Wie für die Masse der heute den Zeitgeist formulierenden intellektuellen „Tuis“ (Bertolt Brecht), so stand auch für den im vergangenen Oktober 75jährig verstorbenen französischen Philosophen Bruno Latour das Dogma vom nahen Klimatod der Menschheit wie in Stein gemeißelt fest. Vorschläge, wie der zu verhindern sei, legte der „Theoretiker der Nachhaltigkeit“ in einem vor kurzem in deutscher Übersetzung postum veröffentlichten „Memorandum“ vor: „Zur Entstehung einer ökologischen Klasse“. In einem daraus in den Blättern für deutsche und internationale Politik (1/2023) publizierten Auszug beklagt Latour, daß es anders als im 19. Jahrhundert, wo die Arbeiterklasse große gesellschaftliche Transformationen vorantrieb, heute kein vergleichbar mächtiges politisches Subjekt gebe, um die Massen für die Rettung des Planeten zu mobilisieren. Allen Warnungen vor der „Klimakatastrophe“ zum Trotz hätten sich erst schwache Konturen einer „ökologischen Klasse“ herausgebildet. Stattdessen werde weiterhin gefordert, die mit gesteigerter Produktion gewonnenen Reichtümer vielleicht etwas weniger ungerecht zu verteilen. Weder Liberalismus noch Sozialismus hätten ihre Wachstumsideologie am Maßstab der Bewohnbarkeit des Planeten neu ausgerichtet und damit ihr eigenes Fortschrittsprojekt verraten.