© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/22 - 01/23 / 23. Dezember 2022

Unter aller Kanone
Bundeswehr: Der Schützenpanzer zickt, aber die Luftwaffe bekommt ihr Prestigeobjekt
Peter Möller / Christian Vollradt

Das Desaster ist perfekt. Der Ausfall des Schützenpanzers Puma, der ab dem kommenden Jahr eine wichtige Rolle spielen sollte, wenn Deutschland die Führungsrolle der schnellen Nato-Eingreiftruppe VJTF (Very High Readiness Joint Task Force) übernimmt, ist für Bundeswehr und Rüstungsindustrie gleichermaßen ein schwerer Schlag ins Kontor. Entsprechend deutlich fiel die Reaktion von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) aus. „Die neuerlichen Ausfälle des Schützenpanzers Puma sind ein herber Rückschlag“, sagte sie. 

Mit einer Frist von wenigen Tagen hat Lambrecht eine Analyse der zuständigen Stellen des Verteidigungsministeriums, der Heeresinstandsetzungslogistik sowie der Industrie angefordert. Sie habe allen Beteiligten unmißverständlich klargemacht, dass das Projekt Puma an einer entscheidenden Wegmarke stehe. „Bevor sich das Fahrzeug nicht als stabil erweist, wird es kein 2. Los geben“, kündigte Lambrecht an. „Unsere Truppe muß sich darauf verlassen können, daß Waffensysteme auch im Gefecht robust und standfest sind.“ 

Daran bestehen beim Puma – wieder einmal – erhebliche Zweifel. Am Wochenende war ein Brandbrief des Kommandeurs der 10. Panzerdivision, Ruprecht von Butler, aus deren Reihen die für die VJTF vorgesehene Panzergrenadierbrigade 37 stammt, an die Führung des Heeres und das Verteidigungsministerium bekanntgeworden. Darin berichtet der General, daß bei einer Übung für die Nato-Eingreiftruppe im Schießübungszentrum des Heeres alle eingesetzten 18 Schützenpanzer mit technischen Defekten ausgefallen seien. Besonders brisant: Nachdem es in der Vergangenheit bereits mehrfach Probleme mit dem seit 2015 in der Truppe eingeführten Puma gegeben hatte, waren extra die 42 für die VJTF vorgesehenen Exemplare technisch nachgerüstet worden. Für weitere 200 der insgesamt bislang 350 an die Bundeswehr gelieferten Fahrzeuge ist diese Nachrüstung geplant. Für die Nato-Eingreiftruppe greift die Bundeswehr nun auf den gut 50 Jahre alten Puma-Vorgänger Marder zurück. 

Kritik an deutschem 

Wunsch nach „Goldrandlösung“

Das mehrfach kampfwertgesteigerte Fahrzeug gilt trotz seines Alters in der Truppe als äußerst robust und zuverlässig. Der technisch komplexere Puma (Spitzname „fahrender Computer“) hingegen macht der Bundeswehr seit seiner Einführung immer wieder Probleme. Kritiker sehen als Ursache das Bestreben der Bundeswehr, bei Rüstungsprojekten immer das technisch maximal umsetzbare anzustreben (sogenannte „Goldrandlösung“). Andere Armeen seien dagegen eher bereit, technische Abstriche hinzunehmen, um die Alltagstauglichkeit zu gewährleisten. Auch die vielgelobte deutsche Panzerhaubitze 2000 zeigt im Kampfeinsatz in der Ukraine Merkmale einer technischen Überzüchtung, die sich durch kurze Instandsetzungsintervalle bemerkbar macht.

Lambrecht versucht unterdessen, die Nato-Partner zu beruhigen und den Imageschaden zu begrenzen. Das Bündnis könne sich weiter auf die deutsche Pflichterfüllung bei der VJTF verlassen: „Wir haben den Schützenpanzer Marder bereits bei den Vorbereitungen eingeplant und das hat sich als klug erwiesen.“ Denn alle Beteiligten wissen: Sollten die deutschen Schützenpanzer in der Speerspitze der Nato ausfallen, wäre der Imageschaden für Deutschland und seine Streitkräfte verheerend.

