© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/23 / 23. Juni 2023

Der Flaneur
Baden wie früher
Bernd Rademacher

Ich kenne ein Freibad, das ich niemandem verrate. Es liegt abseits vor der Stadt und ist nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar. Es ist seit der Nachkriegsära in privater Trägerschaft eines Vereins – und so sieht es auch aus: wie eine Zeitreise in die siebziger Jahre. 

Die Farbe auf den hölzernen Kabinentüren blättert ab, die Waschbetonplatten rund um das Becken sind nicht mehr ganz eben. Die Anlage verfügt über keinerlei modernen Komfort oder Attraktionen: Es gibt keine Tunnelrutsche, keine Hüpfinsel, nicht mal ein Sprungbrett.

Was es gibt, ist ein Schwimmerbecken und ein Nichtschwimmerbecken – und einen Anpfiff vom Bademeister, wenn jemand vom Rand springt. Ich war hier schon als Schüler, und die einzige Veränderung, die ich erkennen kann, sind ein paar Werbetafeln lokaler Unternehmen. Und selbst die sehen nicht mehr neu aus. In der Kiosk-Bretterbude schwitzt ein junger Verkäufer, der zur Mittagszeit den Ausstoß an Pommes hochfahren muß. Vor seinem Tresen drängen sich Kinder und wollen Eis und Limo. Gesundes, Veganes oder vermeintlich fair gehandeltes gibt’s hier nicht.

Auf der Liegewiese liegt kein Stück Müll, jede Eisverpackung wird zum Papierkorb getragen.

Aber dieses hoffnungslos unzeitgemäße Vintage-Schwimmbad ist eine Oase des Friedens. Eltern ermahnen ihre Kinder, nicht allzu laut herumzuschreien. Auf der Liegewiese liegt kein Stück Müll, jede Eisverpackung wird zum Papierkorb getragen. Niemand benimmt sich distanzlos, alle sind höflich und rücksichtsvoll. Aber was ist das Geheimnis, das dieses Bad zum „Safe Space“ macht? Einen Sicherheitsdienst sucht man vergebens. Polizeieinsätze habe ich hier noch keine erlebt.

Linke Politiker würden sagen, dieses Bad ist viel zu wenig „multikulturell“, „vielfältig“ und „divers“. In der Tat: Man sieht nur eingeborene Bleichgesichter. Dieses Bad existiert wirklich, aber wie gesagt: Ich verrate nicht, wo es liegt, sonst wird es auch noch „bunt“.