© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/22 - 01/23 / 23. Dezember 2022

Éric Ciotti führt die französischen Konservativen nach rechts und will sich mit Le Pen und Macron zugleich anlegen.
Mann im Schatten
Friedrich-Thorsten Müller

Die französische CDU-Schwesterpartei Les Républicains hat einen neuen Vorsitzenden. Mit 53,7 Prozent setzte sich Éric Ciotti knapp in einer Urwahl durch. Dabei ist es erst etwa ein Jahr her, daß Ciotti bei einer wichtigen parteiinternen Wahl unterlag: Damals mußte er sich der liberalen Ex-Ministerin Valérie Pécresse geschlagen geben, die zum Herausforderer Emmanuel Macrons für die Präsidentschaftswahl 2022 gekürt wurde – dann aber mit mageren 4,8 Prozent schon im ersten Wahlgang scheiterte. Damit war der Mut der Republikaner, sich als die „besseren Macronisten“ in Szene zu setzen, bis auf weiteres gekühlt und der Weg frei für Ciotti, der für einen harten Abgrenzungskurs steht: „Ich bin überzeugt, der Macronismus wird Macrons Abgang nicht überleben“, wird der Abgeordnete der Nationalversammlung nicht müde zu wiederholen. Denn dem Präsidenten sind nur zwei Amtszeiten in Folge erlaubt, so daß das Fell des Löwen 2027 neu verteilt wird. 

Ciotti, Absolvent der Elitehochschule Sciences Po, gehört nicht zu denen, die je die Flinte ins Korn werfen. Hart und unermüdlich hat er daran gearbeitet, sich eine Hausmacht aufzubauen. In seiner Heimat Nizza schuf er eine der mächtigsten und schlagkräftigsten Wahlkreisorganisationen der Republikaner. Und für seinen jetzigen Durchmarsch an die Spitze versicherte er sich der Unterstützung des Fraktionschefs im Parlament, Olivier Marleix, sowie seiner Vorgänger Christian Jacob und Laurent Wauquiez, den Ciotti bereits als Präsidentschaftskandidaten für 2027 ins Spiel gebracht hat. 

Berührungsangst mit einem herkömmlichen, bei uns als „völkisch“ gebrandmarkten Volksbegriff hat Ciotti nicht.

Dabei wurde der 57jährige Berufspolitiker lange als „Schattenmann“ zunächst des konservativen Bürgermeisters von Nizza, Christian Estrosi, später der Präsidentschaftskandidaten Nicolas Sarkozys und François Fillon unterschätzt. Im Macron-Lager verspottete man ihn gar als „Osterei der Republikaner“, wozu man wissen muß, daß im Französischen „Ostern“ (Pâques), wie „PACA“ klingt, die Abkürzung für Ciottis Heimatregion Provence-Alpes-Côte d’Azur. 

Die Mission Ciottis dürfte – bei allen Integrationsbemühungen gegenüber den Parteiflügeln – eine kompromißlose werden: „Ist die Rechte wirklich rechts, braucht es keine Rechtsaußenparteien“, so sein Credo. Daher zeigt er auch keine Berührungsängste mit einem herkömmlichen – hierzulande inzwischen als „völkisch“ gebrandmarkten – Verständnis von Staatsbürgerschaft. Auch als Anhänger der Theorie vom „Großen Austausch“ das französischen Volkes gab er sich zu erkennen, den er durch eine strikte Ausländerpolitik bekämpfen will. Und in Sachen Innere Sicherheit brachte er die Wiedereinführung von Zuchthäusern ins Gespräch. 

Nicht jedem gefällt das – und so kam es bereits zu dem einen oder anderen spektakulären Parteiaustritt. Denn ob Ciottis Strategie erfolgsversprechend ist, sich mit Marine Le Pen und Éric Zemmour einen rechten Überbietungswettbewerb zu liefern, ist fraglich, wenn 2027 die von Macron bei seiner Wiederwahl 2022 erzielten 27,8 Prozent des ersten beziehungsweise 58,6 Prozent des zweiten Wahlgangs zu verteilen sind. Ciottis Vorvorgänger, Laurent Wauquiez, war bereits damit gescheitert. Denn die Kernklientel der Republikaner sind weniger überzeugte Rechtswähler als vielmehr gemäßigte Konservative, von denen viele zuletzt für den im Laufe seiner Amtszeit etwas nach „rechts“ gerückten Macron gestimmt haben.