Ernst Wiechert kam 1938 in Gestapo-Haft und wurde danach in das KZ Buchenwald verschleppt. Dies hinderte ihn nicht, ein Buch voller versteckter Andeutungen der Regimekritik am Nationalsozialismus zu verfassen: „Vom einfachen Leben“ – und seine Botschaft wurde verstanden. 1942 hatte der Verlag bereits 260.000 Exemplare dieses Titels abgesetzt.
Geschichten wie diese sind es, die Günter Scholdt faszinieren, die er seinen Lesern nahebringt. Denn als die Bücher brannten, wußten die Autoren, die nicht mit dem Nationalsozialismus einverstanden waren, daß sie reagieren mußten. Doch wie konnten Literaten, wie konnten Autoren der Verhaftung, ja, dem KZ entgehen und trotzdem ihre Botschaft zum Leser bringen? Durch geheimen Protest, durch klandestine Andeutungen, häufig auch durch ganz offene Anprangerung des Bösen – die aber die Nationalsozialisten in ihrer ideologischen Beschränktheit nicht wahrnahmen. Und wie merkwürdig – das setzt sich fort. Die deutsche Literatur widerständigen, diktaturfeindlichen Inhalts stellt den am meisten unterschätzten Sektor der hiesigen Literaturgeschichte dar. Das sagt kein Geringerer als der bedeutende Germanist, Historiker und Literaturwissenschaftler Günter Scholdt.
Auch die Namen von Werner Bergengruen, Jochen Klepper, Gerhart Hauptmann, Gottfried Benn und Ricarda Huch stehen exemplarisch für die klare Haltung von Literaten gegen Diktatur und Verführung. Dasselbe gilt für die Namen von Stefan Andres, Edzard Schaper und Georg Britting, aber sind eigentlich nur noch Spezialisten geläufig. Dabei wäre es wichtig, die Werke all dieser Autoren zu kennen, ihr Œuvre studiert zu haben. Denn sie alle und viele mehr gehören in die Literaturgattung „Innere Emigration“, die den stillen Widerstand der Literaten in den Jahren 1933 bis 1945 beschreibt.
Auf knapp 500 Seiten präsentiert Scholdt Meisterwerke, lebendig und vielfältig – entstanden trotz Unterdrückung, gegen die Gleichschaltung. Er vermittelt seinen Gegenstand dabei so, daß Spezialisten Neues erfahren, ein breiteres Publikum zugleich aber bestens verständlich informiert wird. Weil ihm dieser Spagat gelingt, kann er auch auf einen wissenschaftlichen Apparat mit Fußnoten und detailliertem Quellenverzeichnis verzichten, ohne daß die Qualität der Ergebnisse leidet.
Bereits der erste näher behandelte „Schlüsseltext der inneren Emigration“, es handelt sich um „Der Großtyrann und das Gericht“ von Werner Bergengruen, belegt dies anschaulich. Völlig zu Recht klassifiziert Scholdt dieses Buch als „subversive Epik“. Er ist, das weist er deutlich nach, einer der wenigen wirklichen Kenner der Materie. Das Buch ist ein echtes Desiderat. Ein Beispiel für eine äußerst gelungene Einbettung einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit einem Buch in einem Zeitkontext.
Spätere abfällige Urteile geraten in das Licht der Hypermoral
Auch Hans Fallada emigierte nicht, sondern arrangierte sich mit dem Regime. Später wurde ihm das durchaus zum Vorwurf gemacht – von Menschen, die nichts mehr zu befürchten hatten. Scholdt ergänzt jedoch, und das tut er bereits in der Einleitung, daß Fallada drogenabhängig, alkoholkrank und politisch völlig illusionslos war – daß ihn letztlich, vielleicht aufgrund eigener prekärer Lebensumstände, sein Mitgefühl für arme und leidende Zeitgenossen auszeichnete. Alle Vorwürfe werden angesichts dessen stark relativiert. Thomas Mann gerät angesichts seiner Haltung in das Licht der Hypermoral. Höchst bemerkenswert auch, daß er wiederum die Aussage der Zeit-Journalistin Marion Gräfin Dönhoff, Kunst im Nationalsozialismus sei notwendigerweise totalitär gewesen, ebenfalls für totalitär hält. Und das sind nur Beispiele.
In seiner nun vorliegenden Studie zu den in der NS-Zeit verfolgten und verfemten Autoren würdigt Scholdt gleichermaßen bedeutende ästhetische Leistungen und einen heute weithin unterschätzten widerständigen Mut. Es geht ihm dabei zugleich um die besondere Bedeutung, die das widerständige Schreiben der NS-Jahre hinsichtlich der Verwerfungen in unserer eigenen Zeit gewinnt. Dazu gehört Mut, den Scholdt aber hat.
Als Wissenschaftler genießt er höchste Anerkennung, aber er spricht eine andere, viel handfestere Sprache als die häufig abgehoben diskutierenden Kollegen seines Faches. Angesichts dieser Authentizität nimmt es nicht wunder, daß er es an zeitgeschichtlicher Kritik nicht mangeln läßt – doch deutlich wird letztlich, warum er dies tut: Scholdt schafft hier einen Grundstein für die Neuentdeckung der von der NS-Diktatur verfolgten und verfemten Autoren, die zu Unrecht in Vergessenheit gerieten. Dies wurde maßgeblich befördert durch die „68er“-Bewegung, deren geistige Abwicklung noch lange dauern wird, obschon sie höchst dringlich ist. Schold gebührt Dank für seinen Beitrag zu diesem kulturellen Großprojekt.
Günter Scholdt: Schlaglichter auf die „Innere Emigration“. Nichtnationalsozialistische Belletristik in Deutschland 1933–1945. Lepanto Verlag, Rückersdorf über Nürnberg 2022, broschiert,476 Seiten, Abbildungen, 29,50 Euro