© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/23 / 28. April 2023

Die Regierung schützt die Meinungsfreiheit und beauftragt andere, sie zu beschneiden
Der Staat wirkt unbeteiligt
Christopher J. Peter

Die „Twitter-Files“ im Auftrag von Elon Musk legen eine massive Einflußnahme der US-amerikanischen Politik auf das soziale Netzwerk offen. Was hier passierte, kann man als Zensur bezeichnen. Twitter löschte Inhalte vor allem nach Anweisung der US-Demokraten. Bekanntestes Beispiel ist die Unterdrückung der „Laptop of Hell“-Geschichte des Sohns von Präsident Joe Biden vor der letzten US-Präsidentschaftswahl. In einer diesen März durchgeführten Anhörung vor dem US-Kongreß war von einem „zensurindustriellen Komplex“ die Rede. Nichtregierungsorganisationen fungieren dabei als Stichwortgeber und Antreiber. Gleichzeitig profitieren sie finanziell über staatliche Aufträge. Medien als Verstärker und der Staat als outsourcender Auftraggeber spielen sich im politischen Kampf gegen „Trump“, „Rechts“, „Hate-Speech“, „Corona-Kritiker“ oder „Desinformation“ immer enger und offener die Bälle zu. 

Doch was spricht dagegen, daß zivilgesellschaftliche Organisationen mit Journalisten zusammenarbeiten, um sogenannte „Falschinformation“ zu bekämpfen? Der von Musk beauftragte Journalist Matt Taibbi sieht das Problem darin, daß diese Kampagnen mit Steuergeldern finanziert werden, obwohl der Staat sich eigentlich von jeglicher „inländischer Propaganda“ fernhalten müsse. Allein am Beispiel von Twitter dekliniert er mit den inzwischen 19 Twitter-Files durch, wie sich der Staat über Nichtregierungsorganisationen zunächst unter dem Vorwand der Bekämpfung von „Hate-Speech“, später von „Desinformation“ während der Corona-Krise, immer direkter als Kurator des Sagbaren gerierte. Die Twitter-Files weisen auf die Gefahr hin, daß sich die „Wahrheitswächter“ als selbstreferentielles System das Recht für etwas zugestehen, das sie bei allen anderen als Fehlverhalten anprangern würden: der ausschließliche Faktenchecker für sich selbst zu sein. Zuletzt hatte Anfang Dezember die neuseeländische Regierung als Antwort auf eine Transparenzanfrage zugegeben, daß sie einen direkten Zugang zu den Löschseiten von Facebook und Instagram hat, über die sie die Löschung oder Reichweitenunterdrückung von Inhalten beauftragt. 

Gab es auch in Deutschland den Versuch einer Einflußnahme der Politik auf Social Media? Um dieser Frage nachzugehen, lohnt sich ein Blick zurück ins Jahr der Flüchtlingskrise im Herbst 2015. Am 4. September 2015 beschloß Kanzlerin Merkel in einer einsamen Entscheidung, Flüchtlinge von Ungarn nach Deutschland einreisen zu lassen. Das löste eine Migrationsbewegung aus, in deren Folge Hunderttausende die Grenzen des Landes weitgehend unkontrolliert überschritten. Weithin wurde das als Kontrollverlust empfunden. In den sozialen Netzwerken schwoll der Protest der Bürger an. Natürlich gab es unschöne, mitunter sogar strafbare Beiträge im Netz, aber ganz überwiegend drückten die Menschen ihre Meinung in einer Weise aus, die unter dem Schutz des Grundgesetzes steht. In dieser Situation berief der damalige Bundesjustizminister Heiko Maas im Oktober 2015 eine Arbeitsgruppe zum „Umgang mit rechtswidrigen Haßbotschaften im Internet“ ein. 

Teilnehmer dieser als „Task Force“ bezeichneten Gruppe waren neben einem Vertreter der Bundesregierung auch „zivilgesellschaftliche Gruppen“, unter anderem die Amadeu-Antonio-Stiftung. Vorsitzende dieser Stiftung war und ist Anetta Kahane, eine ehemalige inoffizielle Mitarbeiterin der DDR-Staatssicherheit. Die Stiftung gehört mit einem Jahresbudget von fast sechs Millionen Euro im Jahr 2020 zu den Big Playern im Melde- und Zensurgeschäft. Eingeladen waren außerdem Facebook (heute: Meta), Google und Twitter. Am 15. Dezember 2015 veröffentlichte die Task Force ein „Ergebnispapier“ über „vorgeschlagene Wege zur Bekämpfung von Haßinhalten im Netz“. Das Papier ist bemerkenswert. Nicht nur deshalb, weil es bis heute auf der Website des Bundesjustizministeriums für jedermann abrufbar ist. Genaugenommen handelt es sich um die einzige bekannte schriftliche Dokumentation über den Inhalt der zahlreichen Gespräche, die alle Bundesregierungen seither mit Vertretern von Social-Media-Unternehmen über Themen der Meinungssteuerung im Internet geführt haben. 

