Innerhalb des ersten Kriegsjahres hat die Ukraine ausländische Hilfen von 173,6 Milliarden Euro erhalten. Das ist etwas mehr als die Wirtschaftsleistung des 42-Millionen-Einwohner-Landes von 2021. Größter Geldgeber waren laut Berechnungen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) mit umgerechnet 73,2 Milliarden Euro die USA. Seit Kriegsbeginn haben die Amerikaner Rüstungsgüter im Umfang von 44,3 Milliarden Euro geliefert bzw. zugesagt (Stand Januar 2023). Bislang flossen die Hilfen aus Haushaltsmitteln, die der US-Kongreß freigegeben hat – also als Beistand ohne Gegenleistung der Ukraine.
Militärische Unterstützung ohne Abstimmung des US-Kongresses
Doch das könnte sich ändern, denn die Republikaner-Mehrheit im Repräsentantenhaus könnte die bisherige Freigebigkeit einschränken. Das brächte aber nicht das Ende der Militärhilfe: Im Dezember 2021 wurde der „Ukraine Democracy Defense Lend-Lease Act of 2022“ initiert, der im April vom US-Kongreß gebilligt und am symbolträchtigen 9. Mai 2022 – dem russischen Feiertag des Sieges 1945 über Deutschland – von Joe Biden unterschrieben wurde. Dieses „Leih- und Pachtgesetz“ ermächtigt den US-Präsidenten, Waffen durch Leasingverträge zur Verfügung zu stellen – und das bringt finanzielle Verpflichtungen für die Ukraine.
Historisches Vorbild ist der „Lend-Lease Act“ vom März 1941, der zugleich verschiedene Neutralitätsgesetze aufhob, die ein Verbot jeglicher Unterstützung von Kriegsparteien beinhalteten. Das Gesetz wurde notwendig, da Großbritannien damals weder materiell noch finanziell in der Lage war, militärisch gegen die Achsenmächte zu bestehen. US-Präsident Franklin D. Roosevelt konnte so später auch der Sowjetunion oder China kriegswichtige Güter liefern. Drei Dutzend Länder – darunter auch Äthiopien, Brasilien, Mexiko, Kuba, Saudi-Arabien oder die Türkei – wurden beliefert, der Gesamtumfang lag bei 48,4 Milliarden Dollar (Kaufkraft heute: über 800 Milliarden Dollar).
Die finanzielle Belastung wurde durch Leasing (Miete) geringgehalten, eine kostenlose Nutzung jedoch vermieden. Nach Kriegsende 1945 wurde noch vorhandenes Kriegsgerät den Briten für zehn Prozent des Anschaffungswertes überlassen. Die zu zwei Prozent verzinsten Lend-Lease-Kredite (insgesamt 31,4 Milliarden Dollar) hat Großbritannien bis 2006 zurückgezahlt. Die sowjetischen Lend-Lease-Kredite (elf Milliarden Dollar) wurden zum Großteil mit Rohstofflieferungen kompensiert.
Das Leih- und Pachtgesetz von 2022 ermächtigt Biden, „Abkommen mit der Regierung der Ukraine zu schließen, um dieser Regierung Verteidigungsgüter zu leihen oder zu vermieten, um die Zivilbevölkerung in der Ukraine vor einer russischen Militärinvasion zu schützen, und für andere Zwecke“. Ohne Zustimmung des Kongresses können so militärische Güter unkompliziert und sehr kurzfristig an die Ukraine geliefert werden. Der Begriff der „Verteidigungsgüter“ ist sehr weit gefaßt. Er beinhaltet neben Waffen und Munition auch Ausrüstungen und die Bevorratungen von Ersatzteilen. Hinzu treten „Verteidigungsdienstleistungen“ wie Reparaturen, die Ausbildung an Militärakademien und zivilen Einrichtungen, das Training ukrainischer Soldaten, technische und logistische Unterstützungen sowie Informationen (Aufklärung, Zielortung).
Das Gesetz ist zunächst auf zwei Jahre befristet. Neben der Ukraine können auch andere osteuropäische Länder auf dieser Grundlage beliefert werden. Die Leih- und Leasingfrist ist auf maximal fünf Jahre begrenzt. Danach müssen die Güter zurückgegeben werden – was bei Kriegsgerät naturgemäß eher schwierig ist. Hier sehen die Verträge spezielle Regulierungen vor. Im Falle einer Beschädigung sind die Kosten für die Wiederherstellung oder Wiederbeschaffung an die USA zu erstatten. Bei Zerstörung oder Verlust müßte die Ukraine einen Betrag in Höhe der Wiederbeschaffungskosten (abzüglich der Wertminderung) zahlen – in Dollar. Jedoch kann auf die Erstattung der Wertminderung bei Gütern verzichtet werden, die drei Viertel ihrer normalen Lebensdauer überschritten haben, „wenn der Präsident feststellt, daß dies für die nationalen Sicherheitsinteressen“ der USA wichtig ist.
Die Leasing-Rechnung könnten auch die Europäer begleichen
All das hat vier Vorteile: Der US-Haushalt wird geschont, die finanzielle Last der Ukraine wird in die Zukunft verschoben, es kann schnell unterstützt werden, und die Neutralität der USA als Nicht-Kriegspartei dürfte – pro forma – besser als derzeit gewährleistet bleiben. Allerdings sind die damit erzeugten Abhängigkeiten unverkennbar. Wenn die Militärgüter zerstört oder beschädigt werden, muß Kiew dafür zahlen – notfalls über Jahrzehnte. Oder die Europäer springen ein. Auch könnte ein Verzicht auf Erstattungsansprüche an politisches Wohlverhalten oder die Vorzugsbehandlung von US-Firmen beim Wiederaufbau gekoppelt werden.
So berät ein BlackRock-Team die Kiewer Regierung bereits bei der Strukturierung des Nachkriegsaufbaus: Man sei übereingekommen, „sich in nächster Zeit auf die Koordinierung der Bemühungen aller potentiellen Investoren und Teilnehmer am Wiederaufbau unseres Landes zu konzentrieren und die Investitionen in die wichtigsten und wirkungsvollsten Sektoren der ukrainischen Wirtschaft zu lenken“, erklärten Firmenchef Larry Fink und Präsident Wolodymyr Selenskyj am 28. Dezember 2022. Ob auch geplant ist, hierfür im Rahmen einer „alliierten Arbeitsteilung“ die EU-Gelder aus dem Wiederaufbauplan „Rebuild Ukraine“ einzusetzen?
Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.