Das Selbstverständnis der Polizei als „Freund und Helfer“ der Bürger wird von der politischen Linken in Deutschland spätestens seit Ende der sechziger Jahre durch eine äußerst kritische Sicht auf die staatlichen Sicherheitsbehörden abgelöst. Die Polizei – und damit jeder einzelne Beamte – erscheint aus dieser Perspektive als Bedrohung für die Freiheit und körperliche Unversehrtheit der Bürger.
Angesichts der zunehmenden Einwanderung der vergangenen Jahre fokussieren sich die Vorwürfe gegen die Polizei in jüngster Zeit immer stärker auf die Behauptung des offenen oder zumindest angeblich latent vorhandenen Rassismus in den Reihen der Polizei, verbunden mit der Forderung, diese Tendenzen „unabhängig“ zu untersuchen. Im Zuge der weltweiten Diskussionen über Rassismus nach dem Tod des schwarzen Amerikaners George Floyd bei einem Polizeieinsatz im Mai 2020 wuchs in Deutschland die Forderung nach einer solchen Polizeistudie, um dem tatsächlichen oder vermeintlichen Rassismus auf die Spur zu kommen.
Das lautstark von der Linkspartei bis in die SPD hinein mit breiter medialer Unterstützung vorgetragene Ansinnen stieß indes beim damaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) auf Ablehnung: „Es wird keine Studie geben, die sich mit Unterstellungen und Vorwürfen gegen die Polizei richtet“, sagte er im Oktober 2020. Denn die überwältigende Mehrheit von über 99 Prozent der Polizisten stünde auf dem Boden unseres Grundgesetzes. „Sie sind der Grund für die Stabilität unserer Demokratie und unseres Rechtsstaates. Die Polizei kann sich darauf verlassen, daß wir als Politik hinter ihr stehen“, versicherte er, mußte aber angesichts des öffentlichen Drucks ein Zugeständnis machen. Zwar blieb er bei seinem Nein zu einer nur auf die Polizei bezogenen Rassismus-Studie, allerdings kündigte er eine Untersuchung durch die Deutsche Hochschule der Polizei mit dem Ziel an, „den Polizeialltag, das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft und die veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen genauer zu analysieren“; inklusive von Gewalt und Haß gegen Polizeibeamte. Für seine Entscheidung erntete Seehofer Kritik von linken Aktivisten sowie aus den Reihen von Linkspartei, Grünen und SPD, die weiter eine „echte“ Rassismus-Studie forderten.
Diese Konfliktlinie wurde auch noch einmal in der vergangenen Woche deutlich, als Seehofers Amtsnachfolgerin, Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), erste Zwischenergebnisse der Untersuchung präsentierte. „Für mich ist klar: Es gibt null Toleranz gegenüber Rechtsextremismus, Rassismus und anderen Formen von Menschenfeindlichkeit. Jeder derartige Vorfall muß deutliche Konsequenzen haben“, lautete ihr Fazit. Damit setzte Faeser bei der Auswertung einen deutlich anderen Fokus als Seehofer. „Wir wollen eine transparente Fehlerkultur stärken und der Entstehung und Verfestigung von Vorurteilen und Diskriminierungen konsequenter entgegentreten“, versicherte sie.
Unterstützung bekam Faeser von der Projektleiterin von der Deutschen Hochschule der Polizei, Anja Schiemann: Zwar habe die Untersuchung mit über 50.000 auswertbaren Fragebögen, die damit die größte Stichprobe der empirischen Polizeiforschung in Deutschland sei, unter den Polizisten nur eine sehr kleine Gruppe identifiziert, die durchgängig problematische Einstellungen zeige. „Es gibt aber eine große Anzahl derjenigen, die sich ambivalent verhält, also stereotypen, menschenfeindlichen Aussagen nicht eindeutig ablehnend gegenübertreten“, fügte Schiemann hinzu. „Insofern findet man zwar wenige Hinweise auf radikale Positionen, aber einige Eindrücke, die auf Verunsicherungen und uneindeutige Positionen schließen lassen. Hier werden sich im weiteren Projektverlauf Analysen anschließen.“
Fast drei Viertel der Beamten werden im Dienst beleidigt
Zusammenfassend heißt es hierzu in den Zwischenergebnissen der Studie: „Menschenfeindliche Positionen lassen sich wie in der Gesamtbevölkerung auch in der Polizei feststellen“. Allerdings seien bei fast 30 Prozent der Befragten Tendenzen sichtbar, Asylsuchende abzuwerten. Das tue etwa, wer sich der Aussage anschließt, die meisten Asylbewerber würden „in den Heimatländern nicht verfolgt“. Knapp zehn Prozent ließen in Antworten Muslimfeindlichkeit erkennen. Fast jeder fünfte unterstütze chauvinistische Einstellungen oder äußerte sich beim Ausfüllen der Online-Fragebögen nicht eindeutig ablehnend. Wobei bemerkenswert ist, welche Maßstäbe die Studien-Autoren anlegen. So steht schon unter Rassismusverdacht, wer dem Satz zustimmt: „Wer anders als die Mehrheit der Bevölkerung aussieht, wird in Deutschland überhaupt nicht benachteiligt“.
