Italien gilt vor allem den Deutschen seit Jahrhunderten als Sehnsuchtsland. Sowohl die mediterrane Natur als auch die von Antike, Renaissance und Barock geprägte Kultur des Landes lockten bereits ab dem späten 16. Jahrhundert Angehörige der gehobenen Gesellschaft, das Land zu bereisen. Italien galt als Pflichtprogramm der europäischen Oberschicht. Einen Schub bekam der Trip an den Stiefel im Mittelmeer durch Goethes 1816/17 veröffentlichte „Italienische Reise“.
Der moderne Tourismus begann dann aber in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit dem Ausbau der Eisenbahnstrecken. Die unruhige Umbruchsituation der Nationswerdung Italiens bremste diese Verstärkung der Reisetätigkeit nicht. Thomas Cook bot ab den 1860er Jahren organisierte Fahrten in den Süden an. In Reiseführern, beispielsweise von Karl Baedeker, wurden Ziele und Empfehlungen für die Kulturfahrt detailliert erläutert. Die klassische Reiseroute führte über die Alpen in die norditalienischen Metropolen Genua, Mailand und Venedig, um dann via Florenz und Rom samt Umland schließlich in Neapel und Pompeji samt den nahe gelegenen vulkanischen Gebieten zu enden.
Statisten mußten für Bilder lange ruhig stehen
An den Orten der bekanntesten Sehenswürdigkeiten entstanden Fotografenstudios, die Erinnerungsbilder als frühe Reisesouveniers anboten. Dabei konnten nicht nur Einzelaufnahmen als Vorläufer der späteren Ansichtskarte erworben werden, sondern auch kostbar gestaltete Alben. Ebenso wurden Aufnahmen durch einen internationalen Versandhandel zunehmend ins Ausland transportiert. Bereits ab den 1850er Jahren gelangten solche Aufnahmen zum Städelschen Kunstinstitut in Frankfurt, das sie nun in einer kleinen Schau präsentiert.
Neben Landschafts- und Stadtaufnahmen wurden rasch auch die kulturellen Schätze Italiens fotografiert. Die Arbeiten von Michelangelo oder Raffael wurden auf diese Weise einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Fast alle großen Fotografenstudios des 19. Jahrhunderts hatten somit auch Bilder bekannter Skulpturen oder Gemälde in ihrem Repertoire. Systematisch wurden die Bestände großer europäischer Museen durch den Elsässer Adolphe Braun erfaßt, der hierzu einen Bestellkatalog entwickelte.
Mitte des 19. Jahrhunderts hatten die Fotografen noch mit heute undenkbar langen Belichtungszeiten zu kämpfen. Bei idealen Lichtverhältnissen konnte zwar eine Aufnahme schon in 20 Sekunden eingefangen sein, der Vorgang konnte aber ebenso gut auch bis zu sieben Minuten dauern. Bei Tagen ohne direkte Sonneneinstrahlung waren Belichtungszeiten von acht bis 18 Minuten die Regel.
Aus diesem Grund wurden Aufnahmen, im Gegensatz zu unserer heutigen Selfie-Zeit, sehr ausführlich geplant. Die Tageszeit, der Sonnenstand, das Schattenspiel spielten dabei ebenso eine Rolle wie Statisten. Diese mußten für Bilder lange ruhig stehen, um ihnen dennoch den Anschein einer zufälligen Momentaufnahme zu geben. Hinzu kam bisweilen eine manuelle Nachbearbeitung, etwa durch das Nachzeichnen von Konturen.
90 bedeutende Aufnahmen der Jahre 1850 bis 1880 aus verschiedenen Regionen Italiens sind in der aktuellen Ausstellung des Frankfurter Städel-Museums zu sehen. Es sind Bilder aus der eigenen Sammlung, die vielen heutigen Urlaubern nicht nur vertraute Motive übermitteln, sondern auch einen Blick in die Anfänge der Fotografie ermöglichen. Gezeigt werden Reisebilder vor allem von seinerzeit namhaften Fotopionieren wie dem aus Frankfurt stammenden Giorgio Sommer (1834–1914), Carlo Naya (1816–1882) und Robert Macpherson (1814–1872). Die der europäischen Gesellschaft jener Zeit und den heutigen Museumsbesuchern präsentierten Motive sind heute nicht nur jedem Italien-Reisenden geläufig. Man denke beispielsweise nur an die mittlerweile massenhaft geknipste Ansicht Pisas mit dem Schiefen Turm, dem Dom und dem Baptisterium, die der gelernte Bildhauer Enrico van Lint (1808–1884) schon um 1860 festhielt.
Die Ausstellung „Italien vor Augen“ ist bis zum 3. September im Frankfurter Städel- Museum, Schaumainkai 63, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr, zu sehen.