© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/22 - 01/23 / 23. Dezember 2022

Zuckerböller zu Silvester
Berliner, Krapfen, Kräppeln oder Pfannkuchen: Wie heißt es richtig und wer hat’s erfunden?
Paul Leonhard

Seltsames Deutschland: Zu Silvester sind in weiten Teilen des deutschsprachigen Raums Berliner sehr beliebt. Das berauschte Partyvolk hat sie im wahrsten Sinn des Wortes zum Fressen gern. Vor allem wenn sie zuvor bei 163 Grad richtig geschwitzt und ihr Fett abbekommen haben. Gemeint sind natürlich nicht die Bewohner der Hauptstadt, sondern ein süßes Gebäck aus Hefeteig, bestreut mit Puder- oder Kristallzucker und im günstigsten Fall mit Marmelade gefüllt. Der Berliner in Berlin kennt es als Pfannkuchen. Wobei diese wiederum nicht mit den bei den Sachsen beliebten Eierkuchen zu verwechseln sind, auch wenn beide mit Marmelade gefüllt werden können. Im Westen und Süden ist hingegen ein Pfannkuchen ein in einer Pfanne gebackener, flacher Kuchen.

Wenn die hübsche Legende stimmt, daß es ein Militärbäcker Friedrichs des Großen war, der das Gebäck in Kanonenkugelform kreiert hat, dürfte es die nachhaltigste Eroberung der Preußen gewesen sein. Denn seit der Mitte des 18. Jahrhunderts werden im deutschsprachigen Westen – abgesehen von den Hessen mit ihren Kräppeln – noch heute Pfannkuchen oder Krapfen hartnäckig als Berliner bezeichnet: von Sylt und Rügen im Norden bis Zürich im Süden. 

Wogegen Bayern, Österreicher und Liechtensteiner hartnäckig am Krapfen festhalten, Sachsen und die meisten Regionen Thüringens dagegen am Pfannkuchen. Wobei beides eigentlich zusammengehört. „Berliner Pfannkuchen“ hieß die in einer Pfanne mit heißem Fett ausgebackene Süßspeise einst, was natürlich allen Leckermäulen viel zu lang war, weswegen der Pfannkuchen in Berlin blieb und der Berliner auswanderte. Selbst in Frankreich heißt es „Boule de Berlin“, in Holland „Berlinerbol“ und in Spanien „Berlinesa“ oder „Berlina“. Eine Ausnahme ist Mecklenburg-Vorpommern, wo an so mancher Bäckereitheke noch immer „Berliner Pfannkuchen“ verlangt werden.

Römische, preußische, bayerische und österreichische Rezepte

Vor den Preußen marschierten allerdings die Römer auf von ihnen angelegten Straßen durch das spätere Heilige Römische Reich deutscher Nation und auch diesen schmeckten Fett-Siedegebäcke. Nach einem auf 140 vor Christus datierten Rezept, wurde ein breiartiger Teig aus Speltmehl und geronnener Milch zu kleinen Bällchen geformt, dann in heißem Fett gebacken, mehrfach gewendet und nach dem Backen mit Honig bestrichen und mit Mohn bestreut. 

Da können selbst die Bayern nicht mithalten, die auf eine „Würzburg-Münchner Handschrift“ von 1350 verweisen, in der ein Krapfenrezept nachzulesen ist. Sprachwissenschaftler verweisen dagegen auf das althochdeutsche Wort „Krapho“, das ein leckeres, fetthaltiges Gebäck beschrieb, das ob seiner Form als Kralle bezeichnet wurde und aus dem sich dann allmählich die Bezeichnung Krapfen entwickelte. Und nimmt man es so genau wie der Linguist Jürgen Eichhoff, dann kommt man sogar auf 28 unterschiedliche Begriffe für diese Spezialität, von denen nach seinen Recherchen immerhin zehn noch vermehrt benutzt werden.

Viel zu kompliziert ist das alles aus österreichischer Sicht, aus der die preußische Auslegung eine völlig an den Haaren herbeigezogene Legende ist, von wegen Feldbäcker und so. Den Krapfen hat selbstverständlich eine Wienerin erfunden. Und zwar 1690 die Bäckersfrau Cäcilie Krapf, die wütend über das Ungeschick ihres „dotschaten“ Lehrbuben einen Teigklumpen nach diesem warf, der prompt sein Ziel verfehlte und in einer Pfanne mit siedendem Fett landete. Das Ergebnis befand Frau Krapf als köstlich und der Krapfen war geboren, ganze sechs Jahrzehnte vor den Preußen.

Die Hauptstädter dürfte das nicht jucken, denn für die meisten Deutschen ist der Pfannkuchen weiterhin ein Berliner. Und einig sind sich alle Bäcker darin, daß es noch immer auf viel Fingerspitzengefühl ankommt, soll der Krapfen, Kräppel, Pfannkuchen oder Berliner richtig gelingen. Drei Minuten müssen sie pro Seite im Fett schwitzen. Zum Schluß werden sie ganz kurz gebräunt, denn ein schöner Kragen gehört dazu – nur mit der richtigen Rundung glänzt die Glasur wie gewünscht.

Sind die Rundlinge in einigen Regionen Deutschlands untrennbar mit dem Karneval verbunden, so werden sie in anderen in der Silvesternacht um Mitternacht gereicht; und müssen in Berlin oftmals rechtzeitig zum 31. Dezember im Laden bestellt werden, um noch ausreichend Exemplare für den guten Rutsch zu ergattern. Die Füllung besteht klassisch aus süßer Marmelade, mitunter auch aus Pflaumenmus, Schokolade oder Eierlikör; oder bei ganz kreativen Konditoren aus den abgefahrensten bunten Zuckerkreationen mit Glasuren bis hin zu Gummibär-Goldstaub – der Phantasie sind zunehmend keine Grenzen gesetzt. 

Wer zuerst auf die Idee gekommen ist, das eine oder andere Gebäckstück als bösen Überraschungsgag mit Senf zu füllen, ist unklar. Aber auf jeden Fall hebt es die Stimmung. Berliner geben halt immer ihren Senf dazu.