© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/23 / 02. Juni 2023

Geschmacklosigkeit der Woche
„Lange Geschichte“
Christian Vollradt

Daß Schweigen Gold ist, gilt manchmal auch für das gedruckte Wort. Und so hätten sich die Süddeutsche und die Rhein-Main-Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen am vergangenen Samstag diese eine Todesanzeige besser geschenkt. Mit Versen aus dem Lied „Anthem“ von Leonard Cohen, wonach es in allem  einen Riß gebe, so daß das Licht hereinkommt, verabschiedeten sich „Weggefährt:Innen und Gefährten aus allen Zeiten“ von Rolf Heißler, der an Himmelfahrt im Alter von 74 Jahren verstorben ist. Nun mag der Name des Hingeschiedenen den meisten nichts sagen; ebensowenig wie beispielsweise die Namen Dionysius de Jong oder Johannes Goemans. So hießen nämlich die zwei holländischen Zollbeamten, 19 und 24 Jahre alt, die Heißler vor fast 45 Jahren erschossen hatte. Die Anzeige freilich machte keinen Hehl aus dieser Vergangenheit: „Er hatte eine lange politische Geschichte, angefangen mit der Studentenbewegung in München, nach 1975 in der RAF, dann über 20 Jahre Knast ...“ Tatsächlich war Heißler 1982 wegen gemeinschaftlichen Mordes, gemeinschaftlichen schweren Raubes und Mitgliedschaft in einer Terrororganisation zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Der ehemalige Lebensgefährte der Terroristin Brigitte Mohnhaupt gehörte zur Gruppe derjenigen aus der „zweiten Generation“ der Roten Armee Fraktion, die 1977 Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer entführt und ermordet hatte. Noch als Mitglied der linksextremen „Bewegung 2. Juni“ hatte man ihn 1975 mit der Entführung des Berliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz freigepreßt. Auf Beschwerden hin hieß es aus der Geschäftsführung der FAZ, man bedauere das Versehen, für das mutmaßlich die Anzeigenaufnahme einer Regionalzeitung verantwortlich sei. Immerhin hat man später  genau wie die Süddeutsche die Anzeige aus dem Netz genommen.