© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/22 - 01/23 / 23. Dezember 2022

Filmmusik pflasterte seinen Lebensweg
Kino I: Eine Dokumentation über das Leben und Vermächtnis des legendären italienischen Komponisten Ennio Morricone
Wolfgang Paul

Die Filmmusik zu „Leichen pflastern seinen Weg“ und „Für ein paar Dollar mehr“ hat ihn weltberühmt gemacht. Er brachte dem Western die Flötentöne bei und obendrein viele Zuschauer dazu, nach dem Kinobesuch auch die Schallplatte mit der einprägsamen Musik zu kaufen. Doch es wäre viel zu kurz gegriffen, den Namen Ennio Morricone nur mit der musikalischen Untermalung von Italowestern zu verbinden. Morricone komponierte für die unterschiedlichsten Filme, aber auch für klassische Orchester, Jazz und Pop-Songs. Auch die Melodie zu Joan Baez’ berühmtem Protestlied „Here’s to You“ stammt von ihm.

Der italienische Regisseur Giuseppe Tornatore hat seinen Landsmann zur Mitwirkung an einem filmischen Porträt gewonnen, in dem er Morricones Leben und die ganze Vielfalt seiner Kompositionen Revue passieren läßt. Für so ein Vorhaben brauchte es einen langjährigen Weggefährten, denn der 1928 in Rom geborene Morricone, der kurz nach der Vollendung dieser Dokumentation gestorben ist, war ein sehr zurückhaltender Mann. Aber die Zusammenarbeit bei 13 Filmen verbindet, und dies besonders, wenn sich unter ihnen mit „Cinema Paradiso“ der bekannteste des Regisseurs befindet, der zugleich auch eine große Liebeserklärung an das Kino ist.

Er hatte ein Talent für Melodien mit Kontrapunkten

Dabei spielte das Kino für den jungen Ennio keine entscheidende Rolle, er eiferte dem Vater nach und erlernte das Trompetenspiel. Weil die Trompete die Familie ernährte, trieb der Herr Papa dem Sohn auch den Gedanken, Medizin zu studieren, aus dem Kopf und befahl ein Musikstudium. Was bisher gut geklappt hatte, könne auch so weitergehen, glaubte Senior Morricone. Er sei ein gehorsamer Sohn gewesen, gesteht der alt gewordene Junior lächelnd.

Nach dem ungewöhnlichen Beginn wollte Morricone unbedingt zur Komponistenausbildung bei Goffredo Petrassi. Bei seinem Studium der klassischen Musik beschäftigte er sich intensiv mit dem Kontrapunkt. Das Setzen von Gegenstimmen wird später gerade seine Film-Kompositionen interessant machen. Manchmal wird er sogar einer Melodie eine vollständige zweite unterlegen. Und er wird lange um die Akzeptanz seines Lehrers Petrassi kämpfen, der Filmmusik nicht ernst nehmen konnte.

Ohne die wilde Experimentierfreude der fünfziger Jahre ist sein musikalisches Werk kaum denkbar. So nahm er an den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik in Darmstadt teil, wo mit den Geräuschen von Alltagsgegenständen wie einer Schreibmaschine experimentiert wurde.

Doch entscheidend für Morricones Schaffen war wohl sein Talent für Melodien. Er habe die Noten niedergeschrieben wie andere einen Brief, heißt es über ihn. Er rettete den italienischen Teil der Plattenfirma RCA mit eingängigen Schlagern vor der Insolvenz. Durch eine Festanstellung beim italienischen Fernsehen kam er zur musikalischen Untermalung von bewegten Bildern und somit zur Filmmusik, die ihn zunächst nicht begeisterte. Als er 1961 seinen ersten Film machte, glaubte er, daß er 1970 mit dem Kino aufhören werde.

Tornatores Interview mit Morricone bildet das Rückgrat des Films. Darin erweist sich der Maestro als ein Erzähler mit einer gewissen Distanz zu sich selbst und einer Prise trockenem Humor. Eingestreut sind die Aussagen von Freunden, Bewunderern, Regisseuren und Weggefährten. Manchmal ist einer auch alles zusammen wie Sergio Leone, der schon als Kind mit Ennio die Schulbank drückte, was ein Foto aus jenen Tagen beweist. Zu den prominenten Gesprächspartnern gehören unter anderem Quentin Tarantino, Clint Eastwood, Bruce Springsteen und Hans Zimmer.

Bei den zahlreichen Filmausschnitten stehen natürlich die Italowestern von Leone und Corbucci sowie Leones Epos „Es war einmal in Amerika“ an prominenter Stelle. Leone wollte im ganzen Film Panflöten, Morricone wehrte ab: „Die passen nicht immer.“ So rettete er den Film. Viele Regisseure rissen sich um ihn, auch wenn er in Musikfragen nicht mit sich reden ließ. Für rund 20 Filme pro Jahr komponierte er in seiner Glanzzeit. Enttäuschungen blieben nicht aus. Er verließ 1987 die Oscar-Verleihung, als er mit „The Mission“ leer ausging. Später erhielt er für sein Gesamtwerk den Ehren-Oscar und einen „richtigen“ für Tarantinos „The Hatefull Eight“.

In den Ausschnitten zeigt sich auch, wie erst mit Morricones Musik melodramatische Situationen ihre Größe gewinnen. Und selbst bei den Aufnahmen von verschiedenen Konzerten, die von Massimo Quaglia grandios zusammenmontiert wurden, leben die Emotionen wieder auf. Es braucht die Filmbilder gar nicht. Tornatores Film ist ein Geschenk an alle Film- und Musikbegeisterten.


Kinostart ist am 22. Dezember 2022