© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/23 / 21. April 2023

Highe deutsche Jugend?
Gesetzentwurf: In der Frage der Cannabis-Legalisierung zieht die Ampel-Koalition ausnahmsweise an einem Strang
Peter Möller

Für altgediente Grüne muß es sich derzeit anfühlen, als ob Weihnachten und Ostern auf einen Tag fallen. Nicht genug, daß die Partei mit dem Abschalten der letzten drei Kernkraftwerke am vergangenen Wochenende nach jahrzehntelangem Kampf ihren bislang größten politischen Erfolg feiern konnte: Am Donnerstag vergangener Woche stellten der grüne Landwirtschaftsminister Cem Özdemir und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auch noch die Pläne der Ampel für eine Legalisierung von Cannabis vor. 

Ein Vorhaben, für das viele Grüne fast so lange und mit fast so viel Leidenschaft gekämpft haben wie für den Ausstieg aus der Stromerzeugung durch Kernkraftwerke. „Wenn das der Ströbele noch erlebt hätte“, mag sich so mancher Grüner denken. Der im August vergangenen Jahres verstorbene Grünen-Politiker ist vielen Parteifreunden durch seinen 2002 auf einer Berliner Demonstration zur Cannabis-Freigabe getätigten Ausruf „Gebt das Hanf frei! – Und zwar sofort!“ in Erinnerung geblieben. Der Spruch, der sich an Polizisten richtete, die mehrere Hanfpflanzen der Grünen Jugend beschlagnahmt hatten, ging sogar durch ein Lied von Stefan Raab in die Populärkultur ein.

Ursprüngliche Pläne der  Ampel scheitern an Brüssel

Doch vermutlich wäre der alte Kämpfer Ströbele gar nicht so zufrieden mit den Plänen der Koalition. Denn die nun präsentierten Pläne für die Legalisierung von Cannabis sind längst nicht so weitgehend wie von den Grünen ursprünglich gefordert. Auch künftig wird es in Deutschland anders als von vielen „Kiffern“ erträumt, keine Coffee Shops zum Cannabis-Verkauf und Konsum wie in den Niederlanden geben. Auch der Traum von großzügigen Vorräten für den Eigenbedarf wird vorerst nicht Wirklichkeit: Drei Pflanzen und maximal 50 Gramm pro Monat sollen Konsumenten künftig straffrei besitzen dürfen. Viel weniger, als sich die Vorkämpfer der Cannabis-Freigabe erhofft hatten.

Vor allem der legale Erwerb von Cannabis wird komplizierter als von Lauterbach in seinem ersten Eckpunktepapier für eine Drogen-Liberalisierung im Herbst vergangenen Jahres in Aussicht gestellt. War damals noch die Möglichkeit vorgesehen, Cannabis ähnlich wie in den Niederlanden in speziellen Läden („lizenzierte Fachgeschäfte“) oder sogar Apotheken legal ab 18 Jahren erwerben zu können, ist nun zunächst als Zwischenschritt zu einem freien Erwerb ein Verkauf in sogenannten Cannabis-Clubs geplant. In besonderen Vereinen, die jeweils bis zu 500 Mitglieder haben dürfen, sollen sich die Mitglieder mit Cannabis-Produkten aus eigenem Anbau versorgen können. 

Die nun vorgestellten Pläne sehen ein Zwei-Säulen-Modell vor: Die erste Säule sei eine „schnelle“, bei der es darum gehe, vom Verbieten wegzukommen, verdeutlichte Lauterbach. Bei der zweiten Säule, die erst später umgesetzt werde, gehe es um Modellprojekte, um langfristig kommerzielle und staatlich kontrollierte Lieferketten aufzubauen. Lauterbach und Özdemir unterstrichen, daß es das Ziel sei, den Schwarzmarkt für verunreinigtes Cannabis zu verdrängen, um zu verhindern, daß Konsumenten animiert werden, auf stärkere Drogen umzusteigen. Zudem sollten Kinder und Jugendliche geschützt werden. „Niemand soll mehr bei Dealern kaufen müssen, ohne zu wissen, was man sich da einhandelt“, sagte Özdemir.

Grund für den unfreiwilligen Umweg der selbsterklärten Drogen-Liberalisierer sind europarechtliche Vorgaben. Nach Einschätzungen von Europarechtlern verpflichten zwei EU-Abkommen die Mitgliedstaaten dazu, jegliche gewerbliche Aktivitäten mit Cannabis zu verbieten, die nicht wissenschaftlichen und medizinischen Zwecken dienen. Will Deutschland von dieser Regelung abweichen, muß die Bundesregierung in Brüssel nachverhandeln. Mit anderen Worten: Wenn die Ampel ihre ursprünglichen Pläne umsetzen will, braucht sie grünes Licht aus Brüssel. Doch das kann dauern.

Widerstand gegen die Pläne zur Cannabis-Legalisierung kommt vor allem aus Bayern. Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) präsentierte Anfang März ein Rechtsgutachten zu den Plänen der Bundesregierung, das zu dem Schluß kommt, daß diese sowohl gegen das Völkerrecht als auch das Europarecht verstoßen. Mit anderen Worten: Deutschland hätte mit den (ursprünglichen) Eckpunkten Lauterbachs geltende Verträge gebrochen. „Ich fordere die Bundesregierung daher auf, ihre Pläne zur Zulassung des Anbaus, Handels und des Konsums von Cannabis zu Genußzwecken sofort fallenzulassen und sich stattdessen mit aller Kraft den wichtigen Herausforderungen unseres Gesundheitssystems zu widmen: Krankenhausreform, Pflegereform, Fachkräftemangel, Digitalisierung“, sagte Holetschek.

Kritik kommt auch von der AfD. Das nun präsentierte Zwei-Stufen-Modell bezeichnete der gesundheitspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Martin Sichert, als Schritt in die falsche Richtung: „Durch die bevorstehende Legalisierung von Cannabis fördert der Staat den Übergang zu härteren Drogen.“ Die AfD-Fraktion befürworte die medizinische Anwendung und Förderung von Cannabis unter ärztlicher Aufsicht – davon sei in den Planungen der Ampel-Koalition jedoch kein Wort enthalten. Doch nicht nur der politische Gegner der Ampel, auch Experten sehen die Pläne zur Cannabis-Legalisierung kritisch. „Wenn die aktuellen Pläne der Bundesregierung umgesetzt werden, bedeutet dies einen bedeutenden Rückschlag für die Drogenprävention“, kritisierte der Präsident der bayerischen Landesärztekammer, Gerald Quitterer. Er verwies darauf, daß es in mehreren Ländern nach einer Freigabe zu einem Anstieg Cannabis-bedingter Notaufnahmen gekommen sei. Zudem sei ein erhöhter psychiatrischer Behandlungsbedarf festgestellt worden.

Noch deutlicher äußerte sich die Gewerkschaft der Polizei (GdP) zu den Legalisierungs-Plänen. Das sei reine Klientelpolitik. „Die zusammengestutzte Cannabislegalisierung wirkt wie ein politisches Manöver, um die langsam ungeduldiger werdende Gruppe der Konsumenten ruhigzustellen“, kritisierte der stellvertretende GdP-Bundesvorsitzende Alexander Poitz gegenüber dem Redaktions-Netzwerk Deutschland. „Auf den illegalen Cannabishandel auf dem Schwarzmarkt wird der Lauterbach-Entwurf jedoch keinen bedeutenden Einfluß entfalten. Das gilt ebenso für den riskanten Cannabiskonsum von Minderjährigen.“ Auch für die Polizei ergebe sich durch die Pläne keine nennenswerte Arbeitsentlastung.