© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/23 / 13. Januar 2023

Grüße aus … Santiago de Cuba
Schlechte Prognosen
Alessandra Garcia

Nicht einmal die Götter der Santeria meinen es gut mit uns Kubanern. Das Orakel der afrokubanischen Religion, an das insbesondere im Osten der Insel die meisten Menschen glauben, hat erneut vor einem schwierigen Jahr gewarnt, vor Unheil und zunehmenden sozialen Mißständen. Als wäre nicht 2022 schon voller schlimmer Erfahrungen gewesen. Und der Erzbischof von Santiago, Dionisio García, hat dem wenig entgegenzusetzen. Er bat die Gläubigen zu Christus zu beten, damit die Zeit kommt, in der kein Kubaner seine Heimat verlassen muß und Familien nicht mehr unter der Emigration leiden müssen.

Optimistisch zeigen sich zu Jahresbeginn allein die seit 1959 die Insel regierenden Kommunisten. „2023 muß ein besseres Jahr werden“, erklärte Präsident Miguel Díaz-Canel. „Die Voraussetzungen sind gegeben.“ Auch in Kuba stirbt das Prinzip Hoffnung ganz am Schluß. Und so staunten all jene, die dem Kommunistenführer lauschten, daß es trotz einer offiziellen, also ohne Berücksichtigung der Schwarzmarktpreise, Inflationsrate von 29 Prozent und einer Teuerung von knapp 40 Prozent laut Díaz-Canel ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts um zwei Prozent gegeben habe.

„Wir erreichen zwar nicht die prognostizierten Werte, aber wir machen auch keine Rückschritte.“

Leider sei das „für die meisten nicht spürbar gewesen“, räumte der Präsident ein und verspricht auch für das begonnene Jahr weitere drei Prozent, trotz Devisenmangel, zurückgehender Produktionspläne, fehlender Angebote sowie Spekulation, einer immer mehr um sich greifende Korruption und der Massenauswanderung der Jugend. „Wir erreichen zwar nicht die prognostizierten Werte, aber wir machen auch keine Rückschritte“, sekundierte Wirtschaftsminister Alejandro Gil. Immerhin: „Wir machen Fortschritte bei den Lösungen.“ Ähnlich kryptisch äußert sich die Zeitung Arbeiter, in der ein Kommentator mutig prognostiziert: „Alle Wahrscheinlichkeiten deuten darauf hin, daß das Land weiterhin sehr widrigen Bedingungen für seine Entwicklung ausgesetzt sein wird.“

Natürlich haben die kubanischen Analysten nicht unrecht, wenn sie darauf verweisen, daß ein Teil der Misere durch die weltweite Inflation entsteht, die dringend benötigte Lebensmittel und Treibstoff viele hundert Millionen Euro teurer macht, als eingeplant, aber der geringe Grad der Eigenversorgung ist hausgemacht. Silberstreifen am Horizont verspricht Minister Gil, aber dazu müsse entsprechend agiert werden: „Nichts wird vom Himmel fallen.“ Das klingt fast schon wie die Interpretation des „Letra del Año“-Orakels durch Roberto Padron Silva, Präsident der Yoruba-Kulturvereinigung, der Zeichen dafür sieht, daß 2023 mit Hoffnung und harter Arbeit „ein besseres Jahr werden könnte“. Und in diesem Konjunktiv sind sich Kommunisten, Katholiken und Santos ausnahmsweise einig.