Brisant ist aber vor allem der Inhalt des Papiers. Es dokumentiert eine Vereinbarung über die Grundlagen der Lösch-Infrastruktur in Deutschland. Danach verpflichten sich die Unternehmen, für ihre Plattformen „strikte Nutzungsbedingungen zu implementieren“. Diese unternehmensinternen Nutzungsbedingungen sollen den Umgang mit geposteten Inhalten regeln, die „Haß schüren“. Die Unternehmen sichern zu, solche Inhalte zu löschen, die gegen ihre internen Regelungen zu „Haßbotschaften“ verstoßen, und Nutzerkonten zu sperren. Die Internet-Konzerne sollen „anwenderfreundliche Mechanismen und Verfahren“ installieren, die dazu dienen, Verstöße gegen die unternehmensinternen Richtlinien zu „melden“. Das soll insbesondere für solche Inhalte gelten, die „Haß gegen eine Person oder Gruppe … schüren“. Was Haß ist, bleibt im Papier undefiniert. Es handelt sich um einen unscharfen Begriff, der eine Emotion beschreibt. Es ist naheliegend, daß auch solche Äußerungen unter den Begriff gefaßt werden können, die nicht verboten, sondern vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt sind.

Mit der Vereinbarung aus dem Jahr 2015 wurde eine Grundlage für die Behandlung von „Haßrede“ geschaffen, die heute zu millionenfacher Löschung in den sozialen Netzwerken führt. Facebook allein hat zwischen Januar und März 2022 weltweit 21,7 Millionen Beiträge wegen angeblicher Haßrede gelöscht. Die Beschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung ist offensichtlich gewaltig. Hinzu kommen Maßnahmen der Reichweitenunterdrückung und Sperrung von Kanälen bzw. Nutzerkonten, die von den einzelnen Anbietern zur Bekämpfung von „Haßrede“ angewendet werden. Auf Deutschland und auf das gesamte Jahr bezogen, dürften Millionen gelöschter Beiträge zusammenkommen, von denen der Löwenanteil wohl unter die grundgesetzlich geschützte Meinungsfreiheit fällt. Allein in Deutschland beschäftigt Meta/Facebook laut Medienberichten seit 2018 an den zwei Standorten Berlin und Essen rund 2.000 Mitarbeiter durchgehend, Inhalte auf mögliche Verstöße gegen die Gemeinschaftsstandards zu prüfen.

Berücksichtigt man, daß Inhalte mit „Haßrede“ von den anderen großen Social-Media-Plattformen (Youtube, Twitter) in vergleichbarer Weise behandelt werden, läßt sich der Einfluß dieser Löschpraxis auf die Meinungsbildung in Deutschland erahnen. Kein Wunder, daß nach einer Allensbach-Umfrage vom Juni 2021 nur noch eine Minderheit der Bürger Vertrauen in die freie Meinungsäußerung in Deutschland hat. Laut „Freiheitsindex 2022“ des Allensbach-Instituts sind es nur 48 Prozent.

Um den Konformitätsdruck zu erhöhen und den Meinungskorridor des Sagbaren zu verengen und indirekt zu kontrollieren, finanziert die Bundesregierung seit 2017 verstärkt zahlreiche zivile Organisationen, die sich zum Ziel gesetzt haben, „Haßrede“, „Fake-News“ „Propaganda“ oder allgemein „Desinformation“ im Netz zu bekämpfen. Ein verfassungsrechtlich äußerst fragwürdiger Vorgang – nicht nur wegen der unbestimmten Begriffe wie „Desinformation, Fake-News und Haßrede“, sondern auch deshalb, weil das Verbot der Äußerung bestimmter Meinungen nicht der Vorgabe in Artikel 5 Absatz 2 GG entspräche, wonach nur „allgemeine“ Gesetze das Grundrecht auf Meinungsfreiheit beschränken dürfen. Es ist nicht Aufgabe der Bundesregierung, mit dem Geld der Steuerzahler private Organisationen darin zu unterstützen, was gesetzlich zu regeln nicht zulässig wäre, nämlich die Meinungsfreiheit der Bürger zu beschränken. Vielmehr wäre es die Pflicht der Bundesregierung aus Artikel 20 Absatz 3 GG, solchen grundgesetzwidrigen Bestrebungen entgegenzutreten. Die finanzielle Förderung solcher Organisationen durch die Bundesregierung wäre umgehend einzustellen.

