© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/22 - 01/23 / 23. Dezember 2022

Ländersache: Sachsen
Ein Dresdner Weihnachtswunder
Paul Leonhard

So eine Bescherung: Noch vor Heiligabend präsentierte die Dresdner Staatsanwaltschaft dem kulturbewußten Bürgertum der sächsichen Landeshauptstadt einen Teil jener Schätze auf einem symbolischen Gabentisch, die es seit drei Jahren schmerzlich vermißt: Den aus 299 verschieden großen Brillanten bestehenden Hutschmuck, den ebenfalls mit Brillanten geschmückten Bruststern des polnischen Weißen Adlerordens, das Brillantcollier von Königin Amalie Auguste – insgesamt 31 Einzelteile.

Sie alle waren bei dem dreisten Juwelendiebstahl am 25. November 2019 aus dem weltberühmten Historischen Grünen Gewölbe im Dresdner Residenzschloß entwendet worden. Zwar hatte die Polizei bereits ein Jahr später bei einer Großrazzia in Berlin mehrere Tatverdächtige aus dem arabischstämmigen Remmo-Clan festgenommen, aber von den geraubten Schmuckstücken – insgesamt 4.300 Diamanten und Brillanten, Versicherungswert knapp 114 Millionen Euro, kunsthistorischer Wert unschätzbar – fehlte jede Spur. Bis vor einem Monat bestand wenig Hoffnung, daß die als unverkäuflich geltenden Objekte unbeschädigt wieder auftauchen würden. Allgemein wurde davon ausgegangen, daß die rabiaten Kriminellen nicht davor zurückschrecken würden, die Kostbarkeiten in ihre Einzelteile zu zerlegen, zumal sie bei ihrer Tat schon vieles zerstört hatten.

Die Pessimisten wurden jetzt eines Besseren belehrt. Offensichtlich ist es der Staatsanwaltschaft unter Einbeziehung des Landgerichts Dresden gelungen, einen Deal mit den Rechtsanwälten abzuschließen, die insgesamt sechs der wegen schweren Bandendiebstahls und Brandstiftung angeklagten Remmo-Männer vertreten. Das wiederum könnte mit der Situation in den sächsischen Gefängnissen zusammenhängen, die „die Clanmitglieder unerwartet hart getroffen habe“, wie Medien berichten. Und daß der Aufenthalt dort lange Jahre dauern könnte, wurde während des Prozeßverlaufs deutlich, bei dem die Ermittler ausreichend Beweise präsentierten, die einen Freispruch immer unwahrscheinlicher machen – also Diamanten und Brillanten gegen ein milderes Urteil. Jedenfalls wurden die Schmuckstücke in einer Berliner Anwaltskanzlei übergeben, von Spezialkräften der Dresdner Polizei in die sächsische Landeshauptstadt transportiert, wo sie jetzt in einem besonders geschützten Teil der Schatzkammer auf ihre Echtheit untersucht werden.

Derweil ist in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) „ein riesiger Freudentaumel ausgebrochen, daß die einzigartigen Juwelengarnituren wiedergefunden wurden“, ließ sich deren Generaldirektorin Marion Ackermann in einer Mitteilung ihres Hauses zitieren. Von erstklassiger Arbeit der Polizei und Justiz spricht Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Allerdings haben die Diebe viel kaputtgemacht, und es fehlen noch immer die bedeutendsten Stücke, so die beim Raub beschädigte Epaulette mit dem „Sächsischen Weißen“, einem weißen Diamanten von 50 Karat, und die Große Brustschleife der Königin Amalie Auguste, bestehend aus 51 großen und 611 mittleren bis kleinen Diamanten. Die Dresdner freuen sich dennoch über ihr „Weihnachtswunder“.