Jean (Vincent Lindon) trägt allerhand Altlasten mit sich herum. Von seiner Frau, einer Farbigen aus Martinique, mit der er einen fünfzehnjährigen Sohn hat, ist er geschieden. Die Frau, mit der er seit sieben Jahren zusammenlebt, hat er seinem Freund François (Grégoire Colin) ausgespannt. Und im Gefängnis war er auch.
Immerhin scheint der ehemalige Rugby-Spieler sein Leben jetzt in den Griff bekommen zu haben. Mit seinem Sohn Marcus (Issa Perica), der bei seiner Oma (Bulle Ogier) aufgewachsen ist, gibt es zwar ein paar atmosphärische Spannungen; der Junge fühlt sich zurückgesetzt und weiß mit seinem Leben nichts anzufangen. Aber Sara (Juliette Binoche) und Jean lieben sich, die Beziehung wirkt intakt und stabil. Gemeinsam leben sie in einer Wohnung mit schönem Balkon und Blick auf die Dächer von Paris. Demonstrativ oft tauscht das Paar Küsse aus. Und vom regen Treiben im Schlafzimmer zeigt Regisseurin Claire Denis mehr, als prüden Preußen (im Gegensatz zu leidenschaftlichen Franzosen) lieb sein kann.
Die Gespräche zwischen dem Liebespaar nehmen an Schärfe zu
Auch beruflich scheint der Ex-Knacki endlich auf die Beine zu kommen: Die einstige Sportskanone will zusammen mit seinem alten Freund François eine Spielervermittlungsagentur aufmachen. Letzterer allerdings ist der Verflossene von Sara. Vor Jahren hatte sie den verführerischen, aber etwas unsteten Charmeur für Jean verlassen. Es beginnt ein subtil und mit psychologisch präziser Charakterzeichnung inszeniertes Duell, bei dem weder Jean noch Sara mit offenen Karten spielt. Er hat Angst, daß die alten Gefühle zwischen Sara und François noch lebendig sein könnten, hält das Thema jedoch konsequent aus ihrer Beziehung heraus. Sie hat dieselbe Angst. Wenn man jemanden sehr geliebt habe, gibt sie offen zu, bleibe davon immer ein Rest. Doch daß sie es kaum erwarten kann, François wiederzusehen, verschweigt sie.
In Gesprächen, die immer mehr an Schärfe zunehmen, beginnen Sara und Jean umeinander und um den Elefanten im Raum herumzuschreiten. Als François anläßlich der Eröffnung der Agentur in den neuen Räumlichkeiten einen Empfang gibt, hält es Sara nicht länger aus: Sie muß hin, muß endlich mit François sprechen. Natürlich bleibt es nicht bei einem harmlosen Wiedersehensplausch, und schon bald toben in Sara die widersprüchlichsten Gefühle.
So richtig rund ist die Geschichte nicht geworden, die uns Regisseurin Claire Denis hier serviert. Der Versuch, das allzu bekannte Handlungsmuster durch die Anreicherung mit zeitgeschichtlichen Komponenten zu einer Momentaufnahme für die Nachwelt hochzustufen, ist nachvollziehbar, aber mißlungen. Die Atemschutzmasken aus dem Corona-Interregnum sind zwar allgegenwärtig, bleiben aber bloße Requisite. Wozu Schauspieler durch Mundschutz entstellen und so an eine gräßliche Ära erinnern, wenn sie gar nicht Filmthema ist?
Wie Fremdkörper in der Gegend herum stehen auch zwei viel zu lang geratene Interviews, die Sara bei ihrer Arbeit als Hörfunkmoderatorin zeigen. Eine Libanesin erklärt die desolaten Zustände in ihrem Land. Und der ehemalige Fußball-Nationalspieler Lilian Thuram (der sich selbst spielt) darf sich ausufernd zur Diskriminierung von Schwarzen äußern. Eigentlich eine Steilvorlage für die Nebenhandlung um Jeans pubertierenden Sohn Marcus. Doch der steht immer nur emotionslos am Rand des Geschehens. Außer daß er ein Problem mit sich und der Welt und eine Mutter aus einem Überseedepartement hat, erfährt der Zuschauer nichts über den Jungen. Die Figur bleibt rätselhaft blaß.
Im Grunde ist die Dreiecksgeschichte um Jean, Sara und François wenig mehr als eine in trübe Interieurs verlegte Variation der Konstellation aus dem Truffaut-Klassiker „Die Frau nebenan“ von 1981. Während dort der betrogene Ehemann eher im Hintergrund blieb und die starken Auftritte der von Gérard Depardieu verkörperte Nebenbuhler hatte, ist es hier genau umgekehrt. Trotz mangelnder Originalität ist es allein diese Kerngeschichte, das rettungslose Versinken einer liebenden Frau im Strudel der Leidenschaft, die an dem Film funktioniert. Juliette Binoche und Vincent Lindon verkörpern ihre beiden Figuren in jeder Nuance glaubwürdig und mit der Strahlkraft von Ausnahmeschauspielern, die Ausnahmesituationen souverän spielen können.
In Anbetracht ihrer explosiven Auftritte und der vielen Diversitäts- und Antidiskriminierungssonderpunkte, die „Mit Liebe und Entschlossenheit“ sammeln konnte, blieb der Jury gar nichts anderes übrig, als Claire Denis bei den Berliner Filmfestspielen 2022 den Silbernen Bären für die beste Regie zuzuerkennen.