© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/22 - 01/23 / 23. Dezember 2022

Sie kommen nicht zur Ruhe
Viele Mitarbeiter sind verunsichert: Bertelsmann-Chef Thomas Rabe baut RTL und G+J um
Gil Barkei

Es brodelt bei Bertelsmann. Der größte deutsche Medienkonzern aus dem kleinen ostwestfälischen Gütersloh galt lange als eher stiller Primus, von dem man gar nicht so genau wußte, wie viele Fäden zu Verlagen, Musiklabels, Fernsehsendern und Think Tanks er kontrolliert. Nun herrscht seit Monaten Unruhe im Unternehmensnetzwerk. Anfang des Jahres fusionierte Gruner + Jahr (G+J) als Tochtergesellschaft mit RTL Deutschland, das zur RTL Group gehört, an der Bertelsmann 75 Prozent der Anteile hält. 

Der damalige Vorstandsvorsitzende von G+J, Stephan Schäfer, wurde neben Matthias Dang zum Co-Geschäftsführer bei RTL Deutschland und Herr über 14 Standorte mit 7.500 Mitarbeitern. Bis er im August – nachdem er das Streaming­angebot RTL+ mit aufgebaut hatte – gehen mußte und RTL-Group-CEO und Bertelsmann-Lenker Thomas Rabe selbst den Chefposten übernahm. 

Und Rabe zückte sofort den Rotstift. Da die RTL Group 2022 durch das Streaming-Geschäft Anlaufverluste von 250 Millionen Euro mache, müßten die Ressourcen im Zuge eines „aktiven Kostenmanagements“ neu verteilt und Strukturen hinterfragt werden, zitiert der Branchendienst DWDL im Herbst aus einem RTL-Intranetbeitrag des 57jährigen Luxemburgers. Eine geplante App für RTL+, die Fernsehformate, Streaming und Musik bündeln sollte („One App, All Media“), wurde auf Eis gelegt.

Doch damit nicht genug. Rabe stellt als Teil des „Zukunftsprogramms ONE“ die früheren G+J-Magazine zur Disposition: Angesichts des „besonderen Drucks“ auf das Geschäft (unter anderem wegen der gestiegenen Papierpreise), werde man „das Titelportfolio überprüfen und nur solche Titel mit RTL zusammenführen, die wirklich synergetisch sind“. 

Ungewißheit und Unsicherheit entstehen. Was heißt „synergetisch“ genau in der Konsequenz: Sparmaßnahmen, Neuaufstellung, Verkauf, Einstellung? Welche Zeitschriften sind von einem Aus bedroht? Zu G+J gehörten neben Schwergewichten wie Stern, Geo, Gala, Capital und Brigitte auch Nischenprodukte wie National Geographic, 11 Freunde, Beef, Barbara oder Landlust. Dazu hielt G+J 25 Prozent an der Spiegel-Gruppe, die nun an RTL Deutschland übergegangen sind. Rabe betonte bisher, diese sichern zu wollen.

Die alten Verlagsmanager gehen, die Fernsehlenker steigen auf

Dennoch ist selbst die Gewerkschaft mittlerweile alarmiert. Die Gemütslage bei den Mitarbeitern „changiert zwischen Fatalismus, vorsichtiger Zuversicht und Fluchtgedanken“, konstatiert 

ver.di-Landessekretärin Tina Fritsche. Und auf verdi.de ergänzt Günter Herkel: „Daß der Bertelsmann-Boß im Grunde kein Interesse an Print hat, ist im Unternehmen kein Geheimnis. Dennoch erschreckt viele langjährige Verlagsmitarbeiter*innen die Kaltschnäuzigkeit, mit der Rabe offensichtlich Teile des Zeitschriftengeschäfts loswerden will.“ Die da unten gegen die da oben.

Gerüchte machen in der Hamburger G+J-Verlagszentrale die Runde. Bis Februar möchte RTL analysieren und entscheiden, welche Marken gehalten werden sollen. Viele Mitarbeiter machen sich Sorgen um ihre Jobs. Überleben am Ende nur Geo, Stern und Capital, wie Meedia über Spekulationen berichtet? Laut Handelsblatt laufen bereits Verkaufsverhandlungen mit der Mediengruppe Klambt und der Bauer Media Group. Alle beteiligten Firmen dementieren zwar entschieden, die Stimmung ist jedoch angespannt. 

