© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/23 / 03. März 2023

Die menschenleere Wildtierinsel
Gemischte Bilanz bei Bernhard Grzimeks Arche-Noah-Projekt in Tansania und im Viktoriasee
Dieter Menke

Mit der von 1956 bis zu seinem Tod 1987 von ihm moderierten Fernsehsendung „Ein Platz für Tiere“ profilierte sich Bernhard Grzimek als „Vaterfigur“ der alten Bundesrepublik. Mit sagenhaften Einschaltquoten bis zu 75 Prozent erreichte der Direktor des Frankfurter Zoologischen Gartens einen denkbar weiten Empfängerkreis für seine Spendenaufrufe zur Rettung der weltweit, aber zuvörderst in Afrika bedrohten Tierwelt. 1909 in der schlesischen Stadt Neiße geboren und 1933 an der Tierärztlichen Hochschule Berlin zum Veterinärmediziner promoviert, vermittelte er in der Nachkriegszeit Millionen von Menschen faszinierende Tierbilder und eine Menge Naturwissen.

Und er mischte sich als Pionier der Ökologiebewegung, Mitinitiator des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), als Vorsitzender des Deutschen Naturschutzrings und als von der Bundesregierung Brandt/Scheel ernannter Bundesbeauftragter für den Naturschutz unermüdlich politisch ein. Auch außerhalb Westdeutschlands, wie der „Globalhistoriker“ Andreas Eckert (HU Berlin) in seiner Studie zu Grzimeks Anteil an der Bonner Entwicklungshilfepolitik und Kulturdiplomatie in Ostafrika ausführt (Merkur, 1/23).

Die „Weiße Kolonialschuld“ und die Sorge um Tier und Mensch

Bei seinem Einsatz für die Großtierwelt der Serengeti stützte Grzimek sich hauptsächlich auf den 13 Jahre jüngeren Julius Nyerere, den ersten Präsidenten des 1961 unabhängigen Tansania. Diese Kultfigur für linke Dritte-Welt-Enthusiasten hatte sich Grzimeks Auffassung von der afrikanischen Natur als „Zukunftsressource der Menschheit“ zu eigen gemacht und gerierte sich auf internationaler Bühne gern als „Treuhänder des Naturerbes der Menschheit“. Ein Posten, den er nicht als Ehrenamt betrachtete. Nach dem Vorbild Kenias und Ugandas verlangte er daher finanzielle Hilfen für das Management der in Tansania bis 1977 etablierten zehn Nationalparks. Zumal die ihm von Grzimek in Aussicht gestellten Tourismuseinnahmen bei weitem nicht so wie in Kenia sprudelten.

Hinzu kam ein Konflikt, der bis heute nichts an Brisanz verloren hat und der aktuell noch durch Kontroversen über die „weiße Kolonialschuld“ befeuert wird: die Konkurrenz zwischen Tier und Mensch, zwischen dem oft so geschmähten westlichen Danaergeschenk der Naturschutzparks und den Lebensinteressen der afrikanischen Bevölkerung. Grzimek vertrat dabei eine Auffassung, die für Eckert nicht frei ist von „Anmaßung, Paternalismus und rassistischen Attitüden“. Verlangte er doch, die Tiere der Serengeti müßten notfalls auch gegen den Widerstand autochthoner Gruppen wie der Massai vor menschlichen „Eindringlingen“ bewahrt werden. Einheimische Kritiker sprechen deswegen von „Festungsnaturschutz“ und „kalter Enteignung“. Im Gewand des Tierschutzes wirkten in solchen Praktiken Herrschaftsansprüche der früheren Kolonialmächte fort: Tansania war bis 1918 Hauptteil von Deutsch-Ostafrika und danach als Tanganjika britisches Mandatsgebiet.

Für Eckert kommt der Insel Rubondo im Viktoriasee eine ganz besondere Bedeutung zu, um die Ambivalenz, primär aber die Schattenseiten von Grzimeks Engagement in Tansania zu demonstrieren. 1964 griff er eine Idee der britischen Kolonialverwaltung auf, die Insel zur Arche Noah für gefährdete Wildtiere umzugestalten und sie zugleich, um Geld für den Unterhalt einzuspielen, als Touristenattraktion aufzuziehen. Dem stand entgegen, daß die Insel von der Größe Maltas von 500 Kleinbauern und Fischern bewohnt war. Um das erste Großwild, angriffslustige Spitzmaulnashörner, nicht in Konflikt mit dieser Urbevölkerung geraten zu lassen, wurde sie kurzerhand zwangsumgesiedelt.

