Der Geist der Zeit ist stumpf geworden. Doch es gibt Hoffnung. Immer mehr scharfsinnige neue Autoren begehren gegen die Verflachung auf, indem sie sich nicht länger vorschreiben lassen, was sie zu denken und zu schreiben haben. So auch die Macher des jungen philosophie-affinen Magazin Alias aus Niedersachsen, das sich mit anregend originellen Interviews und Reportagen anschickt, die gegenwärtige anti-intellektuelle Ruhe zu stören. „Chef vom Dienst“ ist dabei die Realität. Die Autoren machen keinen Hehl daraus, daß sie von einer erbarmungslosen Faktenliebe angetrieben sind. „Der Gedanke schmerzt, aber es ist an der Zeit, erwachsen zu werden und einzusehen, daß die Welt auf eure Empfindungen verzichten kann. Eure Gefühle interessieren uns nicht“, lassen sie ihre Leser, die sie bewußt duzen, wissen. Alias literarischer Hauptfeind sind die woken „Krieger der Sozialen Gerechtigkeit“, die den Gedanken ihre streng ideologischen Zügel anlegen und den Augen ihrer Mitmenschen täglich neue Scheuklappen aufsetzen wollen.
„Sehen“ heißt passenderweise auch eine der Rubriken, die unter anderem den britischen Dokumentarfilmer Adam Curtis zum Thema macht, der mit „Can’t Get You Out of My Head: An Emotional History of the Modern World“ eine sechsteilige Serie über die „komplexen Wechselwirkungen zwischen der (primär westlichen) Idee des Individualismus und radikalen, kollektiven Gesellschaftsvisionen in ihrer linken und rechten Ausprägung“ vorgelegt hat. Die Redaktion hat, das wird einem beim Durchstöbern der digitalen Seiten schnell klar, hohe Ansprüche an die Objekte ihrer Berichterstattung.
Dem bleiben sie auch in der Auswahl ihrer Interviewpartner treu. Wenn sie zum Beispiel mit dem Islamexperten Hamed Abdel-Samad über die „Gemeinsamkeiten zwischen unaufrichtigen Israel-Kritikern und Gangster-Rappern“ sprechen. Oder wenn Künstler wie der schottische Singer-Songwriter Lewis Capaldi zu Wort kommen, der sich neben seiner Karriere als Musiker einen Namen in den sozialen Netzwerken gemacht hat, indem er ganz im Sinne seiner spitzfederigen Befrager mit viel Selbstironie auf die Beleidigungen von sogenannten Internet-Trollen reagiert.