© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/22 - 01/23 / 23. Dezember 2022

Wüstendukaten für edlen Winterurlaub
Katargate: Die Affäre um die griechische Sozialistin Eva Kaili zieht innerhalb des EU-Parlaments immer größere Kreise
Albrecht Rothacher

Vorhersehbar weitet sich die Affäre um „Geldgeil-Kaili“ (Focus) buchstäblich in alle Himmelsrichtungen aus. Die abgesetzte sozialistische Vizepräsidentin des EU-Parlaments (EP) hatte am Dienstag zumindest ein Teilgeständnis abgelegt. Zuvor hatte sie behauptet, ein „Unbekannter“ habe in ihrer Wohnung Taschen mit 150.000 Euro deponiert (JF 51/22). Auch Eva Kailis Lebenspartner, Francesco Giorgi, ebenfalls für die S&D-Fraktion und Menschenrechts-NGOs führend tätig, legte bereits Geständnisse ab. Auch soll Kaili – ebenso wie die Griechin Maria Spyraki (Nea Dimokratia/ND; EVP-Fraktion) – Bezüge für eine Assistentenstelle selbst eingesteckt und eine verdächtig billige Etagenwohnung in Saloniki in bar bezahlt haben.

Auch das Geschäftsmodell des Pier Antonio Panzeri, ehemals kommunistischer Gewerkschaftsfunktionär und S&D-Langzeit-MdEP, wurde klarer. Mit den von ihm kontrollierten NGOs „No Peace without Justice“ und „Fight Impunity“ stellte er Sponsoren wie Katar und Marokko „Persilscheine“ aus und ließ die Feinde der katarischen Scheichs wie Ägypten, den Iran und Saudi-Arabien massiv angreifen. Dazu bezahlten der marokkanische Botschafter in Polen und der marokkanische Geheimdienst DGED seiner Familie einen Winterurlaub im Wert von 100.000 Euro. Die Gegenleistung: Lobbydienste bei den europäischen Sozialisten für marokkanische Interessen in der von Marokko annektierten Westsahara (bis 1975 spanische Kolonie) bei Fischereirechten und bei der Migration von Marokkanern in die EU.

In der S&D hängt derweil der Haussegen schief. Ist doch allen erinnerlich, wer am lautesten die Reformen für Gastarbeiter in Katar gepriesen hat. Ähnliches in der EVP-Fraktion, die sich in Sachen der Verhaftung eines Politaktivisten in Bahrein bei einer Resolution enthielt, nachdem ihr Abgeordneter Tomáš Zdechovský, ein Christdemokrat aus dem böhmischen Deutschbrod (Havlíčkův Brod), von seinen Bahrein-Besuchen geschwärmt hatte. EVP-Chef Manfred Weber (CSU) wollte die Skandale unter den Teppich kehren, aber jetzt geht die Furcht um, diese Affären könnten den Wählern bei den EP-Wahlen Mitte 2024 noch erinnerlich sein. Parlamentspräsidentin Roberta Metsola (EVP) kündete daher an, sie wolle ein Lobbyregister auch für dubiose NGOs einführen und Drittstaatentreffen von Abgeordneten irgendwie überwachen.

Dubiose Milliardenbestellungen für Pfizer-Biontech-Impfstoffe

Nun hat die Malteserin selbst erst im September ihren Kabinettschef Alessandro Chiocchetti in einem Deal zwischen EVP, Liberalen (Renew) und Linken über etliche Gehaltsstufen hinweg zum Generalsekretär und obersten Beamten der Parlamentsverwaltung mit einem Haushalt von zwei Milliarden und 8.000 Bediensteten für 705 Abgeordnete befördert. Die Linken-Fraktion erhielt dafür eine 13. Generaldirektion für „Parlamentarische Demokratische Partnerschaften“, die auch über vier Direktorenposten verfügt. Unbelastet in jenen Affären ist die rechte ID-Fraktion (AfD, FPÖ, Lega, Rassemblement National), die vom Allparteien-Kartell ausgeschlossen ist und als einzige gegen die Visafreiheit für Kataris und Kuwaitis stimmte.

Doch sind die Geschenke, die EU-Ratspräsident Charles Michel, ein wallonischer Liberaler, bei seinem Doha-Besuch im September erhielt, weiter unbekannt. Auch behauptete EU-Kommissionsvize Margaritis Schinas (ND; Nea Dimokratia EVP) beim Besuch der WM-Eröffnung zusammen mit Kaili nur einen Fußball und eine Pralinenschachtel von den Al-Thanis erhalten zu haben – in der arabischen Welt kein Geschenk, sondern eine Beleidigung – und diese seinem Fahrer geschenkt zu haben.

Viel wichtiger dagegen das EU-Katar-Luftverkehrsabkommen, das die Kommission in Gestalt ihrer Generaldirektion Verkehr von 2015 bis 2019 mit Katar verhandelte und das seit Oktober 2021 angewendet wird. Es beinhaltet den „gegenseitigen“ Marktzugang mit Landerechten: die Fluglinien der EU zum Markt von Katar mit 2,9 Millionen und Qatar Airways zum EU-Markt von 450 Millionen Kunden. Dabei erhält Qatar Airways wie der Konkurrent Emirates Kerosin praktisch gratis, braucht sich ums Arbeitsrecht nicht zu scheren und hat Direktzugang zu Staatssubventionen, während die EU-Fluglinien mit CO2-Abgaben, Sondersteuern auf Flugtickets und Corona-Auflagen politisch nach Kräften schikaniert werden. Ihre Proteste und die der EU-Gewerkschaften wurden weggebürstet.

Nach einer jener wohlfeilen „Studien“, die von der EU-Kommission veröffentlicht wurden, schafft jene faktisch einseitige Öffnung des EU-Marktes 2.000 neue Jobs und wirtschaftliche Vorteile von drei Milliarden Euro. Die Frage zu wessen Gunsten, beantwortet sich selbst. Politisch verantwortlich waren zunächst die slowenische Verkehrskommissarin Violeta Bulc und seit 2019 die rumänische Liberale Adina Vălean. Die offenkundige Frage nach den Wohltaten, die Qatar Airways den Verhandlern spendierte, interessiert nicht nur den AfD-Abgeordneten Markus Buchheit in seinen parlamentarischen Anfragen in Brüssel. Auch die dubiosen Milliardenbestellungen für Pfizer-Biontech-Impfseren, die Kommissionschefin Ursula von der Leyen „telefonisch“ bei Pfizer-Chef Albert Bourla bestellte, der wie Kaili zufällig auch aus Saloniki stammt, harren noch immer der Aufklärung.

Für Katar, das 220 Millionen Euro zum Kauf der WM investierte, sind die bisher bekannten 1,5 Millionen Euro für die Europaabgeordneten nur die berühmten „peanuts“. Doch sie sind nicht allein. In Londoner Unterhaus erhielten 34 Abgeordnete aus allen EP-Fraktionen jeweils zwischen 3.900 und 13.700 Pfund an Geschenken und Reisespesen, ein nettes Taschengeld. In der französischen Nationalversammlung ist Katar nach Israel, China und den USA das viertbeliebteste politische Reiseziel. Und sicher nicht wegen des Menschenrechtsdialogs oder Kamelreiten. Andere bekannte Empfänger katarischer Großzügigkeit sind ein US-Nato-General, dem dies die Pension kostete, oder die bulgarische Unesco-Generaldirektorin Irina Bukova, die freilich weiter in Amt und Würden ist, nebst Ehegatten.


Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung (Olaf):

 anti-fraud.ec.europa.eu