In den Jahren 2020 bis 2023 fördert die Bundesregierung direkt und indirekt über die Bundeszentrale für politische Bildung knapp 30 solcher Projekte und Organisationen mit einem Betrag von 5,1 Millionen Euro sowie weitere 22 Projekte über die Initiative „Demokratie leben“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mit einem Geldbetrag, den die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion nicht transparent gemacht hat (BT-Drs. 20/978). Zu den geförderten Organisationen gehört auch das „Institute for Strategic Dialogue“ (ISD). Das ISD fordert, daß mißliebige Personen und Organisationen (darunter Presseerzeugnisse und journalistische Online-Angebote) keinen Zugang mehr zu Bankdienstleistungen haben sollen. Das soll offenkundig auch für solche Personen und Organisationen gelten, denen nichts weiter zur Last gelegt wird als die Verbreitung einer „falschen“ Meinung. In einer Publikation empfiehlt das ISD deshalb die „branchenweite Abstimmung der Nutzungsbedingungen unter Bezahldiensten und anderen Finanzdienstleistern“. Ist das eine Aufforderung zu einer verbotenen Absprache? Das müßte das Bundeskartellamt prüfen. Die Behörde hätte die Möglichkeit, solche Absprachen per Abstellungsverfügung sofort zu beenden.

In der Corona-Pandemie kam zur Löschung wegen Haßrede die Löschung von Beiträgen auf Social-Media-Plattformen wegen angeblicher „gesundheitlicher Fehlinformation“ hinzu. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion des Bundestages, ob es zu diesem Themenbereich Gespräche der Bundesregierung mit Plattformbetreibern gab, verneint diese. Wenig später enthüllt die Bild-Zeitung, daß am 2. Juni 2020 doch ein „Geheim-Gipfel“ der Bundesregierung mit Vertretern von Facebook und Google stattfand. Thema: „Die Corona-Pandemie und die in diesem Kontext zu beobachtende Verbreitung von Fehl-, Falsch- und Desinformationen“.

Wenn die Regierung versuchen würde, ein Gesetz gegen „Fehl-, Falsch- und Desinformationen oder Haßrede“ zu erlassen, wäre das schon wegen begrifflicher Unbestimmtheit verfassungswidrig. Darf sich die Bundesregierung dann an einer Absprache beteiligen, nach der private Unternehmen unerwünschte Meinungen von ihren Plattformen verbannen sollen? Man hat den Eindruck: Vieles läuft im Verborgenen oder wird auf private Akteure ausgelagert. 

Das staatliche Heranziehen von Faktencheckern, Meldestellen gegen Andersdenkende und Kampagnenzentralen gegen unliebsame Menschen ist die deutsche Ausprägung des zensurindustriellen Komplexes. Beispiel für die Verschmelzung von Staat, Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Organisationen. Zynisch könnte hier von einem sich immer stärker autoritär gebärdenden Korporatismus gesprochen werden. Ähnlich wie in den USA gibt es den Versuch des Aufbaus einer Umerziehungs- und Zensurinfrastruktur von willfährigen, aber staatlich beauftragten und finanzierten Aktivisten. Ein selbstreferentielles Überwachungs-, Melde und Zensursystem.

Daß dieser Angriff auf unsere Demokratie nicht mit dem Corona-Ausnahmezustand vorbei ist, zeigen die aktuellen Planungen der Familienministerin Lisa Paus (Grüne) und der Innenministerin Nancy Faeser (SPD). Gemeinsam wollen sie mit einem aktuell in den Bundestag eingebrachten Gesetz die Finanzierung dieser Zensurinfrastruktur auf Dauer finanziell absichern und festschreiben. Programme wie „Demokratie leben“, die unter anderem pädagogische Formate gegen sogenannte „Desinformation, Propaganda oder Hate-Speech im Netz“ betreiben, sollen künftig dauerhaft mit mehr als 200 Millionen Euro jährlich finanziell unterstützt werden. Das Gesetz hat einen witzigen Namen. Es heißt: „Demokratiefördergesetz“.






Christopher John Peter, Jahrgang 1975, Diplom-Politikwissenschaftler mit Studium in Hamburg und Washington D.C. und Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag. Er arbeitete auch als Journalist für die Bild, Welt und die Hamburger Morgenpost.