© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/23 / 03. März 2023

Kommando zurück
AfD: Die Bundestagsfraktion nimmt die Forderung nach Rückkehr zur Wehrpflicht von der Tagesordnung / Rücksicht auf Stimmung im Osten?
Christian Vollradt

Wer am Montag auf der Internetseite des Bundestags die Tagesordnung der aktuellen Sitzungswoche aufrief und den für diesen Freitag für 11.05 Uhr angesetzten Tagesordnungspunkt 22 mit dem Titel „Beratung des Antrags der Fraktion der AfD – Folgen von Massenmigration, Wohnungsnot und Stadt-Land-Flucht bewältigen“ anklickte, mußte sich wundern. Denn der Artikel, der daraufhin erschien, handelte von etwas ganz anderem. Dort hieß es: Der Bundestag berate „erstmals über einen Antrag mit dem Titel ‘Reaktivierung der Wehrpflicht’, den die AfD-Fraktion angekündigt hat. Die Vorlage soll nach rund 45minütiger Aussprache zur weiteren Beratung an den federführenden Verteidigungsausschuß überwiesen werden.“

Was war passiert? Wer einen Hackerangriff vermutete, lag falsch. Tatsächlich war lediglich für eine Weile die Verlinkung noch nicht auf den neuesten Stand gebracht worden. Meistens liegt erst dienstags die endgültige Tagesordnung der Plenarsitzungen vor. Tatsächlich war aber bis zum Beginn der Sitzungswoche ein Antrag der AfD zur Wiederinkraftsetzung der Wehrpflicht angekündigt worden (JF 8/23). Warum war der so plötzlich, still und leise wieder verschwunden – und durch ein neues Thema erstetzt worden?

Dabei ist das Thema Wehrpflicht gar nicht neu  für die AfD. Im Gegenteil, es gehörte sogar zu den Inhalten, bei denen über alle innerparteilichen Lager und Flügel hinweg ein nahezu unumstrittener Grundkonsens besteht – oder zumindest bestanden hat. So heißt es etwa im Grundsatzprogramm: „Die AfD tritt dafür ein, für alle männlichen deutschen Staatsbürger im Alter zwischen 18 und 25 Jahren den Grundwehrdienst wieder einzusetzen.“ Und bereits in der vorigen Legislaturperiode heißt es in verschiedenen offiziellen Stellungnahmen oder Broschüren der Bundestagsfraktion beispielsweise: „Die Aussetzung der Wehrpflicht war einer der schwerwiegendsten Fehler der Regierung Merkel“ und „rächt sich jetzt bitter“. Die AfD, so betonte man sogar, „setzt sich als einzige Partei für die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht ein“. Und tatsächlich stellte die Fraktion bereits im November 2020 den Antrag zur Reaktivierung der Wehrpflicht. Die Chance, sich angesichts der aktuellen Nöte und Debatten als Vorreiter zu präsentieren, hätte man diese Woche also ergreifen können.

Doch ausgerechnet die zwei Jahre später veränderte Lage, die der AfD doch recht zu geben scheint, ist der Grund, warum der – eigentlich alte – Antrag erst noch einmal erneut intern „eingestimmt“ werden müsse, wie der zuständige Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Bernd Baumann, am Dienstag erläuterte. Man wolle jegliches Mißverständnis vermeiden, der Antrag könne bedeuten, man brauche die Wehrpflicht, „um sich gegen Rußland zu engagieren“.  

Hinter den Kulissen heißt es, mit diesem Argument habe die Führung, namentlich Fraktionschef Tino Chrupalla, gedrängt, das Thema zumindest zu verschieben. Offensichtlich soll nichts das Image der „Friedenspartei“ stören. Das kommt vor allem im Osten an – ob aus Pazifismus, einer Neigung zu Rußland oder der Abneigung gegen „den Westen“, Amerika oder die Nato. In der AfD-Hochburg Sachsen mobilisieren die rechten „Freien Sachsen“ mit einer Unterschriftenkampagne „Keine Wiedereinführung der Wehrpflicht am Vorabend des dritten Weltkriegs“ – im Zeichen der weißen Taube auf blauem Grund. Und in einem den Freiheitlichen in Österreich (wo es eine Wehrpflicht gibt) nahestehenden Magazin plädiert Thüringens AfD-Co-Vorsitzender Stefan Möller gegen die Reaktivierung der Wehrpflicht, wie sie im Programm seiner Partei steht. Ob mit Billigung oder sogar im Auftrag des ungleich prominenteren Vorsitzkollegen Björn Höcke bleibt Spekulation. 

Kopfschütteln ruft dies bei vielen konservativen AfD-Mitgliedern in den westlichen Verbänden hervor, wo insbesondere zahlreiche frühere Soldaten sich wundern, wie das in Übereinstimmung mit dem Bild von der „Bundeswehr-Partei“ AfD zu bringen ist. Über einen „Hippie-Kurs“ wird da gespottet. Und ein Veteran erinnert daran, daß „Friedenstauben immer diese Linksradikalen schwenkten, die sich bei uns vor die Kasernentore gelegt und uns als ‘Mörder’ beschimpft haben“.