Mehrere Führungspersönlichkeiten haben das Unternehmen derweil verlassen. Kurz nach dem Rauswurf von Stephan Schäfer verläßt auch sein einstiger Vertrauter Oliver Radtke das zusammengelegte Konstrukt aus Verlag und Fernsehsender „mit sofortiger Wirkung“. Dabei hatte ihn Rabe im Zuge seiner Neuordnung erst in die RTL-Geschäftsführung berufen. Der ehemalige Stern.de-Chefredakteur sowie jahrelange G+J-Sprecher und spätere RTL-Kommunikationschef Frank Thomsen sagt ebenfalls zum Jahresende ade. Mit ihm ende die Ära der G+J-Manager, schreibt Kress News. G+J-Ikone Julia Jäkel hatte bereits 2021 vor dem Zusammenschluß mit RTL Deutschland die Reißleine gezogen; ein vermuteter Grund: erhebliche Differenzen mit Thomas Rabe.

Währenddessen baut dieser das Management von RTL Deutschland weiter um. Mitte November macht er den bisherigen „Chief Journalistic Content Officer“, Stephan Schmitter, zum Programmchef, der sämtliche Inhalte von Unterhaltung über Fiction bis zum Sport verantwortet. Sein Vorgänger Henning Tewes wechselt in die Mutter-Gruppe. Zuständig für den Einkauf von Fremdprogrammen und Lizenzen wird „Chief Operating Officer“ Andreas Fischer. 

Ein buntes Personalkarussell, dessen Nutzen für die Beruhigung des Arbeitsalltags fraglich sein dürfte und das sich in etwa so zusammenfassen läßt: Die alte G+J-Garde geht, die RTL-Jungs bleiben; der Fokus für die Zukunft liegt nicht bei Print und Pressejournalismus, sondern bei Bewegtbildern und Entertainment. „Ein Verlag wird gecancelt“, nannte es Harald Staun zugespitzt in der FAZ. Die Internetpräsenz leitet bereits auf rtl.com weiter. „Wir sind RTL“, prangt dort.

Allerdings kommt 2023 neue Unruhe auf die Belegschaft zu. Da Rabe angekündigt hatte, den Posten des Vorsitzenden der Geschäftsführung „nicht länger als ein Jahr“ zu bekleiden, stellt sich bereits zum Jahreswechsel die Frage, wer ihn beerben wird. In der zweiten Reihe wartet immer noch Matthias Dang. Hausinterne Erfahrung bringt auch der momentane Geschäftsführer von RTL Zwei, Andreas Bartl, mit.

Der Neue hat neben den Auswirkungen der Portfolio-Frage noch andere Baustellen vor sich, insbesondere unter der großen internationalen Ausrichtung der Gütersloher. In Frankreich stoppten Bertelsmann und der französische Immobilien- und Medienkonzern Bouygues die Großfusion ihrer TV-Sender M6 und TF1, da sich ein Einspruch der Wettbewerbswächter abzeichnete: Der Verbund hätte drei Viertel des französischen Marktes beherrscht. Die zu beobachtende Annäherung der beiden deutschen Fernsehriesen RTL und ProSiebenSat.1 ist damit vom Tisch – vorerst.

Internationale Ausrichtung mit Hindernissen

In den Vereinigten Staaten scheiterte kürzlich die Übernahme des Buchverlags Simon & Schuster ebenfalls an den Kartellbehörden. Für gut zwei Milliarden Dollar wollte der weltgrößte Buchverlag, Penguin Random House, der vollständig zu Bertelsmann gehört, den Konkurrenten kaufen. Doch selbst berühmte Schriftsteller wie Star-Autor Stephen King sprachen sich gegen den Deal aus: „Ich denke, Konsolidierung ist schlecht für den Wettbewerb.“ Je mehr Anbieter es gebe, desto besser. Als Konsequenz aus der Niederlage nahm Mitte Dezember der CEO von Penguin Random House, Markus Dohle, „auf eigenen Wunsch“ seinen Hut.

Ein Erfolg im Ausland hätte ein positives Signal in das „Führungschaos“ (Manager Magazin-Chefredakteur Sven Clausen) im Heimatland bedeuten können. Daß mit Nihar Malaviya nun ein Manager aus dem US-Zweig der Verlagsgruppe Dohles Interimsnachfolger wird, verdeutlicht dagegen nochmals den globalen Ansatz des Konzerns, der 1835 von Carl Bertelsmann gegründet wurde.