© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/22 - 01/23 / 23. Dezember 2022

Immer wieder gibt es Verhaftungen
Christen im Iran: Nur wer sich mit dem Mullah-System arrangiert, kann seinen Glauben ungetrübt ausüben
Claus Folger

Am 25. Dezember 2021 schickte der iranische Außenminister Hossein Amir Abdollahian seine Botschaft in die Welt: „Ich gratuliere allen Christen, insbesondere meinen anständigen und patriotischen Landsleuten, zum Jahrestag der Geburt Jesu Christi, des Propheten des Friedens und der Versöhnung und des Fahnenträgers der Güte und der Nächstenliebe, zum Weihnachtsfest.“ „Wir hoffen auf eine friedliche Koexistenz zwischen den Anhängern göttlicher Religionen und die Beseitigung von Tyrannei, Unterdrückung und Ungerechtigkeit“,  betonte Amir-Abdollahian.

Doch wer im Iran Leiter oder Mitglied einer Hauskirche ist, lebt  weiterhin gefährlich. Kommt der Geheimdienst einer Hausgemeinde auf die Spur, drohen Verhöre und Verhaftungen. „Was machst du, wenn du dich mit anderen Christen triffst? – Welche Lieder singt ihr? – Für welche Organisation arbeitet ihr? – Schreib die Namen von allen anderen Christen auf“, heißt es dann. 

So wurde der Konvertit Naser Navard Gol-Tapeh nach Angaben der irischen Hilfsorganisation Church in Chains am 24. Juni 2016 verhaftet, nachdem dreißig Agenten des iranischen Geheimdienstes eine Verlobungsfeier in einem Haus in Karaj in der Nähe von Teheran gestürmt hatten. Gol-Tapeh und drei aserbaidschanische Christen, die zu Besuch waren, wurden im Evin-Gefängnis inhaftiert, wo sie zwei Monate lang in Einzelhaft gehalten, verhört und ihnen konsularischer Beistand und Rechtsbeistand verweigert wurden. Sie wurden alle wegen „illegaler Versammlung und Evangelisation“ angeklagt.

Während die drei Aseris den Iran am 6. November 2016 unter Verwirkung ihrer Kaution verlassen durften, wurde Gol-Tapeh am 23. Mai 2017 wegen „Handelns gegen die nationale Sicherheit durch Gründung und Aufbau einer illegalen kirchlichen Organisation in seinem Haus“ zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Am 12. November 2017 verlor Gol-Tapeh seine erste Berufung und wurde stattdessen am 20. Januar 2018 in das berüchtigte Evin-Gefängnis eingeliefert, um seine zehnjährige Haftstrafe zu verbüßen. Im November 2020 wurde ihm mitgeteilt, daß auch sein dritter Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens abgelehnt worden war. 

In der ersten Januarwoche 2022 reichte Gol-Tapehs Anwalt Iman Soleimani einen weiteren Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ein. Soleimani bezog sich darin laut Church in Chains auf Artikel 18. Dem zufolge sei keine der Anschuldigungen gegen seinen Mandanten begründet. Der Anwalt stützte sich bei seinem neuen Antrag auf die jüngste Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, wonach neun christliche Konvertiten, die zu fünf Jahren Haft verurteilt worden waren, nicht wegen „Handlungen gegen die nationale Sicherheit“ hätten verurteilt werden dürfen. 

In seinem Urteil hatte das Berufungsgericht laut einem Bericht von Open Doors die Argumente der Verteidigung aufgegriffen, wonach die neun Männer lediglich „in Übereinstimmung mit den Lehren des Christentums“ an Treffen der Hauskirche teilgenommen hätten. 

Besonders die Konvertiten stehen 

unter hohem Verfolgungsdruck

Ende Januar 2022 erklärte dann der Oberste Gerichtshof des Iran, Gol-Tapehs Fall erneut zu überprüfen. Nachdem ihm im Juli 2022 zum fünften Mal die Entlassung auf Bewährung verweigert wurde, unterstrich sein Anwalt Iman Soleimani, man habe ihm gesagt, daß Gol-Tapeh als „Abschreckung“ für andere Christen festgehalten werde. Eine vorzeitige Freilassung würde ein falsches Signal aussenden. In der Folge des verheerenden Brandes im Evin-Gefängnis wurde Naser Navard Gol-Tapeh zusammen mit der Christin Fariba Dalir nach Angaben der Mohabat News am 25. Oktober aus dem Gefängnis entlassen.

Zwar sind Christen, die Angehörige der ethnischen Minderheiten sind (Armenier, Assyrer, Chaldäer), weitgehend in die iranische Gesellschaft integriert. Zu den anerkannten christlichen Kirchen im Iran gehören die anglikanischen Kirchen St. Luke’s und St. Paul’s in Isfahan, St. Simon the Zealot in Shiraz und St. Paul’s in Teheran. 

Soweit sie ihre Arbeit ausschließlich auf die Angehörigen der eigenen Gemeinden beschränken, werden sie geduldet. Alle Christen und Kirchen im Iran müssen bei den Behörden registriert sein. Nur anerkannte Christen dürfen in die Kirche gehen, und sie dürfen nicht missionieren. Die Kirchen werden von Sicherheitsbeamten überwacht, um sicherzustellen, daß keine Christen mit muslimischem Hintergrund daran teilnehmen. Private und einsame Gottesdienste in den eigenen vier Wänden sind möglich und würden im allgemeinen kein echtes Verfolgungsrisiko mit sich bringen. 

Parallel dazu wurden nach Angaben der Church Times die Artikel 499 und 500 des Strafgesetzbuchs, die routinemäßig bei der Verfolgung von Konvertiten angewandt werden, geändert, um den Anwendungsbereich für die Verfolgung von Christen, insbesondere von Konvertiten vom Islam zum Christentum, die das Regime als Mitglieder von „Sekten“ und „Kulten“ definiert, zu erweitern.

Entsprechend wurden einem Bericht von Open Doors zufolge am 7. Juni ein iranisch-armenischer Pastor zu zehn Jahren Gefängnis, zwei christliche Konvertitinnen zu sechs Jahren und vier weitere Christen zu ein bis vier Jahren Gefängnis verurteilt. 

Der hohe Verfolgungsdruck hinderte 300 iranische Christen, darunter elf ehemalige politische Gefangene, angesichts der Protestwelle infolge des Todes der 22jährigen Mahsa Amini, jedoch nicht daran, eine gemeinsame Erklärung zur Unterstützung der landesweiten Proteste zu unterzeichnen: „Wir sind der Meinung, daß es nicht ausreicht, unsere Solidarität nur in Worten auszudrücken, sondern wir wollen uns an praktischen Aktionen gegen diese blutrünstige 43jährige Infektion unserer Gesellschaft beteiligen.“

Gegenüber ISNA erklärte dann Yonathan Betkolia, Leiter der Assyrischen Gesellschaft von Teheran, daß die Geheimdienst- und Sicherheitsbehörden der Islamischen Republik die „Vertreter der Christen, die Bischöfe und assyrischen Priester gebeten“ hätten, die Teilnahme christlicher und assyrischer Bürger an den landesweiten Protesten zu verhindern. Parallel dazu betonte Betkolia, daß „es einige Mitchristen“ gebe, „vielleicht mehr von ihnen außerhalb des Iran“, die versuchten, Irans „Jugend aufzuhetzen“. Betkolia, seit fünf Jahren Mitglied des iranischen Parlaments, wurde Angaben von Radio Free Europe zufolge von iranischen Christen mehrfach für seine Nähe zu den Behörden der Islamischen Republik kritisiert.