Bei jüngeren Polizisten mit weniger Dienstjahren seien die Diskriminierungstendenzen laut dem Zwischenbericht geringer als bei Älteren. Ob hier das Lebensalter oder die Erfahrungen im Berufsalltag ausschlaggebend sind, muß nach Einschätzung der Forscher noch genauer untersucht werden. Bei einem anderen wichtigen Themenkomplex, der die ursprüngliche Intention Seehofers widerspiegelt, stehen alltägliche Belastungen im Mittelpunkt. Hierzu zählen insbesondere auch Gewalterfahrungen im Dienst. Demnach haben fast 70 Prozent der Antwortgeber mindestens einmal im vergangenen Jahr Beschimpfungen und Provokationen erlebt. „Bei körperlicher Gewalt mit geringerem Verletzungsrisiko sind es ungefähr 46 Prozent mit mindestens einer Opfererfahrung und bei körperlicher Gewalt mit höherem Verletzungsrisiko circa 25 Prozent“, heißt es in der Studie. Die Autoren weisen darauf hin, daß die erhobenen Werte nicht direkt mit denen zu vergleichen sind, die das Bundeskriminalamt in seinen Lagebildern zu Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamte veröffentlicht, da dort nicht die Opfer, sondern die registrierten Taten Ausgangspunkt der Zählung sind, also keine Opferanteile berichtet werden.
Deutliche Kritik an dem gesamten Unterfangen kommt aus den Reihen der AfD. Für den Bundestagsabgeordneten Martin Hess, der Mitglied im Innenausschuß ist, hat die Studie „von vornherein nur ein erklärtes Ziel: unter dem Deckmantel der Wissenschaft der Polizei strukturellen Rassismus zu unterstellen“. Weil die Beamten in Wirklichkeit „jeden Tag die desaströsen Folgen einer völlig verfehlten Sicherheits- und Migrationspolitik ausbaden müssen und dafür ihre Gesundheit und ihr Leben für unsere Sicherheit riskieren“, hätte sich Innenministerin Faeser besser „schützend vor unsere Polizisten stellen“ sollen, sagte der Politiker, der selbst zuvor Polizist und Polizeiausbilder in Baden-Württemberg war, der JUNGEN FREIHEIT. Die Polizei hierzulande habe kein Rassismus-Problem, sondern „ein massives Personal- und Sachmittelproblem“. Es sei völlig unstrittig, daß die Beamten Mängel in nahezu allen Bereichen kritisieren, so Hess.
Für den weiteren Projektverlauf wird nach Angaben der Deutschen Hochschule der Polizei neben zusätzlichen Auswertungen derzeit eine Wiederholung der Online-Befragung im letzten Quartal 2023 geplant. Als ein Manko hinsichtlich der Aussagekraft wird der verhältnismäßig geringe Rücklauf der Fragebögen von 16 Prozent bewertet. Der schon jetzt von der ursprünglichen Intention der Studie hin zum Thema Rassismus verschobene Schwerpunkt dürfte im dann zu erwartenden Abschlußbericht der Untersuchung noch einmal besonders deutlich werden.
Umstrittene Studie
Noch unter Ägide von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) wurde die „Studie zur Motivation, Einstellung und Gewalt im Alltag von Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten“ (Megavo) bei der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster in Auftrag gegeben – als Kompromiß zur unter anderem vom Koalitionspartner SPD geforderten Studie über angeblich „strukturellen Rassismus“ in der Polizei. Mit den Erhebungen haben die Forscher im November 2021 begonnen. Die Polizeien in Baden-Württemberg und Hamburg haben sich nicht beteiligt, nachdem die Personalräte unter anderem rechtliche Bedenken an der Studie geäußert hatten. Indes hatte auch der im Mai 2022 veröffentlichte offizielle „Lagebericht“ über Rechtsextremisten in den Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder einen politisch motivierten Generalverdacht widerlegt (JF 21/22). So gab es etwa bei 19 Bediensteten der Bundespolizei einen Prüffall mit Bezug zum Rechtsextremismus. Zum Vergleich: In der Behörde sind etwa 45.000 Polizeivollzugsbeamte tätig. Bei den Polizeien der Länder, in denen insgesamt über 280.000 Beamte ihren Dienst tun, wurden 382 Sachverhalte mit Rechtsextremismus-Bezug geprüft. (vo)