© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/22 - 01/23 / 23. Dezember 2022

Zukunftsgesellschaft zwischen Huxley und Orwell
Zuckerbrot und Peitsche
(ob)

Die „Endzeitromane“ der britischen Schriftsteller Aldous Huxley („Schöne neue Welt“, 1932) und George Orwell („1984“, 1949) galten noch in den 1990ern, als nach dem Zusammenbuch der Sowjetunion universalistische Blütenträume von Weltfrieden durch Weltdemokratie ins Kraut schossen, als historisch widerlegte Zukunftsentwürfe notorischer Schwarzseher. Für Aleksandra Sowa, Informatikerin und Spezialistin für Datensicherheit, sind die beiden Werke heute aktueller denn je. Die Frage sei nur, ob Huxley mit seinem Ausblick auf die schöne neue Welt des Jahres 2541, die von biologisch manipulierten Konformisten bevölkert wird, oder Orwell mit seiner dystopischen Überwachungsellschaft die kommenden Entwicklungen des 21. Jahrhunderts treffender vorhergesagt hat. Steuert die Menschheit auf eine totalitäre Welt à la „1984“ zu oder leben wir schon in Huxleys eingeschläferter Spaß- und Konsumgesellschaft des „letzten Menschen“ (Friedrich Nietzsche)? Es scheine sich eine Mischung aus beiden herauszukristallisieren. So seien die sozialen Medien zwar kein Big Brother, aber eine Menge Little Brothers, die ein ultimatives Selbstüberwachungsmodell kreieren, ergänzt um Social-Credit-Systeme, die in China, den USA und Deutschland an Verbreitung gewinnen. Die von ihnen avisierte Belohnung, das Zuckerbrot für regelkonformes Verhalten, sei die Teilhabe an Spaß und Konsum für gut Benotete, die ihre Freiheit für kleine narzißtische oder materialistische Vorteile aufgeben. Die Peitsche, Orwells Repressionsapparat in abgeschwächter Form, erwarte die Ungehorsamen in Form unerbittlicher sozialer Ausgrenzung (Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, 12/2022).