Diese Vertreibungsaktion scheint gut in Eckerts Schema vom Neokolonialisten Grzimek zu passen. Trotzdem widerspricht sie den Realitäten auf Rubondo, so wie der am University College London lehrende Anthropologe Volker Sommer sie darstellt (Naturwissenschaftliche Rundschau, 2/23). Demnach ging die Entvölkerung der Insel nicht auf Grzimeks Konto, obwohl er die Schaffung von „Raum ohne Volk“ ausdrücklich begrüßte, weil die Entwurzelung der 500 Menschen des Banyarubondo-Stamms es ihm erlaubte, seine Pläne für eine „menschenleere Trauminsel für Tiere“ zu realisieren.

Während Eckert unterm Strich eine negative Bilanz des gegen den hinhaltenden Widerstand Nyereres nur halbherzig umgesetzten „Arche Noah“-Projekts suggeriert, fällt Sommers Bewertung entschieden günstiger aus, Obwohl er zunächst eine ausführliche Chronologie zahlreicher Fehlschläge liefert. Die 16 ausgesetzten Nashörner vermehrten sich bis 1990 auf 30 Exemplare, die dann aber alle Wilderern zum Opfer fielen. Ähnlich erging es dem von fünf auf zehn Stück angewachsenen Bestand an Pferdeantilopen. Auch unter den Elefanten und Giraffen, von denen Grzimek 1965 ein halbes Dutzend auf die vermeintlich sichere Insel verfrachtet hatte, wurde kräftig gewildert. Die sechs Elefanten von 1965 haben sich seitdem dennoch so stark vermehrt, daß heute 110 Dickhäuter erhebliche Probleme bereiten, weil ihre Nahrungsgewohnheiten nicht nur die Vegetationsdecke verändern. Ihre dichte Präsenz macht auch touristische Exkursionen „geradezu lebensgefährlich“.

„Unheilvolle Ausbreitung einer amerikanisierten Konsummoderne“

Was kaum zu bemerken sei, da sich von den 1,5 Millionen Besuchern, die Tansanias Nationalparks jährlich anlocken, nur 700 auf die Insel verirren. Dort erleben sie enttäuscht, daß von den importierten Spezies lediglich die Hälfte halbwegs „sichtbar“ ist: neben den Elefanten auch Giraffen, Mantelaffen und Graupapageien. Schimpansen sind hingegen schwer zu beobachten, die Moschusböckchen sehen selbst Wildhüter nur alle Jubeljahre. Aus ökologischer Sicht seien solche Pannen nicht verwunderlich. Denn mit dem Sammelsurium spektakulärer Lebewesen sei der 1977 eröffnete Rubondo Island National Park und dessen anthropogen aufgestockte Biodiversität nun einmal ein Kulturprodukt, das an die Science-fiction-Insel Jurassic Park erinnere.

Doch es sei eben nicht alles schiefgelaufen, was Grzimek hier mit seinem „Gemischtwarenladen“ auf die Schiene setzte. „Trotz aller Kritikpunkte ist die durch ihn geschaffene alternative Realität eines post-naturalen Biofakts nicht nur wegen ihrer Malheurs interessant.“ Denn auf der Haben-Seite müsse man etwa seine vollauf geglückte Auswilderung von Schimpansen verbuchen, der die Primatologie wichtige Erkenntnisse verdanke.

Und ohne das Ansiedlungsexperiment wäre die zu 80 Prozent mit Regenwald bedeckte Insel so kahl wie die Nachbareilande. Mithin sei hier von einem Deutschen ein künstliches Refugium geschaffen worden, das der „unheilvollen Ausbreitung einer amerikanisierten Konsummoderne in Afrika“ trotze. Bernhard Grzimek vollbrachte diese Leistung übrigens, indem er mit der „rassistischen Agenda einer europäischen, ‘zivilisatorischen Mission’ in Afrika“ gebrochen habe.

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