Pontius Pilatus leider nicht zustande kam. Die Heilige Familie reiste zudem klimaneutral auf einem Esel und war mit Kerzenschein im unbeheizten Stall mit eigener Kuh besser auf den weihnachtlichen Blackout vorbereitet als so mancher deutsche Haushalt. Und hatte Jesus nicht vorbildlich den ersten Krippenplatz der Weltgeschichte? Eben. 

Das sollte selbst für einen „Jesus Reloaded“ den Atheisten bei den Grünen ausreichen, die derzeit lieber eifrig jeden Hinweis auf das christlich-abendländische Erbe von Hausfassaden kratzen und aus Ratssälen räumen oder wenigstens mit einer Trigger-Warnung versehen: Achtung, kann Spuren von Christentum enthalten! 

Und so gehört es zu dem Drama unserer Zeit, daß die großen Volkskirchen die Frage der Menschen nach Weihnachten, sprich nach Erlösung, nicht mehr zu beantworten vermögen. Wenn also der aktuelle Bertelsmann-Religionsmonitor 2023 den massiven Religionsverlust in Deutschland zahlenschwer dokumentiert, wonach weitere 20 Prozent der Christen vorhaben, aus der Kirche auszutreten, dann ist das nur folgerichtig und konsequent. Die Mehrheit der Austrittswilligen gibt an, man müsse nicht zur Kirche gehören, um Christ zu sein, und bestätigt damit ja auch nichts anderes als jene auf dem sogenannten Synodalen Weg der katholischen Kirche, die sich gerade eine biblisch entkernte Individualkirche mit Wohlfühlgott zusammenbasteln. 

Jeder glaubt heute für sich allein, sagen die Bertelsmann-Soziologen. Man könnte anfügen: Und jeder glaubt zudem, was er will, was ihm noch paßt und was den eigenen Lebenswandel bestätigt. Wer braucht denn da noch eine weitere klimaneutrale Gender-NGO mit Rettungsboot im Mittelmeer, alternativ im Kölner Dom? Endzeitstimmung, Apokalypsen-Sehnsucht und Gutmenschgefühl inklusive Weltrettungsambition, das bekommt man doch bei der No-Border-Klimareligion viel überzeugender. 

Nahezu antizyklisch fahren dennoch in dieser Woche wieder Tausende Menschen zu Weihnachten nach Hause. Zur Familie. Zu dem, was davon übrig ist. Zu jenen, die einen in den Wahnsinn treiben. Trotz allem. Abseits säkularer Dekonstruktions-Phantasien und religiöser Kernspaltungen ist sie über die Jahrtausende nie auszurotten gewesen, die Sehnsucht nach jener Familie, wie sie sein sollte. Nach der irgendwie heilen Welt unter dem Tannenbaum.

Der evangelische Pastor Friedrich von Bodelschwingh faßt das Geheimnis der Weihnacht in diese Worte: „Nach Hause kommen, das ist es, was das Kind von Bethlehem allen schenken will, die weinen, wachen und wandern auf dieser Erde.“ Nach Hause kommen als Gegengift zur Rastlosigkeit und Zersplitterung der Welt. Nach Hause kommen als inneres Erlösungsgeschehen. Nicht mehr suchen müssen. Ankommen.

In Endlosschleife besingt es mit selbem Inhalt und anderen Worten zur Weihnachtszeit Chris Rea: „I’m driving home for Christmas / Oh, I can’t wait to see those faces.“ Kein Weihnachtsfilm kommt ohne mindestens zwei klassische Komponenten – Kampf durch den Schneesturm und Versöhnung unter dem Mistelzweig – aus. Die Urgeschichte der Heiligen Familie lebt, die Idealisten allerdings sterben langsam aus. Dennoch lehrt uns die Praxis des Alltags: Wer irgendwie kann, fährt Weihnachten nach Hause. 

Die Entwurzelung des modernen Menschen wird im Advent am schmerzhaftesten bewußt. Wie soll man auch das innere Zuhause finden in einer Gesellschaft, die alle Wegweiser und Einhegungen bekannter Strukturen weggeräumt hat unter dem Hinweis, jeder möge jetzt ganz frei nicht nur sein Geschlecht, seine Familie, sein Zuhause und auch seinen Gott gefälligst selbst suchen?

Advent bedeutet auch Erwartung. Worauf aber verheißt uns eine Kirche warten, wenn selbst der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz nicht mehr über die Heilige Nacht und den Erlöser spricht, sondern lieber als weihnachtlicher Grüßgott-Onkel in einer Videobotschaft über die Konsistenz seines Lieblingsspritzgebäcks sinniert („Veredelt mit Schokolade, sehr fein! Hmm mit Kokos!“). Die Gottesbotschaft auf Glückskeksniveau.

Während die Endzeitpropheten eifrig über die vielzitierten „Zeichen der Zeit“ debattieren, fragt sich der postmodern befreite Mensch, mit wem er die neue Einsamkeit denn nun an Heiligabend teilen soll und ob noch jemand darauf eine Antwort zu geben vermag. Abseits des philosophischen Überbaus und der politischen Diskurse findet der ganz normale Mensch die Verbundenheit und den Anschluß an die größere (Heils-)Geschichte, in die er hineinverwoben ist, instinktiv dann oft doch genau dort, wo er aufhört nachzudenken. Dort, wo er jenen irrationalen Impulsen folgt, die ihn „alle Jahre wieder“ in genau jenes Zuhause zurückkehren lassen, das er als entwachsenes Kind verlassen hat, um jenem Heim zu entfliehen, das er später vermißt. 

Die drei Weisen aus dem Morgenland folgten dem einen Stern, um zur Quelle der Erlösung zu gelangen. Kommen auch Sie zu Weihnachten gut nach Hause!