Alexander Malmann (77) steht mitten im Schneeregen in Berlin. Der Hamburger zeigt eine Fotokopie eines Zeitungsartikels. „Hier, schauen Sie“, sagt er, „das ist Hans-Christian Ströbele von den Grünen. Und da steht das Motto: Deutsche Waffen, deutsches Geld morden mit in aller Welt. Das waren die Grünen bei ihrem Wahlkampfauftakt in Kassel im Juni 1990 – und was sagen die heute?“
Samstag, 25. Februar, 13.30 Uhr. Menschen schlendern zum Brandenburger Tor. Viele tragen noch eingerollte Fahnen, andere schon aufgespannte Schirme mit Aufklebern wie: „Nie wieder Krieg“. Sie werden für die kommenden zweieinhalb Stunden Teilnehmer der Demonstration „Frieden für die Ukraine“ sein. Die hat schon im Vorfeld starkes mediales Interesse erfahren. Dabei ist sie nur eine von mehreren Demonstrationen und Aktionen zum 1. Jahrestag des Ukraine-Krieges. Doch die Namen der Organisatoren lassen aufhorchen.
Da wäre zum einen Sahra Wagenknecht. Sie war Mitglied der FDJ zu DDR-Zeiten, neun Jahre Sprecherin der, vom Verfassungsschutz als linksextremistisch eingestuften, Kommunistischen Plattform. Sie galt und gilt vielen Journalisten lange Zeit als Putin-Verteidigerin und tritt nun als eine um den Frieden besorgte Bundestagsabgeordnete der Linken auf. „Gehört Wagenknecht als unerschütterliche Putin-Apologetin wirklich noch in deutsche Talkshows?“, fragte schon im März 2022 Michael Thumann in der Wochenzeitung Die Zeit. Zum anderen Alice Schwarzer: Mutter aller Emanzen, Emma-Herausgeberin, Kopftuch-Kritikerin, mindestens in den ersten Jahren ihrer Kanzlerschaft Unterstützerin Angela Merkels. Und nun hatten diese beiden Frauen im Angesicht des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine gemeinsam ein „Manifest für den Frieden“ formuliert.
Dafür wurden sie scharf kritisiert: Beifall von der falschen Seite wird ihnen vorgeworfen, also Beifall von rechts. „Im Einsatz für den Frieden sollten Parteigrenzen keine Barrieren sein“, hatte AfD-Chef Tino Chrupalla, der die Wagenknecht-Schwarzer-Petition nach eigenem Bekunden ebenfalls unterzeichnet hatte, seine Unterstützung gerechtfertigt. Was zu einem Aufruhr unter den Linken führte. „Ganz konkret fehlt uns in dem Aufruf die klare Abgrenzung nach rechts, die nämlich augenblicklich dazu führt, daß namhafte Nazis und rechte Organisationen diesen Aufruf unterstützen und massiv zu der Demo am 25. mobilisieren“, sagte Linken-Bundesgeschäftsführer Tobias Bank knapp eine Woche vor der Demo, berichtete die Berliner Zeitung. Die Konsequenz für die Demo: Weder AfD- noch Linken-Spitzenpolitiker nehmen an ihr teil.
„Hast du schon einen Neonazi hier gesehen?“
Unabhängig von der Kritik, unterschrieben innerhalb eines Monats über 700.000 Menschen den Aufruf. Sind das alles Rechtsradikale, die da ihre Unterschrift leisteten? Ein Blick auf die Demonstranten zeigt ein anderes Bild. „Ach, ich war auf so vielen Demos“, sagt Malmann. „Allein dreimal Brockdorf, damals.“ Jetzt will er die Grünen „an ihre Anfänge, ihren Kern erinnern“. Eigentlich sollte seine Frau ebenfalls in Berlin demonstrieren, aber die Tochter ist erkrankt, jetzt hütet sie das Enkelkind in Jena. „Meiner Frau hab ich gesagt, daß sich schon Leute finden lassen, die mein Banner mittragen.“ Etwas abseits steht eine ältere Frau. Sie verteilt die Zeitung Unsere Zeit, die sozialistische Wochenzeitung der DKP. Ein Mann fordert auf einem Plakat die Freilassung von Julian Assange, ein anderer die Freilassung des Initiators der „Querdenken“-Proteste gegen die Corona-Politik, Michael Ballweg. Immer mehr Menschen kommen auf die Straße des 17. Juni. Hundehalter, Fahrradschieber, Familien mit Kindern.
„Hast du schon einen Neonazi hier gesehen?“ Die Dame im dickwattierten olivgrünen Mantel hakt sich bei diesen Worten unter den Arm ihres Mannes. Der blickt sich suchend um und sagt dann: „Ich sehe keinen.“ Nun, am Rande der Demo steht ein jüngerer Mann mit einer Thor-Steinar- Jacke. Auch der ehemalige Volkslehrer Nikolai Nerling soll gesichtet worden sein, und der Chefredakteur des Compact-Magazins Jürgen Elsässer. Der soll, so berichtet der Berliner Kurier, allerdings von der Demonstration abgedrängt worden sein.
