© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/23 / 16. Juni 2023

Dorn im Auge
Christian Dorn

Nach dem Schlußpfiff des Landes-Pokalfinales zwischen HFC Chemie und Einheit Wernigerode im Friedensstadion Halberstadt stürmen Hunderte siegestrunkene Halle-Fans über den Rasen auf die Gegenkurve zu, nur gestoppt von der eilig herbeigelaufenen Polizeikette. Während der Chorus „Alle, alle, alle gegen Halle“ ertönt, filmt der Mann neben mir mit seinem Smartphone kopfschüttelnd die zahllosen HFC-Fans, die die Aufsteller mit dem Werbebanner „dachblechle24.de“ wie Trophäen über ihren Köpfen schwenken, und ruft immer wieder so aufgebracht wie hilflos: „Leg das sofort wieder hin!“ Darauf ich: „Sie sind nicht zufällig der Sponsor?“ Er: „Ja doch, der bin ich.“ Darauf ich, mit Spliff-Anleihe aus den 1980ern: „Da fliegt dir glatt das Blech weg.“ Er schmunzelt, ich setze nach: „Wenn die Bilder jetzt im Internet viral gehen, dann ist das doch ein unbezahlbar authentischer Werbeauftritt.“

Als ich mich vorstellen will, unterbricht mich der junge Mann: „Das ist nicht nötig. Ich weiß, wer du bist.“

Und wieder ist es das ehemalige SED-Bezirksorgan, die Volksstimme, das meinen Blick fesselt. So lese ich über Marco Wanderwitz (CDU), der ehemalige Ostbeauftragte kritisiere seine Partei, weil die „Brandmauer“ zur AfD auf kommunaler Ebene zusehends bröckele. Keine Brandmauer, aber zwei Mannschaftswagen der Polizei sichern Tage später den AfD-Bürgerdialog – ausgerechnet im Hotel St. Florian, einem dem Schutzpatron der Feuerwehr geweihten Fachwerkhaus. Vor Veranstaltungsbeginn schaue ich zur Menschenschlange vor den Polizeiautos, die vor einem Fenster mit Regenbogenflagge „gerettetes Essen“ erhält. Es sind, so der mir unbekannte, aber betont freundlich auftretende junge Mann, der sofort herausgetreten ist, um mir Rede und Antwort zu stehen, zu 98 Prozent Ukrainer. AfD-Leute oder Menschen mit Thor-Steinar-Kleidung würden hier aber nichts bekommen. Als ich mich vorstellen will, unterbricht er mich: „Das ist nicht nötig. Ich weiß, wer du bist.“ Auf meinen verdutzten Blick erwidert er salomonisch: Sie (offenbar die anonyme Antifa) seien in der Stadt alle sehr gut vernetzt und würden sich sofort gegenseitig unterrichten.


Und schon beginnt der Bürgerdialog. Unter den Klängen des Antifaliedguts „Ein Nazi, ein Nazi in der Stadt“ schlüpfe ich eiligen Schrittes hinter die Tür zum Bürgerdialog. AfD-Politiker Hans-Thomas Tillschneider eröffnet mit der Bemerkung, mein Freund Christian Hecht – mit dem zusammen ich hier 1989 das Abitur machte – sei an seiner Statt Vorsitzender des Rechtsausschusses im Landtag Sachsen-Anhalt geworden, da er selbst „zu rechts“ sei. Ein aus dem Friedland stammender pensionierter Polizist erzählt, die Ukrainer in seinem Herkunftsort bekämen inzwischen einen Paß auf ihren eingedeutschten Namen und könnten sich aussuchen, in welchem Ort Deutschlands sie sich niederlassen wollen. In der Halberstädter ZAST (Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber), berichten die Abgeordneten, seien die Unterkünfte so trostlos wie in der Untersuchungshaft – mit dem Unterschied, daß „Fachkräfte“ pro Tag eine Verpflegungspauschale von 15 Euro haben, Häftlinge in der Untersuchungshaft nur 3,78 Euro pro Tag.