In den achtziger Jahren lief im britischen Fernsehen ein ungewöhnlicher Werbespot für Bier. In Schwarzweißoptik sah man einen britischen Bomber bei Nacht in geringer Höhe über eine Wasserfläche fliegen und rollende Bomben abwerfen, die sich wie ein springender Stein hüpfend auf ein Ziel zubewegten. Schnitt. Ein deutscher Wachsoldat auf der Krone eines Staudammes wehrte wie ein Torwart alle hüpfenden Bomben erfolgreich ab – was der Pilot eines angreifenden Flugzeugs mit der Bemerkung quittierte, daß dieser die beworbene Biermarke getrunken haben müsse.
Der selbstironische Spot benutzte die Bildsprache eines in England beliebten Kriegsfilms aus den 50er Jahren namens „The Dam Busters“ (Damm-Zersprenger), der die Geschichte eines allerdings nicht so lustig ausgehenden Luftkriegsangriffs im Zweiten Weltkrieg erzählte, den Angriff auf deutsche Talsperren im Sauerland und Nordhessen in der Nacht vom 16. auf den 17. Mai 1943. Von der Zerstörung dieser Talsperren erhofften sich die britischen Stäbe zwar nicht die Flutung des gesamten Ruhrgebiets, wohl aber den Zusammenbruch der Wasserversorgung sowohl der Industrie als auch der Zivilbevölkerung im wichtigsten deutschen Industrie- und Rüstungszentrum und eine erhebliche „moralische“ Wirkung auf den deutschen Durchhaltewillen.
Erste Überlegungen, im Kriegsfall auch die Talsperren von Möhne und Sorpe anzugreifen, gab es auf britischer Seite schon Ende 1937. Allerdings verfügte das Bomber Command bis Anfang 1943 über keine geeigneten Bomben, mit denen es die Staumauer einer Talsperre hätte zerstören können. Erst 1942 entwickelte ein Flugzeugkonstrukteur eine solche. Diese rotierende „Bouncing Bomb“ (Rollbombe) mit einem Gewicht von 4.200 Kilogramm, davon 2.600 Kilogramm Sprengstoff, sollte nach dem Abwurf, um Torpedonetzen zu entgehen, über das Wasser hüpfen, auf die Dammmauer treffen, nach unten absinken und unter Wasser detonieren, um ein großes Loch zu reißen. Sie wurde von einem speziell modifizierten viermotorigen Lancaster-Bomber abgeworfen, der in einer genau einzuhaltenden Höhe von nur 18 Meter über der Wasseroberfläche fliegen mußte.
Die Royal Air Force ließ Anfang 1943 eine Anzahl Bomber umrüsten und stellte aus ausgesuchtem Personal einen Spezialverband auf, die 617. Staffel, die es noch heute gibt. Als Hauptziele des Angriffs wurden die Möhne-, die Sorpe- und die Edertalsperre ausgewählt. Die damals vollgefüllte Möhnetalsperre speicherte 50 Prozent des Wassers aller in das Ruhrtal entwässernden Dämme, die der Sorpe weitere 27 Prozent. Die in Nordhessen gelegene Eder entwässerte jedoch in das Wesergebiet. Hier waren weit weniger Schäden zu erwarteten als im Ruhrtal. Doch setzten die Briten auf den „moralischen“ Effekt einer doppelten Flut.
Die am Abend des 16. Mai zur Operation Chastise (Züchtigung) gestarteten 19 Lancaster-Bomber der 617. Staffel flogen ihre Ziele im Tiefflug an, was zu starken Verlusten durch Flak-Feuer und Kollisionen mit Überlandleitungen führte. Nur elf Maschinen kehrten zurück; von den 56 Mann Besatzung der acht zerstörten Bomber kamen 53 ums Leben. Nur sieben Lancaster erzielten Treffer, von denen nur zwei bei der Möhne- und einer bei der Edertalsperre Wirkung zeigten. Die Wahl des Sorpedamms als Angriffsziel stellte sich als Fehler heraus. Dieser bestand aus beidseitig um einen Betonkern herum aufgeschütteter Erde, die wie sich zeigen sollte, die Druckwellen der dortigen Treffer absorbierte. Die Treffer auf den Möhnedamm rissen indes ein großes Loch in die Betonmauer, was zum schnellen Auslaufen des Stausees führte. Eine Flutwelle lief das Tal der Möhne und dann der Ruhr herunter, die jedoch allmählich abflachte und sich schließlich im Becken des Essener Baldeneysees brach, dessen Wasser nach Kriegsbeginn abgelassen worden war, um britischen Bombern die Navigation beim Anflug auf die Kruppwerke zu erschweren.
Die Zahl der Toten im Tal von Möhne und Ruhr betrug laut amtlichen Mitteilungen 1.579 Menschen, davon mehr als 1.020 ausländische Zivil- und Zwangsarbeiter sowie Kriegsgefangene. Mehr als die Hälfte der Menschen kamen in dem knapp unterhalb des Möhnedamms gelegenen Neheim ums Leben, größere Opferzahlen forderte die Flut noch in Wickede und Fröndenberg. Weiter flußabwärts konnte der Großteil der Gefährdeten durch ein unter anderem von Hitlerjungen getragenes Warnsystem rechtzeitig informiert werden. Der Zerstörung der Edertalsperre fielen etwa siebzig Menschen zum Opfer.
Eine angestrebte Lahmlegung der Industrie im Ruhrgebiet blieb aus
Rund 1.000 Häuser, 120 kleine Fabriken, 9 Eisenbahn- und 37 Straßenbrücken sowie mehrere Kraftwerke am Oberlauf der Ruhr wurden zerstört oder schwer beschädigt. Die zentralen Werke der Ruhrindustrie waren indes nicht direkt und nur für kurze Zeit indirekt betroffen. Die Beeinträchtigungen der Wasser- und Stromversorgung konnten rasch behoben werden, die von den Briten angestrebte Lahmlegung der Ruhrindustrie blieb aus. Die beschädigten und zerstörten Brücken wurden unter der Leitung von Albert Speer von der Organisation Todt bis Ende Juni 1943 wiederhergestellt und das Loch im Möhnedamm bis Anfang Oktober repariert.
Insgesamt waren die Auswirkungen der Operation Chastise auf die deutsche Rüstungsproduktion nicht allzu schwerwiegend. Der eigentliche britische Erfolg war propagandistischer Natur. In der Heimat gab der Flug der Dam-Busters der Kampfmoral einen Schub und wurde zu einem neuen Heldenmythos, sogar über den Krieg hinaus. Auch die deutsche Bevölkerung zeigte sich zunächst stark besorgt. Die erwähnte Bekanntgabe der Opferzahlen durch NS-Organe und Presse erfolgte nicht zuletzt, um umlaufenden Gerüchten über 30.000 und mehr Opfer entgegenzutreten.