© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/23 / 21. Juli 2023

Die Weiße Rose der frühen DDR
Die vergessenen Widerständler der Studentengruppe um Herbert Belter
Julian Marius Plutz

Die Losung von Walter Ulbricht war unmißverständlich: Es muß demokratisch aussehen, aber wir müssen alle Zügel in der Hand haben. Und so geschah es. Ausgerufenes Ziel der jungen DDR war es, eine „antifaschistisch-demokratische Ordnung“ zu errichten, um dann unter diesem Deckmantel den Sozialismus einzuführen. Mit der aufgezwungenen Vereinigung von KPD und SPD 1946 entstand nach sowjetischem Vorbild die Einheitspartei SED. In der „Nationalen Front“ waren später alle relevanten Organisationen sowie alle Parteien von der SED über CDU bis zur NDPD (National-Demokratische Partei Deutschlands) vertreten. Dort war bereits  festgeschrieben, wer welche Mandate nach der Wahl bekam. 

Doch so manch einer durchschaute das Manöver. Einer davon war der junge Herbert Belter. In dem Buch „Der kurze Sommer der Freiheit: Wie aus der DDR eine Diktatur wurde“ erzählt der Germanist und Historiker Klaus-Rüdiger Mai die Geschichte von mehreren Studenten, die überwiegend in Leipzig die Hochschule besuchten. Junge Menschen, die nicht Teil einer Diktatur sein wollten und eine Art Gegenöffentlichkeit gegenüber der übermächtigen SED organisierten. Mai erzählt in einer beeindruckenden Detailtiefe, wie sie sich fanden, was sie planten und, so es die Quellen hergaben, wie getötet wurden. Höhepunkt des Widerstandes war sicherlich anläßlich der ersten Wahlen der Volkskammer das Verteilen von Flugblättern am 5. Oktober 1950 in der Leipziger Innenstadt.

Die Frage, die den Leser umtreibt, weshalb der Name Herbert Belter im Gegensatz zu Hans und Sophie Scholl so wenig bekannt ist, beantwortet der Autor: „Die Archivsituation ist kompliziert. An viele Akten, die im russischen Staatsarchiv liegen, kommen Sie seit Putins Amtsantritt, der ja ein ehemaliger KGB-Mann ist, schwer oder gar nicht heran. In Deutschland müssen Sie sehr unterschiedliche Archive nutzen, um die Mosaike zusammenzusetzen.“

Belter selbst wurde bei der Flugblattaktion verhaftet und dem sowjetischen Geheimdienst MGB ausgeliefert. Später wurde er nach Moskau gebracht und im Januar 1951 zum Tode verurteilt, auch weil er sich stets zu den Vorwürfen bekannt hat: „Ich habe mich illegal betätigt, weil ich unzufrieden mit der Situation an der Leipziger Universität war. Wir hatten keine Gewissensfreiheit, keine Redefreiheit und keine Pressefreiheit.“ Andere Mitglieder dieses gewaltfreien Widerstandes wurden zu langen Zwangsarbeitsstrafen verurteilt. Ihr Mut zum Widerstand trotz Machtlosigkeit gegenüber dem Regime verdient höchste Anerkennung. Und Klaus-Rüdiger Mai trägt dazu bei, daß die Belter- Gruppe nicht vergessen wird. 


Klaus-Rüdiger Mai: Der kurze Sommer der Freiheit. Wie aus der DDR eine Diktatur wurde. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2023, gebunden, 320 Seiten, 22 Euro