Statt sich für neuen Ärger mit dem – nach dem Kampfpanzer Leopard – zweitwichtigsten Hauptwaffensystem des Heeres zu rechtfertigen, wollte die Ministerin eigentlich dieser Tage glänzen. Mit dem künftigen Stolz der Luftwaffe, dem in Texas produzierten Tarnkappen-Kampfflugzeug F-35 (JF 13/22). Gerade hat der Haushaltsausschuß grünes Licht für die Anschaffung von 35 Maschinen dieses Typs gegeben. Das Gremium muß allen Beschaffungen mit einem Volumen von 25 Millionen Euro und mehr gesondert zustimmen. Und allein für diesen Deal gehen knapp zehn Milliarden aus dem Sondervermögen Bundeswehr ab. 

Mit den Flugzeugen, den ersten Jets der„fünften Generation“, die frühestens ab 2026 das Eiserne Kreuz am Leitwerk tragen sollen, will Deutschland seine zentrale Nato-Verpflichtung sicherstellen: die nukleare Teilhabe. Das Abschreckungskonzept des Bündnisses sieht vor, daß Verbündete im Ernstfall amerikanische Atombomben transportieren. Diese Aufgabe übernehmen bisher die mittlerweile veralteten Tornados. Die moderneren Eurofighter haben keine entsprechende Zertifizierung. 

Mit der F-35 sei die Luftwaffe bald auf der Höhe der Zeit und könne mit den Bündnispartnern besser kooperieren, heißt es im Ministerium. Skeptiker befürchten, wegen Übertechnisierung könnte indes das gleiche drohen, was jetzt beim Puma für Ausfälle sorgt. Sobald die äußeren Umstände nicht mehr ideal sind – und wann sind sie das im Ernstfall schon –, könnte die Störanfälligekeit dieses „fliegenden Computers“ seinen Einsatz zum Risiko machen. Zuletzt wurden Maschinen des Typs wegen Problemen mit dem Schleudersitz „gegroundet“, durften also nicht starten. Völlig ausgeräumt ist auch noch nicht das Risiko für den Treibstofftank der Maschine bei Gewitter. 

Letztlich bedeutet die Beschaffung auch eine Abkehr von der Doktrin der Luftwaffe, die noch von den verlustreichen Erfahrungen mit dem „Starfighter“ stammen: nie wieder ein Kampfjet mit nur einem Triebwerk. Doch Kenner verweisen darauf, daß man diesen Vergleich so nicht mehr ziehen dürfe; es sei denn, man vergleiche technisch einen Käfer mit einem modernen Mittelklasse-Auto. 

Im Vorfeld der Abstimmung im Haushaltsausschuß hatte es ordentlich gerumst – vor allem innerhalb der Koalitionsfraktionen. Sogar Abgeordnete der SPD waren sauer auf die Verteidigungsministerin und Parteifreundin Christine Lambrecht. Die hatte nämlich erst eine Woche vor der entscheidenden Sitzung des Ausschusses das geheime Vertragswerk vorgelegt. 

Doch anders als vom Ministerium behauptet, lagen von amerikanischer Seite die Unterschriften seit Sommer schon vor. Zu Recht fühlten sich die Haushaltsverantwortlichen des Bundestags vorgeführt. Denn für mögliche Nachbesserungen oder ähnliches blieb keine Zeit – bis Silvester spätestens muß die deutsche Unterschrift erfolgen, sonst verfallen die Vertragsmodalitäten und es hätten neue Verhandlungen bei null beginnen müssen. 

Das Kalkül des Bendlerblocks für dieses Friß-oder-stirb: lieber eine Woche Ärger und Aufregung als ein halbes Jahr lang. Denn spätestens nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Zeitenwende-Rede im Bundestag das Detail, die F-35 zu ordern im Plenum verkündet hatte, war man auf dieses Modell festgelegt. Viel Verhandlungsspielraum gab es damit ohnehin nicht mehr. 

