© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/22 - 01/23 / 23. Dezember 2022

Neuntes EU-Sanktionspaket gegen Rußland in Kraft gesetzt
Drohnen und Preisbremsen
Dirk Meyer

Nomen est omen: Liquefied natural gas (LNG) – verflüssigtes Erdgas – kennt weder Grenzen noch Nationalitäten. Es fließt dorthin, wo der Preis am höchsten ist. Als Olaf Scholz das erste LNG-Terminal in Wilhelmshaven mit den Worten eröffnete, daß wir auch unabhängig von russischen Lieferungen „die Energieversorgung mit Gas gewährleisten können“, wird den wenigsten bewußt gewesen sein, daß im Schnitt 13 Prozent der europäischen LNG-Importe aus Rußland stammen – ganz legal. Sanktionen gegen die Kräfte des Marktes durchzusetzen ist schwierig, denn das Profitmotiv wirkt in der Regel stärker – legal, mitunter illegal. Die Zeche zahlt dann der Endkunde oder – bei „Preisbremsen“ für Strom, Gas und Fernwärme per Gießkanne – der Steuerzahler. Die drei Entlastungspakete summieren sich auf 95 Milliarden Euro. Zusätzlich wurde ein „Abwehrschirm“ von 200 Milliarden aufgespannt – kreditfinanziert.

Rußland ist in eine Rezession gerutscht, mit Einbußen von 3,4 bis 5,5 Prozent seiner Wirtschaftsleistung (BIP). Doch die dürften eher durch das westliche Technologieembargo verursacht sein. Denn der Mengeneffekt rückläufiger Öl- und Gasexporte wird durch die gestiegenen Preise überkompensiert – und daran wird auch das neunte EU-Sanktionspaket nichts ändern. So wurden etwa 200 weitere Personen und Organisationen auf die Sanktionsliste gesetzt, deren Vermögenswerte eingefroren werden. Neben Guthaben der russischen Zentralbank (290 Milliarden Euro) sind bislang über 17 Milliarden Euro russischen Eigentümern entzogen worden – teils mit viel Aufwand für die europäischen Treuhänder, wie bei den Oligarchen-Jachten sichtbar. Sodann betreffen die neuen Ausfuhrbeschränkungen weitere sensible Güter mit doppeltem Verwendungszweck (dual use): solche mit möglichem Einsatz als Kriegsmaterial wie Drohnenmotoren, Kameras und Linsen, chemische/biologische Substanzen, Reizstoffe sowie elektronische Komponenten. Diese Maßnahmen verfolgen einen klar definierten Zweck und erschweren die russische Kriegsführung, wenngleich es auch hier zu Umgehungen über Drittstaaten kommt.

Um so erstaunlicher, daß diese Beschränkungen erst jetzt ergriffen werden. Die neuen Maßnahmen ergänzen das zum 5. Dezember in Kraft getretene Einfuhrverbot für russisches Tanker-Öl und die von den G7-Ländern beschlossene weltweite Ölpreisobergrenze von 60 Dollar pro Barrel für russisches Öl. Die für diesen Fall von der russischen Regierung angekündigte Zurückhaltung von Erdöllieferungen bzw. Umlenkung über Drittstaaten wird den Preis für europäische Belieferungen letztlich steigen lassen.

Da die Bundesregierung zusätzlich entschieden hat, auch auf russisches Pipeline-Öl zu verzichten, wird dies massive Auswirkungen auf die brandenburgische Großraffinerie PCK Schwedt mit rund 1.200 direkt betroffenen Arbeitnehmern haben. Ähnlich preissteigernd dürfte der am Montag von den EU-Ministern verhandelte „Marktkorrekturmechanismus“ für Erdgas wirken – der beschlossene Höchstpreis steigert die Nachfrage und senkt das Angebot, geradezu katastrophal für das vom Gas abhängige Deutschland. Was liegt da näher, als eine Aufhebung dieser Energiesanktionen zu fordern: Sie schaden uns massiv, verzerren die Preise, machen teure und zielungenaue Sozialausgleiche notwendig und führen zu unübersehbaren Folgeinterventionen.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.