© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/23 / 21. April 2023

Markus Söder fordert Weiterbetrieb des Kernkraftwerks Isar 2
Schwarze Wendehälse
Manfred Haferburg

Wenn man ein Foto von Markus Söder betrachtet, fällt auf, daß es oft aus niedriger Perspektive aufgenommen wurde: Er legt den Kopf ein wenig zurück, dreht sein Gesicht etwas ins Profil und kneift die Augen leicht zusammen – seht her, ich bin ein Mann, der nach vorne zu seinen Visionen aufsieht. Man kann davon ausgehen, daß er tatsächlich eine Vision hat: „Herrn Söders Mäntelchen immer im Wind“. Der CSU-Chef rechnet dabei fest mit der Vergeßlichkeit der Wähler. Bei Corona war dem bayrischen Ministerpräsidenten keine Maßnahme scharf genug. Als der Wind sich drehte, wechselte Söder übergangslos vom Team „Vorsicht“ ins Team „Freiheit“.

2011 trat er als Horst Seehofers Umweltminister mit grüner Krawatte auf und drohte mit dem Platzen der schwarz-gelben Merkel-Koalition, wenn das Kernkraft-Aus nicht bis 2022 festgeschrieben würde. Als dies nun tatsächlich passiert, merkt Söder kurz vor dem 15. April, daß sich der Volksmeinungswind gedreht hat – und er fordert genauso vehement den Weiterbetrieb. Genau wissend, daß dies keinesfalls eintreten wird, fordert er sogar den Weiterbetrieb des niederbayrischen Druckwasserreaktors Isar 2 unter Landesverantwortung. CDU-Chef Friedrich Merz findet dies „diskussionswürdig“. Er hat auch eine Vision, nur heißt die „Merz“. Man sollte jedem Politiker Lernfähigkeit zugestehen. Was aber weder Söder noch Merz und schon gar nicht die Ampel-Koalitionäre begriffen haben ist, daß sich verantwortungsvolle Energiepolitik nur in Dekaden betreiben läßt. So lange dauert es nämlich, bis neue Kraftwerke und Stromnetze gebaut sind.

Hubert Aiwanger gibt sich hingegen als Pragmatiker: Der rustikale Niederbayer und Chef der Freien Wähler will Isar 2 im „Standby-Modus einmotten“. Das kann man machen, aber wer soll den neuen Brennstoff bezahlen? Wer soll eine Million Euro Stillstandskosten pro Tag bezahlen? In ein Kernkraftwerk kann man nicht eine Handvoll Mottenkugeln werfen und dann die Mannschaft nach Hause schicken, bis sich irgendwann im Bundestag der Wind gedreht hat. Ein Kernkraftwerk wird betrieben, egal ob es am Netz ist oder stillsteht – es kostet das gleiche, es braucht die gleiche Mannschaft, die gleiche behördliche Überwachung und die gleiche Instandhaltung. Das sollte auch Söders wahlkämpfender Wirtschaftsminister wissen.