© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/23 / 16. Juni 2023

Zur Geschichte der Nationen in der UdSSR
Neoimperialistische Träume
(wm)

Auf der Suche nach Motiven für Rußlands Angriff auf die Ukraine glauben viele Zeithistoriker mit dem Zitat aus einer 2005 gehaltenen Rede Wladimir Putins fündig geworden zu sein: „Der Untergang der Sowjetunion ist die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts.“ Für den die Genese des Ukraine-Konflikts seit 1990 sorgsam aussparenden Osteuropahistoriker Martin Aust (Uni Bonn), der im Transatlantiker-Organ Die Politische Meinung (577/2022) die „Geschichte der Nationen in der Sowjetunion“ bis in die Zarenzeit zurückverfolgt, führt dieser Ansatz in die Irre. Sowenig wie das Zarenreich dem düsteren Bild Lenins vom „Völkerkerker“ entsprochen habe, in dem die russische Nation die Rolle des Gefängniswärters spielte, sowenig glich die UdSSR dem sozialistischen Idyll von freundschaftlich verbundenen und gleichberechtigten „Völkern der Sowjetunion“. Denn die von Lenin und Stalin geprägte Nationalitätenpolitik Moskaus habe die Dominanz der russischen Nation nie in Frage gestellt. Mithin gehe es Putin nicht um die Wiederherstellung der Sowjetunion. Vielmehr träume er davon, die Russen allein könnten wie zu zaristischer Zeit ein großes Imperium beherrschen. Wie es sich derzeit in der Ukraine andeute, sei für eine solche neoimperialistische Zukunft aber „ein Scheitern absehbar“, so Aust. 


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