Wie üblich bei sogenannten Foreign military sales (FMS), mit denen die USA anderen Staaten Rüstungsgüter oder Dienstleistungen feilbieten: Die Amerikaner haften für nichts, es gibt weder Garantie noch Gewährleistung. Sollte es zu Streitigkeiten bezüglich der Vertragserfüllung kommen, müssen diese auf dem Verhandlungswege zwischen Berlin und Washington gelöst werden, ein Klageweg ist ausgeschlossen. Daran gibt es nichts zu rütteln: „FMS-Verträge folgen einer strikten Form, die durch die US-Regierung vorgegeben wird“, heißt es im über 300seitigen Werk klipp und klar.  

Ins Reich der Legenden gehört dagegen die Behauptung, die Schweizer hätten für ihre F-35-Exemplare auch wesentlich weniger bezahlt. Tatsächlich kann man nicht die Gesamtsumme durch die Stückzahl der Maschinen teilen, um den jeweiligen Einzelpreis einer F-35 zu ermitteln. Denn zum Gesamtpaket gehört auch die Munition des Kampfflugzeugs. Und da erhält die deutsche Luftwaffe deutlich mehr als der kleinere Nachbar im Süden – sowohl an Systemen als auch an Mengen. Beispielsweise beziehen die Schweizer keine Luft-Boden-Marschflugkörper, von denen die Luftwaffe laut offiziellen Angaben des amerikanischen Verteidigungsministeriums 75 Stück bekommt. Auch beim Modell einer Luft-Luft-Rakete bleibt in den Büchern der Schweizer die Stelle leer, während die Deutschen 105 Stück abnehmen. Bei Bomben stehen den 12 schweizerischen 344 deutsche gegenüber, bei einer anderen Sorte ist das Verhältnis 12 zu 264.

Die AfD stimmte gegen die F-35. In der Fraktion setzten sich die Haushaltspolitiker gegen die Mitglieder des Verteidigungsausschusses durch. Die hatten ausnahmslos für das Flugzeug plädiert, für das es – Stichwort nukleare Teilhabe – keine realistische Alternative gebe. Kontrovers, aber sachlich sei die Debatte verlaufen, berichten Teilnehmer. 

Neben grundsätzlichen Vorbehalten – technische Mängel, fehlende Garantien und eine zu einseitige rüstungspolitische Abhängigkeit von den Amerikanern – kritisiert die AfD-Bundestagsfraktion vor allem, daß Berlin beim Kauf der F-35 nicht vertraglich fest vereinbart hat, auch deutsche Firmen an dem Geschäft zu beteiligen. Außer lauen Absichtsbekundungen habe die Bundesregierung, anders als die Schweizer oder Italiener, nichts in der Hand, so der für den Verteidigungsetat im Haushaltsausschuß zuständige Abgeordnete Michael Espendiller. In seinen Augen sind auch die Unklarheiten in Sachen Folgekosten, etwa für die Instandhaltung, ein Grund, gegen das Projekt zu stimmen: „Wenn Experten davon ausgehen, daß die sogenannten Lebenszykluskosten für die F-35 das Fünffache ihres Anschaffungspreises betragen, bedeutet das für Deutschland ein Kostenvolumen von 40 bis 50 Milliarden Euro. Und es ist nicht klar, wie die Bundesregierung das finanzieren will – außer einem lapidaren Hinweis, solche Folgekosten sollen aus dem Sondervermögen beglichen werden.“ Das Sondervermögen wäre damit faktisch zur Hälfte schon verbraucht und stünde dann nicht für andere dringend benötigte Anschaffungen zur Verfügung, kritisiert der Haushaltsexperte. Er sieht bei den Folgekosten eine dauerhafte Finanzierungslücke, die den Steuerzahler noch lange beschäftigen werde. Und da seien Inflation und weitere Teuerungen noch gar nicht eingepreist.