Abgesperrt hinter Polizeigittern kreischen und pöbeln mehrere Dutzend Vermummte. Anhänger der Antifaschistischen Aktion, 1932 von der KPD gegründet. Heute sammeln sich unter dem Begriff gewalttätige Linksautonome, deren Aktionen gegen den Rechtsstaat gerichtet sind. „Nazis raus!“ schreien sie den Demonstranten entgegen. Doch die so Angesprochenen lachen die Schwarzvermummten nur aus: „Geht ihr doch an die Front“, kontert lautstark ein älterer Herr. Ein andere ruft lachend zu den Eingezäunten rüber: „Genau, Antifa an die Ostfront!“ Auch wenn die Linksextremisten fleißig jeden vorübergehenden Demonstranten fotografieren und filmen, hier verbreiten sie keinen Schrecken – es wird einfach zurückgefilmt.
Der Panzer von Blumen übersät. Wer legte sie nieder?
Wasserlachen bilden sich am Rand des Pariser Platzes. Immer mehr Matsch schleppen die Demonstranten, die sich dicht gedrängt fast auf die Füße treten, vom angrenzenden Tiergarten auf die Straße des 17. Juni. 1.400 Polizisten sichern die Demonstration. Die Polizei zählt 13.000 Teilnehmer, 50.000 Demonstranten sollen es laut Veranstalter sein. Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte. „Frieden schaffen ohne Waffen“, rufen Demonstranten. Und dabei halten sie Fahnen mit Friedenstauben in den Wind und Plakate mit der Parole „Ami go home“. „Ich halte nichts von Merkel“, sagt eine Frau zu ihrem Begleiter, „aber wenn die noch Kanzlerin wäre, hätten wir nicht diese Bescherung“.
Sahra Wagenknecht, Alice Schwarzer und Brigadegeneral a. D. Erich Vad, der ehemalige Berater der Bundeskanzlerin Angela Merkel, betreten die Bühne. Wagenknecht wird gleich einem Popstar gefeiert: „Ich denke, heute kann man sehen, wie viele wir sind.“ Und: „Denn liebe Freundinnen und Freunde, wir sind nicht nur viele, wir fangen jetzt auch an uns zu organisieren. Weil, Deutschland braucht endlich wieder eine wirklich starke Friedensbewegung.“ Oder: „Seit wann ist der Ruf nach Frieden, der Ruf nach Diplomatie und Verhandlungen rechts, und Kriegsbesoffenheit ist dann wohl offenbar links? Einige haben ja wohl offenbar völlig ihren politischen Kompaß verloren.“ Eine „verlogene Debatte“, nennt sie es.
Robert Habeck wird abends in einem ARD-„Brennpunkt“ die Demonstration folgendermaßen einordnen: „Jeder, der bei Sinn und Verstand, ist wünscht sich Frieden. Aber was diese Gruppe, was Sahra Wagenknecht und die ihr folgenden Leute machen, ist nicht einen Frieden zu wollen, sondern einen Frieden, den ein imperialistischer Diktator, Europa aufzwingt, als Frieden zu verkaufen, und das wäre nur der neue Eintritt in die nächsten kriegerischen Handlungen.“
Schwarzer sagt jedoch, es sei ein reines Vergnügen, die Demonstranten zu sehen. Die so gelobten klatschen Beifall und tröten vor Wonne. „Ich habe in den vergangenen Monaten sehr viel über Panzer gelernt“, kommt Schwarzer schnell zum Thema. „Und zwar von Redakteuren, die in der Regel Panzer nur aus Computerspielen kennen. Die beschreiben fasziniert die Funktion, ja sogar das Design von Panzern. Das kennen sie auch nur aus dem Computerspiel.“ Nur eines hätte ihr bisher gefehlt bei diesen Berichten: „Die Menschen, genauer gesagt die Leichen. Denn Panzer sind Tötungsinstrumente – tödlich für alle.“ Und während sie das sagt, herrscht Stille auf dem Platz.
Nur ein paar hundert Meter von der Bühne am Brandenburger Tor steht solch ein Panzer. Ein russischer T-72. Donnerstag nacht erreicht das Wrack Berlin. Jetzt steht es auf einem Tieflader, abgestellt auf der Straße Unter den Linden. Sein Geschützrohr ist auf die Russische Botschaft gerichtet. Der Panzer soll am 31. März 2022 bei der Schlacht um Kiew am Rande des Dorfes Dmytrivka durch eine ukrainische Mine zerstört worden sein. Das behaupten die Initiatoren der Panzeraufstellung, Enno Lenze und Wieland Giebel vom Berlin Story Bunker, einem Museum und einer Dokumentation über den Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg. Der Panzer ist zerschossen. Ein Mahnmal gegen den Krieg, von Blumen übersät. Wer legte sie nieder? Sicher ist nur: Am Montag wurde das Panzerwrack wieder abtransportiert.