© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/23 / 20. Januar 2023

Analoges Crowdfunding
Beliebt bei Hipstern auf Authentizitätssuche: Der Sparclub aus Opas Kneipe ist zurück
Bernd Rademacher

Damals, in der Kreidezeit der Gastronomie, gab es an jedem Straßeneck eine Kneipe, in der ein Wirt in blaue Rauchschwaden eingehüllt meditativ 7-Minuten-Biere zapfte und jeden Gast persönlich kannte, inklusive Lebens- und Krankengeschichte.

In diesen Kneipen hing neben vergilbten Urlaubspostkarten ein grüner oder silberner Metallkasten mit Schlitzen an der Wand. Das war der Tresor des obligatorischen Sparclubs. In den persönlichen Fächern, mit Namen wie „Erna“ oder „Kalle“ gekennzeichnet, ruhte das Kapital der Tresengemeinschaft, um einmal im Monat oder Jahr  – nachdem der „Sparkönig“ ermittelt wurde – gesellig auf den Kopf gehauen zu werden.

Mit dem voranschreitenden Sterben der klassischen Eckpinte verschwanden auch die Sparclubs. Jetzt tauchen sie wieder auf – als Pionierpflanzen des Retro-Gastro-Trends. Doch längst nicht mehr geben Sparkassen wie früher Extra-Zinsen für zwischendurch eingezahltes Guthaben oder stellen die Mini-Geldschränke als Gratisservice zur Verfügung. Enthusiasten müssen sich auf Ebay nach gut erhaltenen Sparclub-Boxen umsehen oder begabte Bastler sein.

Im Kaiserreich im Milieu der „Socialdemokrathie“ entstanden, waren die Sparvereine hundert Jahre später eine Ikone der vielgeschmähten kleinbürgerlichen Spießigkeit. Jetzt zählt das Sparen mit den Kneipenkumpels als hipper Lifestyle urbaner Dreißiger auf der Suche nach Gemeinchaftsgefühl im Kiez. Natürlich alles ironisch gebrochen, um bloß nicht spießig zu sein, doch in Wahrheit von einer Sehnsucht nach der heilen Welt der Elterngeneration motiviert.

Sparen muß man sich natürlich erstmal leisten können: Wer nichts hat, was er täglich oder wöchentlich in den Schlitz stecken kann, kann auch nicht an den Gruppenaktivitäten teilnehmen, die von dem gemeinsam Ersparten, den teilweise erhobenen Mitgliedsbeiträgen oder den Zinsen finanziert werden. Denn darin besteht natürlich die Hauptsache: Freude an geselligen Unternehmungen, wie beispielsweise Ausflüge, Festivalbesuche oder Weihnachtsfeiern. Und dann beginnt der Sparzyklus von vorne.

Das gesammelte Guthaben wird gemeinsam auf den Kopf gehauen

Neben der künstlichen Wiederbelebung eines Lebensgefühls, das man nur noch aus alten Derrick-Folgen kennt, sind die allgemeine Fragmentierung der Gesellschaft und erzwungene Corona-Isolation vermutlich Gründe für den Boom der romantisch unzeitgemäßen Vermögensbildung.

Während alte Sparclubs mit Namen wie „Notgroschen“ in Dorfkrügen und Malocherstädten-Kaschemmen weiter verschwinden, blühen sie in Hamburger und Berliner Wirtschaften und sogar Clubs wieder auf. Sie sind nicht weg, nur woanders. Jetzt quasi als „analoges Crowdfunding“. Sparclubs als Hipster-Hobby.

In Hamburg haben Sparvereine eine besonders lange Tradition: Dort wurden schon 1878 Matrosen-Sparclubs gegründet, damit die Seeleute ihre Heuer nicht sofort in Schnaps verflüssigten. In der Nachkriegsära unterstützten Sparkassen die Gründungen gerne, weil es für sie kostenlose Werbung war. Die Institute halfen auch mit Mustersatzungen und Reklamematerial. Ab den 1980er Jahren erklärten die Banken diese Folklore für tot.

Doch große Hindernisse für eine Neugründung gibt es kaum: Hat man online einen alten Sparkasten ergattert und eine simple Satzung formuliert, kann es losgehen. Oft ist es das Thekenpersonal selbst, das den Club ins Leben ruft und damit Betriebsfeiern bezahlt – oder auf eine ausgiebige Runde des Sparkönigs hofft, der seine mühsam zusammengehamsterten Moneten am Schluß verpraßt. Die andere Möglichkeit ist, das gesparte Geld zum Quartals- oder Jahresende wieder auszuzahlen. Wer kein Weihnachtsgeld bekommt oder dazu neigt, zuviel auszugeben, kann davon profitieren. Auch der gemeinsame Lottoschein ist eine Investition.

Die größte Hürde ist, einen Kassenbuchführer zu finden, der auch resolut genug ist, säumige Mitglieder an ihren Beitrag zu erinnern. Wer reißt sich schon um ein Ehrenamt? Aber das Comeback der Sparclubs ergibt absolut Sinn: Im Sparkasten ist das Geld vor Bankstern und Krypto-Schlawinern sicher, und die Auszahlung federt die Inflation wenigstens ein bißchen ab – oder macht sie angesichts einer gemeinsamen Sause erträglicher.